Verseuchtes Mehl mit dem Mutterkornpilz

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 203
der Abgeordneten Andreas Keith und Zacharias Schalley vom 26.07.2022

 

Verseuchtes Mehl mit dem Mutterkornpilz

Die Kribbelkrankheit, auch Sankt-Antonius-Feuer genannt, die durch den Verzehr von mit dem Mutterkornpilz (Clavices purpurea, Secale cornutum) verseuchtem Mehl verursacht wird, raffte in den vergangenen Jahrhunderten zig Tausende von Menschen dahin.

Dieser Pilz befällt verschiedene Getreidearten und Gräser, insbesondere aber den Roggen. In den Ähren der Roggenpflanzen bildet er seine Dauerform, die sogenannte Sklerotien aus. Diese enthalten hochtoxische Alkaloide, die Mensch und Tier schwere Schäden zufügen können. Bevor es moderne Mahl- und Siebtechniken gab, konnten Sklerotien nach der Ernte nur unvollständig vom Korn getrennt werden. Sie gelangten ins Backmehl und lösten epidemische Krankheitswellen aus. Die letzte massenhafte Erkrankung durch mit Mutterkorn verseuchtes Roggenmehl trat 1951 in Frankreich auf.

Aber Mutterkorn gibt es auch heute noch; sogar noch vermehrt seit der Ausbreitung der biologischen Landwirtschaft und der Verringerung von Pflanzenschutzmitteln auf den Äckern. Großmühlenbetreiber erhalten teilweise täglich mehrere Eimer voll mit Mutterkorn-Sklerotien, die dank moderner Siebtechnik ausgesiebt wurden und nicht ins Mehl gelangten.1

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Inwieweit ist der Landesregierung bekannt, ob durch die vermehrte biologische Landwirtschaft der Mutterkornpilz verstärkt in Nordrhein-Westfalen vorzufinden ist?
  2. Wie bewertet die Landesregierung die Gesundheitsgefahr, die von Mutterkornpilzen bei der Nahrungsaufnahme ausgeht?
  3. Inwiefern besteht aus Sicht der Landesregierung die Möglichkeit, dass z.B. bei Vollkornbroten eine kleine Menge Sklerotium oder Teile davon ins Brot gelangen?
  4. Welche Maßnahmen seitens der Behörden werden bei Auftreten von Mutterkornpilz getroffen?
  5. Inwiefern ist das Auftreten von Mutterkornpilz meldepflichtig?

Andreas Keith
Zacharias Schalley

 

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1 Lelley, Jan I. (2018), No fungi no future Wie Pilze die Welt retten können


Die Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 203 mit Schreiben vom 22. August 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Inwieweit ist der Landesregierung bekannt, ob durch die vermehrte biologische Landwirtschaft der Mutterkornpilz verstärkt in Nordrhein-Westfalen vorzufinden ist?

Hinweise auf ein verstärktes Auftreten von Mutterkorn durch die Zunahme des ökologischen Landbaus in Nordrhein-Westfalen sind nicht bekannt. Da der Mutterkornpilz chemisch nicht bekämpft werden kann, sondern durch Sortenwahl und andere pflanzenbauliche Maßnahmen, ist ein Zusammenhang auch nicht zu erwarten. Entscheidend ist die Qualität der Getreidereinigung.

Der Mutterkornbesatz wird im Rahmen der bundesweit durchgeführten Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE) an repräsentativ erfassten Ernteproben von Roggen untersucht. In den letzten 10 Jahren lag der Besatz in Nordrhein-Westfalen im Mittel von ca. 30 Volldruschproben mit 0,01 bis 0,16 Gewichtsprozent stets im unkritischen Bereich. Ein direkter Vergleich von bundesweit geernteten Proben aus dem Jahr 2012 zeigte keinen Unterschied zwischen ökologischem (0,01 Gewichtsprozent) und konventionellem (0,02 Gewichtsprozent) Anbau.

Tab. 1: Mutterkornbesatz BEE in Roggen (Gewichtsprozent, Mittelwert (Median))

Jahr NW (27-30 Proben) Bund (660-700 Proben)
2021 0,05 (0,00) 0,04 (0,00)
2020 0,16 (0,03) 0,22 (0,00)
2019 0,05 (0,00) 0,04 (0,00)
2018 0,03 (0,00) 0,03 (0,00)
2017 0,05 (0,00) 0,05 (0,00)
2016 0,15 (0,02) 0,06 (0,00)
2015 0,01 (0,00) 0,03 (0,00)
2014 0,09 (0,02) 0,06 (0,00)
2013 0,04 (0,00) 0,13 (0,02)
2012 0,01 (0,00) 0,01 (0,00)
2011 0,01 (0,00) 0,07 (0,00)

 

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Gesundheitsgefahr, die von Mutterkornpilzen bei der Nahrungsaufnahme ausgehen?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat 2004 in Zusammenarbeit mit einer Bundesforschungsstelle eine Untersuchung von fünf Roggenmehlen durchgeführt. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden teilweise sehr hohe Gehalte an Mutterkornalkaloiden festgestellt.

Die moderne industrielle Mühlentechnik sorgt für eine weitgehende Reinigung des Getreides von Mutterkorn, z.B. durch spezielles Sieben, Vorbeiführen an einem Farbscanner, der dunkel gefärbte Körner aussortiert, oder Windsichtung des Korns (Trennung nach Dichte). Eine entsprechende Reinigung vor der Vermahlung ist offensichtlich bei den 2004 untersuchten Roggenmehlen unterblieben.

Eine Gesundheitsgefahr durch Verunreinigung mit Mutterkornalkaloiden kann allerdings bei Verwendung von ungereinigtem Getreide auch heutzutage nicht ausgeschlossen werden. Ungereinigtes Getreide direkt vom Bauern sollte daher weder verarbeitet noch in verarbeiteter Form konsumiert werden.

  1. Inwiefern besteht aus Sicht der Landesregierung die Möglichkeit, dass z.B. bei
    Vollkornbroten eine kleine Menge Sklerotium oder Teile davon ins Brot gelangen?

Der Lebensmittelunternehmer ist für die gesundheitliche Unbedenklichkeit seiner Produkte verantwortlich. Durch Wareneingangskontrollen sowie Eigenkontrollen im Rahmen seiner Produktion muss er dafür Sorge tragen, dass die Belastung mit unerwünschten Substanzen wie Mutterkornalkaloiden auf ein Minimum reduziert wird.

Heutzutage wird Getreide vor dem Abpacken oder Vermahlen gereinigt. Hierbei werden Mutterkörner aufgrund ihres abweichenden Gewichts und ihrer Größe automatisch ausgeschieden. Industriell hergestellte Vollkornbrote werden mit gereinigten Getreidemehlen hergestellt, insofern ist eine Belastung mit Sklerotium so gut wie ausgeschlossen.

Die Europäischen Kommission hat zudem mit Erlass der EU-Kontaminantenverordnung Höchstgehalte für bestimmte Mutterkornalkaloide festgelegt, die bei Überschreiten zu einer Nicht-Verkehrsfähigkeit der Produkte führen (s.u.). Die Einhaltung dieser Höchstgehalte wird stichprobenartig durch die amtliche Lebensmitteluntersuchung überprüft.

Abb. 1: Auszug aus der EU-Kontaminantenverordnung VO (EU) Nr. 1881/2006

=> siehe PDF

  1. Welche Maßnahmen seitens der Behörden werden bei Auftreten von Mutterkornpilz getroffen?

Bei Auftreten des Mutterkornpilzes werden keine behördlichen Maßnahmen ergriffen.

  1. Inwiefern ist das Auftreten von Mutterkornpilz meldepflichtig?

Das Auftreten des Mutterkornpilzes ist nicht meldepflichtig.

 

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