Von der Illusion zur Realität – Mangel im sozialen Wohnungsbau gerecht verteilen

Antrag
vom 17.11.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 17.11.2020

 

Von der Illusion zur Realität – Mangel im sozialen Wohnungsbau gerecht verteilen

I. Ausgangslage

Sozial geförderter bzw. preisgebundener Wohnraum dient vorrangig dazu, „Wohnraum für Haushalte zu schaffen, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind“.1

Für diese Zielgruppe geht das Angebot an preisgebundenen Wohnungen jedoch seit Jahren immer mehr zurück. In Nordrhein-Westfalen wurde im Jahre 1979 mit 1,6 Mio. sozial geförderter Wohnungen ein Höchststand erreicht – von da an ging es ständig steil bergab. Im Jahre 2000 standen nur noch gut 880.000 entsprechende Wohnungen zur Verfügung; derzeit sind es weniger als 458.000 (Stand 2018).2

Nach Angaben der NRW-Bank wird der preisgebundene Wohnungsbestand bis zum Jahre 2030 weiter um rund 34 Prozent3 bis auf 308.500 zurückgehen: Diese Zahlen berücksichtigen allerdings keine Neuzugänge.

Der bisherige Neubau von sozial geförderten Wohnungen kann den bestehenden Bedarf nicht decken. Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf den durch die Masseneinwanderung von Flüchtlingen entstandenen zusätzlichen Bedarf. Auch das laufende Wohnungsförderungsprogramm 2018 bis 2022 (mit 5,6 Mrd. Euro) konnte bisher keine Abhilfe schaffen.

Zwar fiel in den letzten Jahren der Rückgang von Wohnungen mit Mietpreisbindung geringer aus, dafür stieg jedoch der Anteil der Wohnungen in der Nachwirkungsfrist, also in der weiteren, allerdings verkürzten Bindung nach vorzeitiger Rückzahlung der öffentlichen Förderung massiv auf nunmehr rund ein Viertel des Bestands an. Durch diese Entwicklung ist bereits für das Jahr 2025 mit einem weiteren deutlichen Rückgang auf nur noch rund 340.000 sozialgebundene Mietwohnungen zu rechnen; es werden also während knapp zehn Jahren rund 128.000 Wohnungen aus der Mietpreisbindung gefallen sein (Zeitraum von 2016 bis 2025).4 Und gemäß der Modellrechnungen der NRW.Bank wird sich insbesondere in den Großstädten des Landes dieser Rückgang bis zum Jahre 2040 weiter fortsetzen.5

Eigentlich müssten aus Sicht des wohnungswirtschaftlichen Spitzenverbandes GdW jährlich bundesweit 80.000 preisgebundene Wohnungen errichtet werden; im Jahre 2018 waren es aber nur 27.0006, davon 8.662 in Nordrhein-Westfalen. Das NRW-Aktionsbündnis „Wir wollen Wohnen“ kommt für Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass, „um das heutige Niveau von rund 450.000 Mietwohnungen zu erhalten, […] bei 25 Jahren Bindungsdauer rechnerisch jedes Jahr 18.000 Wohnungen gefördert werden“ müssten.7

Auch wenn seit Beginn dieses Jahrzehnts die Baufertigstellungen insgesamt stetig angestiegen sind und der Rückgang des Anteils der Sozialraumförderung am gesamten Wohnungsbau gestoppt werden konnte, ist festzustellen, dass im Ergebnis das Angebot von preisgebundenen Wohnungen abnimmt, während die Nachfrage steigt und im Zuge der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wahrscheinlich weiter steigen wird.

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine namhafte Zahl von Wohnungen von Mietern belegt ist, welche die Einkommensgrenzen, die ihnen zu Beginn des Mietverhältnisses die Belegung der Wohnung erlaubten, längst überschritten haben. Belastbare Angaben liegen zu diesem Bereich allerdings nicht vor, da in Nordrhein-Westfalen keine Fehlbelegungsabgabe mehr erhoben wird.

Auch wenn der unumgängliche bürokratische Aufwand als Argument gegen die Erhebung einer Fehlbelegungsabgabe angeführt oder die soziale Mischung als angeblicher Stabilitätsfaktor für die Wohnquartiere als Begründung für die Beibehaltung dieses Zustands vorgetragen wird, bleibt die offene Frage nach sozialer Gerechtigkeit weiterhin zu beantworten.

Mit Scheinlösungen im Bereich mietrechtlicher Regulationen wie Verordnungen zur Mietpreisbremse, Kappungsgrenze, Umwandlung u.a. ist das hier vorliegende Problem nicht zu lösen, da auf diesem Wege keine einzige zusätzliche neue Wohnung entsteht. Die neue Mieterschutzverordnung (MietSchVO NRW), die zum 1. Juli 2020 in Kraft getreten ist, bringt ebenfalls keine Veränderung mit sich: Auch sie regelt nur die Mietpreisbegrenzung bei Neuvertragsmieten, die Bestandsmieten und den Kündigungsschutz. Zusätzliche Wohnungen entstehen nicht.

Als Zugangskriterium für den Bezug einer Sozialwohnung ist zunächst ein sog. „Wohnberechtigungsschein“ erforderlich. Im Jahr 2018 wurde in NRW von 91.700 Haushalten (mit 191.200 Personen) um einen solchen Schein nachgesucht.

Die Chance, eine freie Sozialwohnung zu erhalten, ist jedoch in vielen Städten trotz einer amtlich bestätigten Berechtigung gering. Die Vermittlungsquote, d.h. der Anteil der wohnungssuchenden Haushalte, die eine entsprechende Wohnung erhalten konnten, lag im Jahre 2018 im Landesdurchschnitt nur bei 39 Prozent.8 Diese Situation hat sich in der Zwischenzeit nicht etwa verbessert, sondern weiter verschlechtert. Der Anteil der nicht versorgten Haushalte stieg beispielsweise in Dortmund seit dem Jahre 2012 um 45 Prozent.9

Dieser Zustand und das Wissen darum tragen sicherlich dazu bei, dass viele Anspruchsberechtigte sich nicht mehr der Mühe unterziehen, einen umfassenden Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein zu stellen, Den Menschen ist klar, dass die Chance, eine entsprechende Sozialwohnung anmieten zu können, immer geringer wird. Der Schein bestätigt schließlich nur eine grundsätzliche Berechtigung auf den Bezug einer Sozialwohnung bei ausreichend verfügbarem Wohnraum, aber keinen entsprechenden Anspruch. Auf Grund der großzügig geregelten Einkommensgrenzen ist in vielen Städten die Zahl der potentiellen Anspruchsberechtigten inzwischen so hoch, dass die Schere zwischen der Zahl der Anspruchsberechtigten und dem verfügbaren Angebot immer weiter auseinanderklafft.

Und hier wird nur die Spitze des Eisbergs sichtbar, da insbesondere in den Großstädten 50 Prozent der Einwohner nach Angaben des Deutschen Mieterbunds Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein hätten.10

Es ist somit festzustellen, dass es trotz hoher finanzieller Aufwendungen nicht gelingt (und sich das auch mit gesteigerten Anstrengungen kurzfristig kaum ändern wird), das Angebot an Wohnungen für diese Menschen deutlich zu erhöhen. Es gelingt derzeit nicht, vornehmlich sozial schwache Schichten und kinderreiche Familien mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. So konnte z.B. in Dortmund einer großen Zahl von Fünf-Personen-Haushalten und Haushalten mit sechs und mehr Personen keine familiengeeignete geförderte Wohnung vermitteln werden.11

Es ist absehbar, dass eine ausreichende entsprechenden Versorgung mit den bisherigen Maßnahmen nicht zu erreichen ist, sondern dass neue Wege eingeschlagen werden müssen, um zu einer gerechten Verteilung angesichts des sich verschärfenden Mangels an preisgebundenen Wohnungen zu kommen.

Denn für die Zielgruppe der Bezieher von niedrigen bis mittleren Einkommen oder von Transferleistungen verschlechtern sich die Chancen, eine bezahlbare Wohnung zu finden, von Jahr zu Jahr.12 Und die seit dem Jahre 2016 neu hinzugekommene große Nachfragegruppe der sog. Flüchtlingshaushalte verschärft unter diesen Bedingungen das Problem zusätzlich.13 Vor diesem Hintergrund ist eine Konkretisierung der Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung unumgänglich, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf,

  1. zu prüfen, ob die Anforderungen zur Erlangung eines Wohnberechtigungsscheins in Zukunft restriktiver gestaltet werden müssen, um die Bedürftigkeit zielgenauer zu erfassen und den verfügbaren Bestand an entsprechenden Wohnungen gerechter zu verteilen;
  2. entsprechend die Einkommensgrenzen bei den rechtlichen Vorgaben zur Förderung und Nutzung von Wohnraum des Landes Nordrhein-Westfalen anzupassen;
  3. den Anteil der Eigenheimförderung in der sozialen Wohnungsbauförderung zu erhöhen, um den wachsenden Bedarf insb. von jungen Familien für den Eigenheimbau im Umland von Großstädten ermöglichen zu können;
  4. auf Bundesebene initiativ zu werden, um beim Wohngeld die Einkommensgrenzen in den Mietstufen, denen die Gemeinden zugeordnet sind, zu erhöhen.

Roger Beckamp
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 2

2 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 2

3 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2016, Düsseldorf 2017, S. 30

4 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2016, Düsseldorf 2017, S. 42

5 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 299 vom 12. September 2017, Bezahlbares Wohnen in Nordrhein-Westfalen, Drucksache 17/900 vom 12.10.2017, Tabelle 2

6 C.H.: Soziale Rendite, in: Die Welt vom 27. Juni 2020, S. 47

7 Stellungnahme des NRW-Aktionsbündnisses „Wir wollen Wohnen“ zur Anhörung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen des Landtags NRW zum 11. September 2020, Landtagsdrucksache Stellungnahme 17/2993, S. 3

8 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 61

9 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 43

10 https://www.mieterbund-nrw.de/startseite/news-details/angemessene-wohnraumversorgung-muss-zentrale-rolle-spielen/

11 vgl. Stadt Dortmund (Hrsg.): Wohnungsmarktbericht 2019, S. 65

12 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 7

13 vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Preisgebundener Wohnungsbestand 2018, Düsseldorf 2019, S. 37