Wann beendet das MKFFI die Förderung eines Projekts gegen Antisemitismus, bei dem einer der Gesellschafter des Trägers gleichzeitig eine „Messe“ ausrichtet, die in das Milieu von Muslimbruderschaft und Salafisten führt?

Kleine Anfrage
vom 11.06.2021

Kleine Anfrage 5607der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 11.06.2021

 

Wann beendet das MKFFI die Förderung eines Projekts gegen Antisemitismus, bei dem einer der Gesellschafter des Trägers gleichzeitig eine Messe“ ausrichtet, die in das Milieu von Muslimbruderschaft und Salafisten führt?

Die Frage nach einer möglichen Nähe des Projekts „Vielfalt zum Anfassen: Schüler*innen gegen Antisemitismus“ der JuMu Deutschland gGmbH (Juden und Muslime) war bereits mehrfach Thema parlamentarischer Nachfragen.

Ausgangspunkt war die am 15. September 2020 erfolgte Veröffentlichung einer Islamismus-Expertin mit dem Titel „Vorzeige-Projekt im Zwielicht“. Darin kam die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass bei der „genauen Betrachtung“ des Projekts JuMu „Bezüge zu langjährig bekannten Akteuren aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft auffallen“.1

Mögliche Bezüge der JuMu Deutschland gGmbH zu Personen oder Organisationen aus dem Netzwerk der Muslimbruderschaft sind insofern politisch von Belang, als dieses Projekt seit dem Jahre 2018 vom Landesintegrationsministerium (MKFFI) gefördert wird.2 Gegenwärtig, das heißt in den Jahren 2020 und 2021, wird das Projekt laut Integrationsminister Dr. Joachim Stamp mit jährlich 136.630,63 Euro aus Landesmitteln gefördert.3

Auf Nachfragen zu einer möglichen Nähe des Projekts „Vielfalt zum Anfassen: Schüler*innen gegen Antisemitismus“ antwortet Minister Dr. Stamp schon seit längerer Zeit nur sehr ausweichend. So berichtete er dem Integrationsausschuss am 17. November 2020:

„Anwürfe gegen den Projektträger, die ihn in die Nähe des Extremismus’ rücken, sind nicht sachgerecht. Die Teilnahme von Mitwirkenden des Projekts, Vielfalt zum Anfassen’ an der Muslimischen Bildungsmesse im Herbst 2019 ist bekannt. Weder ist JuMu eine MB-nahe Organisation noch gibt es weitergehende Erkenntnisse über Verbindungen von JuMu Deutschland zur Muslimbruderschaft oder zu Vereinen, die dieser zugerechnet werden.“

In einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky (AfD) räumte Minister Dr. Stamp später ein, dass mit der Umschreibung der „Muslimischen Bildungsmesse im Herbst 2019“ die „Islamische Bildungsmesse“ gemeint war, die am 8. Dezember 2019 in Hürth bei Köln stattgefunden hat.4

Diese „Islamische Bildungsmesse“ ist jedoch als Treffen Muslimbruder-naher Personen und Organisationen bekannt.5 Das bestätigte Minister Dr. Stamp später auch damit, dass er einräumte, dass „einzelne Teilnehmer der Bildungsmesse für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind“.4 Schon alleine die Erkenntnis über die Teilnahme von Mitwirkenden des Projekts „Vielfalt zum Anfassen“ an einer Messe, bei der wiederum einzelne Teilnehmer für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind, hätte zwingend zu einer näheren Begutachtung durch das MKFFI führen müssen. Hier steht die Frage im Raum, wie eng mögliche Verbindungen von JuMu Deutschland gGmbH zur Muslimbruderschaft oder zu Vereinen, die dieser zugerechnet werden, tatsächlich sind.

Selbst bei einer eher oberflächlichen Begutachtung wäre rasch aufgefallen, dass es sich bei dem Ausrichter der Islamischen Bildungsmesse in Hürth um den Freien Verband der Muslime (FVM) handelte. Vorsitzender des FVM war zum damaligen Zeitpunkt W. „Konkret wurde der FVM seinerzeit im Impressum der Bildungsmesse mit W. als verantwortlicher Person benannt“, heißt es dazu in dem bereits erwähnten Artikel der Islamismus-Expertin.1 Damit kann W. wahrscheinlich als Organisator der Islamischen Bildungsmesse in Hürth bei Köln gesehen werden. Gleichzeitig ist der FVM aber auch einer von insgesamt zwei muslimischen Gesellschaftern der JuMu Deutschland gGmbH.6 Außerdem ist W. einer der beiden Geschäftsführer der JuMu Deutschland gGmbH.7

Dass diese klare und darüber hinaus leicht im Internet zu recherchierende Verbindungslinie von der JuMu Deutschland gGmbH über W. und den FVM zur Islamischen Bildungsmesse in Hürth und damit zu einem Treffen muslimbrudernaher Personen und Organisationen dem MKFFI entgangen ist, lässt sich kaum vorstellen. Selbst dann bliebe immer noch festzuhalten, dass das MKFFI von dieser Tatsache spätestens am 10. Dezember 2020 durch die Kleine Anfrage 4736 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky (AfD) nachweislich Kenntnis erlangt hatte.8 Trotzdem erklärt der Integrationsminister mit Schreiben vom 11. Januar 2021 erneut: „Dem Verfassungsschutz NRW liegen keine weitergehenden Erkenntnisse über Verbindungen von JuMu Deutschland zur Muslimbruderschaft oder zu Vereinen, die dieser zugerechnet werden, vor.“4

Diese Antwort ist auf Grund der erneut aufgezeigten und belegten engen Verbindungen über W. und den FVM sachlich kaum nachvollziehbar. Außerdem fällt auf, dass Minister Dr. Stamp mit seiner Antwort das Kunststück vollbracht hat, entsprechende Verbindungen zu leugnen, aber gleichzeitig nicht zu bestreiten. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sowohl Landesverfassungsschutzchef Burkhard Freier als auch Landesinnenminister Herbert Reul in den letzten zwei Jahren mit teilweise eindringlichen Worten vor dem Einfluss der Muslimbruderschaft gewarnt und diese dabei auch als „Gefahr für die Demokratie“ bezeichnet hatten, sind die eher ausweichenden Antworten von Minister Dr. Stamp zur JuMu Deutschland gGmbH verwunderlich.

Dies gilt ganz besonders für seine Antwort auf die letzte Frage der Kleinen Anfrage 4736. Diese Frage lautete: „Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zum FVM vor, insbesondere unter dem Aspekt möglicher Bezüge zur Muslimbruderschaft?“ Darauf antwortete Minister Dr. Stamp:

„Bezüge des FVM zur Muslimbruderschaft sind der Landesregierung nicht bekannt. Berührungspunkte bestehen lediglich durch den, Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.‘ (ZMD), dem sowohl der FVM als auch die der Muslimbruderschaft zuzurechnende, Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V.‘ (DMG) angehören.“4

Hier leugnet der Integrationsminister völlig, dass die Islamische Bildungsmesse in Hürth vom FVM ausgerichtet wurde und damit ein ganz klarer Berührungspunkt vom FVM zur Muslimbruderschaft besteht. Dies ist vor allem deshalb unverständlich, weil er in derselben Antwort bereits eingeräumt hatte, dass „einzelne Teilnehmer der Bildungsmesse für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind“.4 Damit widersprechen sich einzelne Antworten gegenseitig; denn selbst wenn es tatsächlich nur „einzelne Teilnehmer“ der „Bildungsmesse“ waren, die für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind, so wäre das immer noch ein sehr viel deutlicherer und klarerer Berührungspunkt des FVM zur Muslimbruderschaft als eine Beziehung über den ZMD und die DMG.

Zudem könnte auch die Darstellung von Minister Dr. Stamp, dass „lediglich einzelne Teilnehmer der Bildungsmesse für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt sind“, angezweifelt werden. So heißt es in einem anderen Artikel, in dem die einzelnen Teilnehmer der Islamischen Bildungsmesse detailliert begutachtet wurden, wörtlich:

„Schiiten, Aleviten oder Ahmadiyya scheinen bei dieser Messe nicht dabei gewesen zu sein. Insofern täuscht auch die Eigenbeschreibung des Veranstalters etwas, nach der es sich bei der, Bildungsmesse‘ um eine islamische gehandelt habe. Das mag im engeren Sinne so sein. Die Breite des islamischen Lebens in Deutschland fand sich dort jedoch nicht. Tatsächlich finden sich dort mehr als nur einzelne Akteure aus dem ewig gleichen Geflecht in der Grauzone zwischen Muslimbruderschaft und Salafisten. Für diese Auswahl ist der Freie Verband der Muslime (FVM) verantwortlich, der als Veranstalter der Messe auftritt.“9

Die Darstellung des Integrationsministers, „lediglich einzelne Teilnehmer“ dieser Messe seien für ihre langjährigen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt, bezeichnet die Autorin in ihrem Fazit als „vielleicht nicht falsch, aber dennoch etwas schönfärberisch“.10

Angesichts des in den letzten Jahren dramatisch gestiegenen Antisemitismus’, insbesondere aus dem islamistischen Bereich, darf es beim Umgang der Landesregierung mit derlei Projekten jedoch keine Schönfärberei geben. Ein gemeinsames jüdisch-muslimisches Projekt gegen Antisemitismus wie das Projekt „Vielfalt zum Anfassen“ der JuMu Deutschland gGmbH zu fördern, ist vom MKFFI sicherlich gut gemeint gewesen. Aber vor einer Förderung müssen alle Träger und Gesellschafter eines solchen Projekts genau unter die Lupe genommen werden. Und bei diesem Projekt hat sich nun einmal nachweislich herausgestellt, dass einer der Gesellschafter gleichzeitig eine Messe ausgerichtet und für diese Teilnehmer ausgesucht hat, die in der „Grauzone zwischen Muslimbruderschaft und Salafisten“ beheimatet sind. Mit einem solchen Gesellschafter dürfte die Landesregierung grundsätzlich nicht zusammenarbeiten, geschweige denn, diesen mit Steuermitteln fördern oder sonst wie auszustatten.

In diesem Zusammenhang ist es auch besonders bedenklich, dass die Islamische Bildungsmesse im Dezember 2019 keine singuläre Veranstaltung war. Auf der Internet-Seite des Veranstalters wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die zweite Messe dieser Art, die ursprünglich am 21. November 2020 stattfinden sollte, nur wegen der Corona-Krise auf 2021 verschoben wurde.11 Im Impressum der Internet-Seite dieser Messe werden erneut der FVM sowie dessen Geschäftsführer W. als Verantwortliche benannt.12

Aussteller oder Teilnehmer an Workshops dieser „Messe“ werden auf deren Internet-Seite jedoch nicht mehr namentlich aufgeführt. Dieses Vorgehen könnte eine Konsequenz aus den Veröffentlichungen einer Islamismus-Expertin sein. Leider spricht diese Tatsache aber auch dafür, dass keine inhaltliche Neuausrichtung dieser „Bildungsmesse“ stattgefunden hat, etwa hin zu Ausstellern oder Teilnehmern aus einem normalen bzw. nicht-extremistischen Milieu. Es stellt sich die Frage, ob der FVM und W. ggf. verhindern wollten, dass erneut öffentlich bekannt wird, wer eigentlich an dieser Messe teilnimmt.

Damit ist der nachträglich auf dieser Internet-Seite eingefügte Hinweis, die „Islamische Bildungsmesse“ sei als „offenes Konzept konzipiert“ und verfolge „weder eine politische noch eine ideologische Agenda“, ebenfalls nicht als kaum glaubwürdig zu erachten. Denn wenn dem tatsächlich so wäre, spräche nichts dagegen, die Aussteller und Workshop-Teilnehmer öffentlich zu benennen (wie es vor den entsprechenden parlamentarischen Nachfragen ja gehandhabt wurde).

Für eine Landesregierung, die nicht mit Extremisten zusammenarbeiten will, sollte es nur eine Konsequenz geben: Die Zusammenarbeit mit der JuMu Deutschland gGmbH und damit auch die Förderung des Projekts „Vielfalt zum Anfassen“ müssen so lange ausgesetzt werden, bis sich die JuMu Deutschland gGmbH nachweislich und glaubwürdig von den Organisatoren der „Islamischen Bildungsmesse“, also vom FVM sowie von W., distanziert und getrennt hat.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Ist die Landesregierung auf Grund dieser klar nachvollziehbaren Belege und Verbindungen nunmehr bereit einzuräumen, dass es über den FVM, W. und der von ihm organisierten „Islamischen Bildungsmesse“ direkte Bezüge der JuMu Deutschland gGmbH zum Spektrum von Muslimbruderschaft und Salafisten gibt?
  2. Ist die Landesregierung bereit, die Zusammenarbeit mit der JuMu Deutschland gGmbH und damit auch die Förderung des Projekts „Vielfalt zum Anfassen“ zumindest so lange auszusetzen, bis sich die JuMu Deutschland gGmbH nachweislich und glaubwürdig vom „Bildungsmesse“-Ausrichter FVM sowie von dem dafür verantwortlichen W. distanziert und getrennt hat?
  3. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um potenzielle „Fehlgriffe“ wie die Förderung der JuMu gGmbH unter Leitung von W. künftig zu vermeiden?
  4. Gibt es weitere Projekte in der Förderung mit Landesmitteln, die von W. verantwortet oder mitverantwortet werden?
  5. Wie erklärt sich die Landesregierung die auffällig schwache Resonanz auf die „JuMu“-Aktivitäten in den sozialen Medien?

Gabriele Walger-Demolsky

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https://vunv1863.wordpress.com/2020/09/15/vorzeige-projekt-im-zwielicht/

2 Vgl. https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/landesregierung-unterstuetzt-zentralrat-der-muslime-im-kampf-gegen-antisemitismus

3 Vgl. Lt.-Vorlage 17/4211

4 Vgl. Lt.-Drucksache 17/12279

5 Vgl. https://vunv1863.wordpress.com/2019/12/05/koeln-bildungsmesse-mit-muslimbruedern/

6 Vgl. https://www.jumu-deutschland.de/jumu-deutschland/

7 Vgl. https://www.jumu-deutschland.de/impressum/

8 Vgl. Lt.-Drucksache 17/12090

9 Vgl. https://vunv1863.wordpress.com/2021/01/25/die-halal-checker-ii/ ,letzter Absatz

10 Vgl. https://vunv1863.wordpress.com/2021/01/25/die-halal-checker-ii/

11 Vgl. https://www.islamische-bildungsmesse.de/

12 Vgl. https://www.islamische-bildungsmesse.de/impressum/


Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 5607 mit Schreiben vom 16. Juli 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Mi­nister des Innern und der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet.

1. Ist die Landesregierung auf Grund dieser klar nachvollziehbaren Belege und Ver­bindungen nunmehr bereit einzuräumen, dass es über den FVM, W. und der von ihm organisierten „Islamischen Bildungsmesse“ direkte Bezüge der JuMu Deutschland gGmbH zum Spektrum von Muslimbruderschaft und Salafisten gibt?

Auf die Antworten 2, 4 und 5 der Kleinen Anfrage 4736 vom 11.01.2021, Landtagsdrucksache 17/12279, wird verwiesen.

2. Ist die Landesregierung bereit, die Zusammenarbeit mit der JuMu Deutschland gGmbH und damit auch die Förderung des Projekts „Vielfalt zum Anfassen“ zu­mindest so lange auszusetzen, bis sich die JuMu Deutschland gGmbH nachweis­lich und glaubwürdig vom „Bildungsmesse“-Ausrichter FVM sowie von dem dafür verantwortlichen W. distanziert und getrennt hat?

Nein.

3. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um potenzielle „Fehlgriffe“ wie die Förderung der JuMu gGmbH unter Leitung von W. künftig zu vermeiden?

Die Landesregierung sieht keinen Anlass, ihre Förderpraxis in Frage zu stellen.

4. Gibt es weitere Projekte in der Förderung mit Landesmitteln, die von W. verant­wortet oder mitverantwortet werden?

Nein.

5. Wie erklärt sich die Landesregierung die auffällig schwache Resonanz auf die „JuMu“-Aktivitäten in den sozialen Medien?

Die mediale Resonanz auf die Aktivitäten eines Projektträgers ist kein Kriterium für seine För­derwürdigkeit.

 

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