Kleine Anfrage 3527des Abgeordneten Sven W. Tritschler vom 22.04.2020
Versammlungen und Demonstrationen in Zeiten von Corona
Laut übereinstimmenden Presseberichten1 sind in Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum seit Inkrafttreten der CoronaSchVO bisher 102 Demonstrationen angemeldet worden. Von diesen wurden 51 verboten und 44 von den Veranstaltern abgesagt. Neun nicht angemeldete Versammlungen wurden aufgelöst.
In einem Erlass vom 9. April 20202 erklärte der Minister des Innern hierzu: „Das gesamte schulische, wissenschaftliche, kulturelle und sportliche Gemeinschaftsleben“ sei mehr oder weniger eingestellt und der Kirchgang werde verwehrt. Er habe daher „keinerlei Verständnis dafür, dass ausgerechnet Versammlungen und Demonstrationen stattfinden dürfen.“
Das Versammlungsrecht gilt als hochrangiges Rechtsgut in einer freiheitlichen Demokratie. Es ist in Art. 8 GG festgeschrieben und gilt daher auch als Bestandteil der Landesverfassung gem. Art. 4 Abs. 1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 17. April 2020 (Az. 1 BvQ 37/20) die Bedeutung dieses Rechtsguts abermals unterstrichen und klargestellt, dass pauschale Demonstrationsverbote ohne Einzelfallprüfung auch in Pandemiezeiten unzulässig sind.
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Welche Versammlungen wurden in Nordrhein-Westfalen während des Zeitraums vom Inkrafttreten der CoronaSchVO bis zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage (bitte angeben!) angemeldet? (Bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Thema, Anmelder, Teilnehmerzahl)
2. Welche dieser Versammlungen wurden verboten?
3. Welche dieser Versammlungen wurden vom Veranstalter abgesagt?
4. Welche dieser Versammlungen durften stattfinden? (Bitte nennen Sie ggf. erteilte Auflagen)
5. Welche nicht angemeldeten Versammlungen bzw. verbotenen Versammlungen wurden von der Polizei aufgelöst? (Bitte nennen Sie Zeit, Ort, Thema der Versammlung, Teilnehmerzahl, gegebenenfalls erfolgte Zwangsmaßnahmen und sowie erfolgte Ordnungswidrigkeits- und/oder Strafverfahren)
Sven W. Tritschler
1 WAZ vom 22.04.2020, Seite 2; FOCUS online vom 21.04.2020
2 Ebenda.
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 28.05.2020
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3527 mit Schreiben vom 28. Mai 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.
1. Welche Versammlungen wurden in Nordrhein-Westfalen während des Zeitraums vom Inkrafttreten der CoronaSchVO bis zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage (bitte angeben!) angemeldet? (Bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Thema, Anmelder, Teilnehmerzahl)
2. Welche dieser Versammlungen wurde verboten?
3. Welche dieser Versammlungen wurden vom Veranstalter abgesagt?
4. Welche dieser Versammlungen durften stattfinden? (Bitte nennen Sie ggf. erteilte Auflagen)
5. Welche nicht angemeldeten Versammlungen bzw. verbotenen Versammlungen wurden von der Polizei aufgelöst? (Bitte nennen Sie Zeit, Ort, Thema der Versammlung, Teilnehmerzahl, gegebenenfalls erfolgte Zwangsmaßnahmen und sowie erfolgte Ordnungswidrigkeits- und/oder Strafverfahren)
Die Fragen werden gemeinsam beantwortet.
Versammlungen waren ab Inkrafttreten der CoronaSchVO am 23.03.2020 nach deren § 11 Absatz 1 Satz 1 (04.05.2020 bis 10.05.2020: § 11 Absatz 2 Satz 1) auf Grundlage der Verordnungsermächtigung der §§ 28, 32 des Infektionsschutzgesetzes generell verboten. Nach § 11 Absatz 3 Satz 1 (04.05.2020 bis 10.05.2020: § 11 Absatz 6 Satz 1) konnten die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Ausnahmen zulassen, wenn die Veranstalter die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sicherstellten. Wenn keine Ausnahmegenehmigung nach den vorgenannten Vorschriften erteilt wurde, war die entsprechende Versammlung unmittelbar kraft der Regelung in der Verordnung verboten, nicht aufgrund einer Verbotsentscheidung im Einzelfall. Im Fall der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung wurde das übliche versammlungsrechtliche Anmeldeverfahren fortgesetzt.
Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf Grundlage einer Sondererhebung des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste in Form der angehängten Tabelle und bezieht sich auf den Zeitraum vom 17.03.2020 bis zum 10.05.2020.
Daraus ergibt sich:
Anzahl der Versammlungen gesamt | 651 | |
• | davon vom Anmeldenden zurückgezogene Anmeldungen | 146 |
• | davon angemeldete und durch örtliche Ordnungsbehörden nicht genehmigte Versammlungen | 143 |
• | davon angemeldete und durch örtliche Ordnungsbehörden unter Anordnung von Schutzmaßnahmen genehmigte Versammlungen | 324 |
• | davon unangemeldete und durch örtliche Ordnungsbehörden nicht genehmigte Versammlungen | 33 |
• | davon unangemeldete und durch örtliche Ordnungsbehörden unter Anordnung von Schutzmaßnahmen genehmigte Versammlungen | 5 |
Insgesamt wurde in 50 Fällen die Untersagung durch die örtlichen Ordnungsbehörden bzw. die Polizei durchgesetzt. Dies betrifft die unangemeldeten und durch die Ordnungsbehörden nicht genehmigten Versammlungen sowie 17 Fälle, in denen die Ordnungsbehörden angemeldete Versammlungen nicht genehmigte und Versammlungsteilnehmer trotzdem am angemeldeten Ort erschienen. Diese 17 Fälle sind in der Tabelle in der Zeile „davon angemeldete und durch Ordnungsbehörden nicht genehmigte Versammlungen“ abgebildet. Weitere Informationen sind der Anlage zu entnehmen.
Bezüglich erteilter Anordnung von Schutzmaßnahmen und Ausführungen zur grundsätzlichen Untersagung und Durchsetzung der Untersagung wird auf den Schriftlichen Bericht des Ministers des Innern für die Sitzung des Innenausschusses am 23.04.2020, zu dem Tagesordnungspunkt „Versammlungen in NRW während der CoViD-19-Pandemie“ (LT-Drs. 17/3266) verwiesen.
Darüberhinausgehende Informationen liegen nicht zentral vor. Sie müssten in 47 Kreispolizeibehörden bzw. in 53 Kreisen und kreisfreien Städten im Einzelnen erhoben und manuell ausgewertet werden. Dies ist in der für die Bearbeitung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Daten zu Strafanzeigen liegen weder in der Polizeilichen Kriminalstatistik noch im Vorgangsbearbeitungssystem automatisiert recherchefähig vor. Eine manuelle Auswertung dieser Vorgänge ist in dem für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung stehenden Zeitrahmen ebenfalls nicht möglich.