Viersen: Mann aus Psychiatrie entkommen – Wie sicher sind unbegleitete Ausgänge?

Kleine Anfrage
vom 09.01.2024

Kleine Anfrage 3149

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Viersen: Mann aus Psychiatrie entkommen Wie sicher sind unbegleitete Ausgänge?

Am 11. Dezember 2023 entkam ein 37-jähriger Insasse der psychiatrischen Einrichtung im niederrheinischen Viersen bei einem unbegleiteten Ausgang innerhalb des Klinikgeländes. Nach dem Ausgang sei er nicht auf seine Station zurückgekehrt. Der aus Leverkusen stammende Mann sei schon seit mehreren Jahren gemäß § 63 StGB in der Klinik zur therapeutischen Maßnahmen untergebracht.1 Laut Therapieplan soll er sich allein innerhalb des Klinikgeländes aufhalten dürfen. Als er nicht auf seine Station zurückkehrte, wurden Fahndungsmaßnahmen eingeleitet, die allerdings zu Beginn erfolglos blieben. Daraufhin wurde am Freitagabend, den 15. Dezember 2023, nach Erlass der Staatsanwaltschaft ein Fahndungsfoto des Flüchtigen veröffentlicht. In der Nacht auf Sonntag, den 17. Dezember 2023, stellte sich der Mann dann in einer Polizeibehörde in Rheinland-Pfalz, wie die Polizei in Viersen berichtete.2

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
  2. Aus welchen Gründen ist der 37-jährige Entflohene in der psychiatrischen Einrichtung in Viersen untergebracht?
  3. Wie viele Entweichungen aus nordrhein-westfälischen psychiatrischen Einrichtungen gab es seit 2015 bis heute pro Jahr? (Bitte nach Ort, Grund des Aufenthalts in der Einrichtung, sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln, sowie anmerken, wann bzw. ob sie wieder festgenommen werden konnten und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  4. Wie vielen in nordrhein-westfälischen psychiatrischen Einrichtungen untergebrachte Personen wird derzeit unbegleiteter Ausgang gestattet? (Bitte nach dem Grund der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  5. Wie viele der seit 2015 bis heute pro Jahr aus nordrhein-westfälischen psychiatrischen Einrichtungen entflohenen Insassen haben auf ihrer Flucht weitere Verbrechen begangen? (Bitte nach auf der Flucht begangenes Delikt sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Markus Wagner

 

MMD18-7673

 

1 https://rp-online.de/nrw/staedte/viersen/viersen-aus-klinik-geflohener-straftaeter-stellt-sich-der-polizei_aid-103442785.

2 Ebenda.


Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3149 mit Schreiben vom 5. Februar 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vor­namen und Mehrfach-staatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
  2. Aus welchen Gründen ist der 37-jährige Entflohene in der psychiatrischen Ein­richtung in Viersen untergebracht?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Wuppertal hat dem Ministerium der Justiz unter dem 15. Januar 2024 im Wesentlichen berichtet, dass der 37-jährige Verurteilte durch das Landgericht Wuppertal am 26. Januar 2010 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei. Der Verurteilte habe sich seit dem 30. Juli 2009 in einstweiliger Un­terbringung und seit dem 3. Februar 2010 im psychiatrischen Maßregelvollzug befunden. Die­ser sei seit dem 6. Juli 2017 in der LVR-Klinik in Viersen vollzogen worden, die am 14. August 2023 unbegleitete Ausgänge des Verurteilten als günstig für die Behandlungsentwicklung be­fürwortet habe. Am 11. Dezember 2023 sei der Verurteilte von einem unbegleiteten Ausgang nicht auf seine Station zurückgekehrt. Am Abend des 16. Dezember 2023 gegen 21:35 Uhr habe er sich nach anwaltlicher Beratung der Polizei in Andernach gestellt und sei wieder der Unterbringung zugeführt worden. Straftaten in der Zeit des Entweichens seien nicht bekannt geworden.

Der Verurteilte sei in Deutschland geboren worden und besitze die deutsche Staatsangehö­rigkeit. Er sei unter anderem wegen Wohnungseinbruchdiebstahls mit Waffen vorbestraft.

  1. Wie viele Entweichungen aus nordrhein-westfälischen psychiatrischen Einrich­tungen gab es seit 2015 bis heute pro Jahr? (Bitte nach Ort, Grund des Aufent­halts in der Einrichtung, sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln, sowie anmerken, wann bzw. ob sie wieder festgenom­men werden konnten und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Eine Entweichung liegt vor, wenn sich die untergebrachte Person ohne Erlaubnis aus der Ein­richtung entfernt hat, länger als erlaubt außerhalb der Einrichtung aufhält oder während einer Ausführung entfernt.

In dem Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2023 wurden insgesamt 1.185 Entweichungen an die Aufsichtsbehörde gemeldet. Im vergangenen Jahrzehnt lag der prozen­tuale Anteil der Entweichungen bei durchschnittlich 4 % in Bezug auf die Anzahl der unterge­brachten Personen und bewegt sich damit auf einem gleichbleibenden Niveau.

 

Jahr Entweichungen
2015 95
2016 129
2017 138
2018 149
2019 126
2020 121
2021 115
2022 145
2023 167

 

  1. Wie vielen in nordrhein-westfälischen psychiatrischen Einrichtungen unterge­brachte Personen wird derzeit unbegleiteter Ausgang gestattet? (Bitte nach dem Grund der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung sowie Tätermerk­malen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Ziel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. in einer Entziehungsan­stalt ist die Wiedereingliederung der untergebrachten Personen in die Gesellschaft. Durch Be­handlung der Anlasserkrankung sollen mögliche zukünftige Straftaten verhindert werden. Die untergebrachte Person erbringt durch die Unterbringung somit ein Sonderopfer für die Allge­meinheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Unterbringung vor diesem Hintergrund freiheitsorientiert und therapiegerichtet auszugestalten, sodass Lockerun­gen gewährt werden müssen, sobald die prognostizierte individuelle Gefährlichkeit der unter­gebrachten Personen dies zulässt.

Mit Stichtag vom 1. Dezember 2023 waren 3.662 Personen strafrechtsbezogen untergebracht, davon verfügten insgesamt 678 Personen über das Maß der Freiheitsentziehung Grad 0 (Be­rechtigung außerhalb der Einrichtung zu wohnen). Das Maß der Freiheitsentziehung wird ge­mäß § 4 StrUG NRW individuell festgelegt.

Die Entscheidung, ob unbegleitet Ausgänge gewährt werden, obliegt den Therapeuti-schen/Ärztlichen Leitungen der Klinik. Eine Statistik der gewährten Maße der Freiheitsentzie­hung gemäß Grad 2 (Berechtigung, unbegleitet Ausgänge wahrzunehmen) bzw. gemäß Grad 1 (Berechtigung, außerhalb der Einrichtung zu übernachten) wird seitens der Fachaufsicht nicht geführt.

  1. Wie viele der seit 2015 bis heute pro Jahr aus nordrhein-westfälischen psychiatri­schen Einrichtungen entflohenen Insassen haben auf ihrer Flucht weitere Verbre­chen begangen? (Bitte nach auf der Flucht begangenes Delikt sowie Tätermerk­malen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Die nachfolgende Übersicht enthält die jährliche Zahl der Entweichungen aus einer strafrechts­bezogenen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsan­stalt sowie die Anzahl der an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gemeldeten Straftaten während der Entweichungen ab 2019.

Durch eine interne Umstellung des Erfassungssystems ist eine Auswertung der begangenen Straftaten während einer laufenden Entweichung für die Jahre 2015 bis einschließlich 2018 nicht ohne erheblichen Verwaltungsaufwand möglich und kann daher binnen der zur Beant­wortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erhoben werden.

 

Jahr Anzahl der Entweichungen Anzahl Straftaten
2019 126 6
2020 121 7
2021 115 4
2022 145 12
2023 167 13

 

Bei den gemeldeten Straftaten handelte es sich in der Regel um Delikte wie Erschleichen von Leistungen, Verstoß gegen das BtMG, Diebstahl und Widerstand gegen Vollstreckungsbe­amte bei der Festnahme. In zwei Fällen kam es zu räuberischen Erpressungen mittels Bedro­hungen mit einem gefährlichen Gegenstand.

 

MMD18-7989

Beteiligte:
Markus Wagner