Vermehrung und Verbreitung von Nutrias in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 25.07.2023

Kleine Anfrage 2173

des Abgeordneten Zacharias Schalley und Andreas Keith AfD

Vermehrung und Verbreitung von Nutrias in Nordrhein-Westfalen

Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Nutrias in Deutschland verbreitet und seit 2016 als prioritäre invasive Art unionsweiter Bedeutung gelistet.

Nordrhein-Westfalen ist verpflichtet, die auf einer sog. Unionsliste aufgeführten Arten unionsweit zu bekämpfen, d.h. die bereits weit verbreiteten Arten zu „managen“ und die naturschutzfachlichen Auswirkungen invasiver Arten im Gebiet der Europäischen Union zu verhindern, zu minimieren oder wenigstens abzuschwächen und die Ausbreitung noch nicht etablierter Arten zu verhindern. Während in einigen Bundes-ländern Nutrias dem Jagdrecht unterliegen, ist dies in Nordrhein-Westfalen nicht der Fall1, obwohl das Bundesland zwischen 2015 und 2021 einen Anstieg der Nutria-Population von rund 30 Prozent zu verzeichnen hat.2 In NRW fehlt ein einheitlicher Ansatz in der Nutriajagd durch die Wasserwirtschaft wie zum Beispiel in Nieder-sachsen. Stattdessen existieren verschiedene Organisationsformen, Fangtechniken und Vergütungsmodelle wie in einem Flickenteppich nebeneinander her.3

Ein Erlass des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW vom 27.12.2022 regelt die Tötung von Nutrias durch die Jagdausübungsberechtigten im Rahmen der befugten Jagdausübung. In Naturschutzgebieten bedarf die Bekämpfung der Nutria einer naturschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung, sofern die Schutzausweisung ein Verbot des Fangens und Tötens von wildlebenden Tieren enthält und die Bekämpfung der Nutria nicht ausdrücklich von diesem Verbot ausgenommen ist.

Vor diesem Hintergrund fragen wir:

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zu den Auswirkungen der Ausbreitung von Nutrias auf NRWs autochthone Arten vor, insbesondere mit Hinblick auf gefährdete Arten? (bitte Differenzierung nach Art und Regionen, sofern möglich)
  2. Welche unterstützenden oder eigenständigen Maßnahmen hat die Landesregierung in den letzten 10 Jahren ergriffen, um die Nutriapopulation in NRW zu reduzieren?
  3. In welchen Naturschutzgebieten bedarf die Bekämpfung der Nutria einer naturschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung?
  4. In welchen Naturschutzgebieten nimmt die Schutzausweisung die Bekämpfung der Nutria ausdrücklich vom Verbot des Fangens und Tötens von wildlebenden Tieren aus?
  5. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über die Ausbreitung von Nutria-Populationen im städtischen Umfeld vor? (Bitte um Differenzierung nach Kommunen, sofern möglich.)

Zacharias Schalley
Andreas Keith

 

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1 Vgl. https://recht .nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=7&ugl_nr=792&bes_id=30604&aufgehoben=N&menu=1&sg=0#FN1, abgerufen am 10. Juli 2023.

2 Vgl. https:// www .jagdverband.de/sites/default/files/2023-06/2023-06_Broschuere_Wild-Bericht_2021.pdf, Seite 58, abgerufen am 10. Juli 2023.

3 Vgl. https:// www .lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuvpubl/5_natur_in_nrw/Natur-in-NRW-4-2018-web.pdf, Seite 16, abgerufen am 10. Juli 2023.


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 2173 mit Schrei­ben vom 30. August 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet.

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zu den Auswirkungen der Aus­breitung von Nutrias auf NRWs autochthone Arten vor, insbesondere mit Hinblick auf gefährdete Arten? (bitte Differenzierung nach Art und Regionen, sofern mög­lich)

Die Nutria verursacht ähnliche Schäden wie die Bisamratte. Dadurch kann es in einzelnen (Schutz-) Gebieten punktuell zu Konflikten mit autochthonen Arten kommen. Indem sie sich von unterirdischen und überirdischen Pflanzenteilen ernährt, kann sie Röhrichte, Riede und Wasserpflanzen-Bestände empfindlich schädigen. In den FFH-Gebieten Fleuthkuhlen (Kreis Kleve) und Krickenbecker Seen (Kreis Viersen) ist die Nutria verantwortlich für den Rückgang des prioritären FFH-Lebensraumtyps Schneidenried („Schneiden-Kalksumpf“), der landesweit ausschließlich nur noch hier vorkommt. Im Einzugsgebiet der Lippe wurde die Prädation von Schwanenmuscheln durch Nutria und in der Folge das Verschwinden der Muscheln nachge­wiesen. Biber und Nutria koexistieren derzeitigen Beobachtungen zufolge erfolgreich neben­einander. Hingegen leben im Stadtgebiet Münster („Europareservat Rieselfelder Münster“) Nutrias aufgrund des sehr guten Nahrungsangebots (enorme Bestände an Schilf, Rohrkolben etc.) in annähernd natürlichem Einklang mit der Umwelt. Die Schilfbestände müssen ohnehin im Rahmen von Gebietspflegemaßnahmen zum Aufhalten des natürlichen Verlandungspro-zesses jährlich reduziert werden. Damit zeichnet sich ein heterogenes Bild. Die Auswirkungen der Nutria auf Lebensräume, Arten, menschliche Gesundheit und Wirtschaft fasst das LANUV im Neobiota-Portal (link: https://neobiota.naturschutzinformationen.nrw.de/neobiota/de/ar-ten/tiere/6553/invasivitaet ) zusammen.

  1. Welche unterstützenden oder eigenständigen Maßnahmen hat die Landesregie­rung in den letzten 10 Jahren ergriffen, um die Nutriapopulation in NRW zu redu­zieren?

Die Nutria ist in Nordrhein-Westfalen keine jagdbare Tierart und untersteht daher dem Bun­desnaturschutzgesetz (BNatSchG). Bisam und Nutria unterliegen dem allgemeinen Schutz wildlebender Tiere. Sie dürfen bei Vorliegen eines vernünftigen Grundes gefangen oder getö­tet werden (vgl. § 39 Absatz 1 Nummer 1 Bundesnaturschutzgesetz). Ein solcher liegt hier zur Abwendung erheblicher wasserwirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Schäden sowie zum Schutz der heimischen Pflanzen- und Tierwelt vor.

Der gemeinsame Erlass des MLV und des Innenminsteriums zur Bekämpfung von Bisam und Nutria vom 27.12.2022 (Aktenzeichen MLV III. 4 63.08.03.04.000015; IM 432-57.06.45) stellt klar, dass nach § 13 Absatz 6 Satz 2 Waffengesetz (WaffG) der Abschuss von Nutria in Re­vieren der befugten Jagdausübung gleichgestellt ist, wenn die naturschutzrechtliche Aus­nahme oder Befreiung die Tötung durch einen Jagdscheininhaber vorsieht.

Darüberhinaus organisiert das LANUV im Auftrage der Landesregierung Fachtagungen, berät lokal zuständige Behörden, nimmt Stellung zu Maßnahmen und recherchiert Methoden der Bekämpfung. Es pflegt einen intensiven Austausch und eine Abstimmung zur Vollzugspraxis der Verordnung (EU) 1143/2014 mit Bund und Bundesländern und stellt über sein Neobiota-Portal alle notwendigen Informationen öffentlich bereit.

  1. In welchen Naturschutzgebieten bedarf die Bekämpfung der Nutria einer natur­schutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung?
  2. In welchen Naturschutzgebieten nimmt die Schutzausweisung die Bekämpfung der Nutria ausdrücklich vom Verbot des Fangens und Tötens von wildlebenden Tieren aus?

Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 3 und 4 gemeinsam beantwortet.

Es bedarf einer naturschutzrechtlichen Befreiung, wenn die Bejagung und das Töten von Nutria in einer Naturschutzverordnung oder im Landschaftsplan ausdrücklich verboten ist oder wenn beim Verbot der Jagdausübung in der Naturschutzverordnung oder im Landschaftsplan das Töten von Nutria nicht explizit ausgenommen ist. Die Bekämpfung von Arten des Art. 19 der EU-IAS-VO kann situationsabhängig und punktuell erfolgen, so dass die Frage in dieser konkreten Form aufgrund der Dynamik derartiger Prozesse nicht beantwortet werden kann. Alle 3.330 Naturschutzgebiete Nordrhein-Westfalens, die über Landschaftspläne festgesetzt oder durch ordnungsbehördliche Verordnung ausgewiesen wurden, sind statistisch erfasst (https://nsg.naturschutzinformationen.nrw.de/nsg/de/fachinfo/statistik/rp). Erfasst werden ne­ben allgemeinen Informationen wie Flächengröße und Jahr der Unterschutzstellung auch In­formationen der Schutzwürdigkeit und –bedürftigkeit. Gebietsindividuelle Regelungen zu Aus­nahmen und Befreiungen hinsichtlich des Fangens und Tötens von Nutria in Naturschutzge­bieten werden hingegen nicht statistisch erfasst.

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über die Ausbreitung von Nutria-Populationen im städtischen Umfeld vor? (Bitte um Differenzierung nach Kommu­nen, sofern möglich.)

Es existieren keine Monitoring-Programme zum Vorkommen und der Ausbreitung von Nutria-Populationen in Nordrhein-Westfalen. Hinweise kann die jährliche Jagdstreckenstatistik (https://www.mlv.nrw.de/themen/jagd-und-fischerei/jagd/jagdstrecken-statistik/) für das städ­tische Umfeld nur bedingt liefern, soweit es sich im Siedlungsbereich um befriedete Bezirke handelt, wo die Jagd ruht. In der Statistik wird die Anzahl der erlegten Individuen sowie Fallwild erfasst. Vor allem im städtischen Umfeld erfolgt das Erlegen von Nutria häufig im Rahmen der Fallenjagd. Grundsätzlich können Jagdstreckendaten lediglich eine Aussage zu erlegten bzw. tot aufgefundenen Individuen geben und keine direkte Aussage zum generellen Vorkommen liefern. Insgesamt entspricht die Entwicklung im städtischen Umfeld der allgemeinen Ausbrei­tungstendenz der Art auf Landesebene.

 

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