Warnung vor neuen Terrorangriffen und vermehrte Rekrutierung durch radikale Islamisten – Wie hoch ist die Gefahr?

Kleine Anfrage
vom 19.07.2023

Kleine Anfrage 1925

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Warnung vor neuen Terrorangriffen und vermehrte Rekrutierung durch radikale Islamisten Wie hoch ist die Gefahr?

Der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes Jürgen Kayser warnt vor neuen Terrorangriffen der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS). Bestimmte Ableger planen und propagieren demnach weitere Terroranschläge im Westen. Sie sollen dabei versuchen, hier neue Strukturen zu schaffen und vorhandene Strukturen weiter auszubauen. Explizit nennt Kayser in diesem Kontext die Terrorgruppe „Provinz Khorasan“, welche über ein starkes und ausgeprägtes Netz mit viel Reichweite in Afghanistan verfüge und auch in Europa agiere.1

Außerdem betont Kayser, dass die Verbreitung islamistischer Ideologien besonders über dem Wege des Internets geschehe, beispielsweise in Form von kurzen Videos auf Social-Media-Plattformen wie TikTok.2 Diese Plattformen erreichen heutzutage zum Großteil Jugendliche und teilweise sogar Kinder und können leicht geteilt und so auf schnell mehrere Tausend bis Millionen Aufrufe generieren. Im Jahr 2021 waren 20,34 Prozent der weiblichen Nutzer und 8,62 Prozent der männlichen Nutzer der Internetplattform TikTok zwischen 13 und 17 Jahre alt3, gehörten also zu einer Altersgruppe, die sich schnell von Propagandavideos, beispielsweise von salafistischen Anhängern des IS, beeinflussen und manipulieren lassen können. Überdies soll der Verfassungsschutz einen Anstieg von extremistischen Salafisten registriert haben, welche vermehrt Missionierungsarbeit betreiben und „versuchen, ihr islamistisches Gedankengut zu verbreiten“.4

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Was plant die Landesregierung konkret, um die wachsende Gefahr vor terroristischen Angriffen durch den „Islamischen Staat“ bzw. die vermehrte Missionierungsarbeit und Propagandaarbeit des IS, beispielsweise auf Social Media Plattformen, zu bekämpfen und zu vermindern?
  2. Plant die Landesregierung insbesondere Kinder und Jugendliche im Netz vor eben dieser Propaganda und Rekrutierungsarbeit des IS zu schützen?
  3. Wie schätzt die Landesregierung die Gefahr von Terroranschlägen durch den IS ein?
  4. Wie hoch schätzt die Landesregierung das Personenpotenzial des IS in Nordrhein-Westfalen ein? (Bitte nach Sympathisanten, Umfeld, relevanten Personen und terroristischen Gefährdern aufschlüsseln.)
  5. Kann die Landesregierung ausschließen, dass im Zuge der Migrationswelle weitere IS-Anhänger nach Nordrhein-Westfalen kommen?

Markus Wagner

Anfrage als PDF

1 https:// www .report-k.de/nrw-verfassungsschutz-warnt-vor-neuen-terrorangriffen-des-is/.

2 Ebenda.

3 https:// de .statista.com/statistik/daten/studie/1247328/umfrage/anteil-der-tiktok-nutzer-nach-altersgruppen-und-geschlecht-weltweit/.

4 https:// www .report-k.de/nrw-verfassungsschutz-warnt-vor-neuen-terrorangriffen-des-is/.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1925 mit Schreiben vom 13. Juli 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleich­stellung, Flucht und Integration, der Ministerin für Schule und Bildung sowie der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet.

  1. Was plant die Landesregierung konkret, um die wachsende Gefahr vor terroristi­schen Angriffen durch den „Islamischen Staat“ bzw. die vermehrte Missionie-rungsarbeit und Propagandaarbeit des IS, beispielsweise auf Social Media Platt­formen, zu bekämpfen und zu vermindern?

Der sicherheitsbehördliche Fokus liegt weiterhin auch und insbesondere auf der abstrakt ho­hen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, darunter der des sog. Islamischen Staa­tes (IS). Die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen bewerten fortwährend die Gefährdungslage des islamistischen Terrorismus und treffen bei möglichen Gefährdungssach­verhalten alle rechtlich zulässigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Zur Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK)-Religiöse Ideologie bzw. des is­lamistischen Terrorismus erfolgt eine intensive Zusammenarbeit Nordrhein-Westfalens mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Gemeinsamen Terrorismusabwehr-zentrum auf Bundesebene (GTAZ).

Seit November 2019 ist im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalens (LKA NRW) zusätzlich ein GTAZ NRW (angelehnt an das GTAZ im Bund) eingerichtet, welches durch ein standardi­siertes Besprechungswesen einen optimierten ressortübergreifenden Informationsaustausch anstrebt. Neben der Bearbeitung von Gefährdern und Relevanten Personen kommt ebenso der Früherkennung von islamistisch-terroristischen Personen und Netzwerken, auch im Inter­net, eine besondere Bedeutung zu. Hierzu wurden in den vergangenen Jahren u.a. im LKA NRW aber auch in den Kriminalinspektionen Staatsschutz die Auswerte- und Analysestellen eingerichtet und ausgebaut.

Die Kriminalinspektionen Staatsschutz und das LKA NRW wurden zudem personell weiter ver­stärkt. Der Polizeiliche Staatsschutz wurde seit 2017 personell insgesamt um über 300 Stellen verstärkt. Auch qualitativ erfolgte eine Verstärkung mit der Einstellung von Experten wie Is-lamwissenschaftlern, Politik- und Sozialwissenschaftlern sowie Psychologen.

Die Prävention ist ein wesentlicher Bestandteil der behördlichen Sicherheitsstruktur und zu­gleich ein entscheidender Erfolgsfaktor zur Reduktion von Gefahren des islamistischen Terro­rismus.

Das LKA NRW bildet in den Fachgebieten Kriminalprävention und Opferschutz das Bindeglied zwischen der Prävention auf Bundes- und Landesebene und den Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen. Es führt als Schnittstelle alle für die Kriminalprävention relevanten Infor­mationen – auch für den Bereich des Islamismus – zusammen und stellt diese den nordrhein-westfälischen Kreispolizeibehörden zur Verfügung.

Den für Kriminalprävention und Opferschutz zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kreispolizeibehörden werden unter anderem Mustervorträge zu den Themen „Islamismus“ und „Radikalisierungsprozesse“ zur Verfügung gestellt. Diese Vorträge informieren und sensibili­sieren, insbesondere zu den Themen Online-Radikalisierung, Rekrutierungsstrategien sowie zum Umgang mit islamistischen Inhalten und religiös-extremistischen Ansprachen in sozialen Netzwerken.

Im Falle von Missionierungs- und Propagandaarbeit islamistischer Terroristen auf Social-Me-dia-Plattformen, darunter der des sog. IS, ist die sicherheitsbehördliche Zielsetzung, verant­wortliche Personen und Netzwerke zu identifizieren, um Maßnahmen im Bereich der Strafver­folgung, sowie flankierend solche der sekundären und tertiären Prävention, durchzuführen bzw. anzustoßen. Dabei sind die Sicherheitsbehörden, wie im Fall von Telegram, vielfach auf die konstruktive Mitwirkung der Betreiber von sozialen Medien angewiesen, ihnen vorliegende Personendaten mitzuteilen.

  1. Plant die Landesregierung insbesondere Kinder und Jugendliche im Netz vor eben dieser Propaganda und Rekrutierungsarbeit des IS zu schützen?

Über den Kinder- und Jugendförderplan des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt die Lan­desregierung bereits vielfältige Projekte zur Extremismusprävention, zur Demokratiebildung, zur politischen Bildung und zur Stärkung der Medienkompetenz von jungen Menschen. Dar­über hinaus werden über den Kinder- und Jugendförderplan landesweite Fachstellen langfris­tig gefördert, um die benannten Themen fachlich zu begleiten und weiterzuentwickeln sowie Vernetzungs-, Austausch- und Weiterbildungsräume für Fachkräfte und ehrenamtliche Kräfte anzubieten.

Das Ministerium für Schule und Bildung hat insgesamt 54 Stellen für sogenannte „Fachkräfte Systemberatung Extremismusprävention (SYS-TEX)“ geschaffen, die Teil der schulpsycholo­gischen Beratungsstellen sind. Ziel ist es, mit diesen Stellen die Ressourcen der Schulpsycho­logischen Dienste zur Prävention gegen und die Intervention bei gruppenbezogener Men­schenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamismus und Salafismus sowie Rechts- und Linksextre­mismus deutlich zu verstärken und Schulen dabei zu unterstützen, Problemlagen rechtzeitig zu erkennen und die angemessenen Handlungsschritte einzuleiten. Darüber hinaus steht allen Schulen der Notfallordner „Hinsehen und Handeln“ zur Verfügung, der sowohl im Präventions-handbuch wie im Interventionsordner Unterstützung im Umgang mit Extremismus, Verschwö­rungsmythen und Radikalisierungsprozessen bietet.

Der dritte Bericht der IMAG „Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ wird in Kürze veröffentlicht.

Die Beratungskräfte des Landespräventionsprogrammes „Wegweiser“- bieten maßgeschnei­derte Medienkompetenzworkshops an. Im Fokus stehen Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. Sie erwerben Kompetenzen und lernen Werkzeuge kennen, mit denen sie Online-Dynamiken – Filterblasen, Algorithmen, Echokammer-Effekte – besser verstehen können. Ein Monitoring neuer Phänomene und Trends soll eine kontinuierliche Fortentwicklung der Weg­weiser-Angebote ermöglichen.

Das Aussteigerprogramm Islamismus (API), welches beim nordrhein-westfälischen Verfas­sungsschutz angesiedelt ist, richtet sich in erster Linie an stark radikalisierte und in die islamis­tische Szene eingebundene Personen. Auch Personen, die sich schon selbstständig in einen Distanzierungsprozess begeben haben, bietet das API den Raum, diesen Prozess nachhaltig zu festigen. Personen, die sich online radikalisiert haben, können auch durch das Aussteiger-programm begleitet werden. Voraussetzung für die Begleitung ist eine freiwillige Gesprächs­bereitschaft und die Bereitschaft, extremistische Denkmuster zu hinterfragen. Ziele des Pro­gramms sind die Distanzierung von der islamistischen Szene, die Unterstützung bei der Rein­tegration in die demokratische Gesellschaft, das Verhindern einschlägiger Straftaten und dadurch die Reduzierung des extremistischen Personenpotentials.

Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) unter­stützt Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Polizei, der Bildungs-, Jugend- und Sozialar­beit mit dem Medienpaket „Junge Menschen stärken – Radikalisierung vorbeugen“. Die erar­beiteten Kampagnen, Handreichungen und Initiativen stehen bundesweit allen Polizeidienst­stellen im Rahmen ihrer Präventionsarbeit zur Verfügung. Die polizeiliche Kriminalprävention ist mit anderen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren eng vernetzt und berücksichtigt hierbei, dass Kriminalprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Ziel von ProPK ist insbesondere die Stärkung und Förderung der Medienkompetenz junger Menschen im Um­gang mit extremistischen Angeboten und Ansprachen on- und offline, um einer potentiellen Radikalisierung frühzeitig vorzubeugen.

Darüber hinaus informiert die durch ProPK initiierte Internetseite „Polizei für dich“ Kinder und Jugendliche in jugendgerechter Sprache unter anderem zu Politisch motivierter Kriminalität aller Phänomenbereiche, zu Populismus und Extremismus sowie zu Hasskriminalität.

Das LKA NRW wirkt darüber hinaus auf Länder- und Bundesebene an Gremien- und Grund­lagenarbeit der Prävention mit und ist Teil von landesweiten Präventionsnetzwerken, wie zum Beispiel dem Landesarbeitskreis Jugendhilfe, Polizei und Schule Nordrhein-Westfalen (LAK NRW). Der LAK NRW führt interdisziplinäre Fachtagungen für Angehörige der Schule, der Jugendhilfe und der Polizei Nordrhein-Westfalens durch.

Jede Kreispolizeibehörde in Nordrhein-Westfalen verfügt über besonders geschulte Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter für die Prävention von Politisch motivierter Kriminalität sowie Jugend­kriminalität und Jugendschutz. Sie informieren und sensibilisieren, zum Beispiel im Rahmen von schulischen Veranstaltungen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie Lehrkräfte, Eltern und andere mit Kindern und Jugendlichen betraute Personen zu den Propaganda- und Rek­rutierungsstrategien des sog. IS.

Im Übrigen wird darüber hinaus auf die Antwort zu Frage 4 der Kleinen Anfrage 6441 (LT-Drs. 17/16868) verwiesen.

  1. Wie schätzt die Landesregierung die Gefahr von Terroranschlägen durch den IS ein?

Zur Beantwortung dieser Frage wird auf den Bericht für die Sitzung des Innenausschusses am 27.04.2023 (Vorlage 18/1179) verwiesen.

  1. Wie hoch schätzt die Landesregierung das Personenpotenzial des IS in Nordrhein-Westfalen ein? (Bitte nach Sympathisanten, Umfeld, relevanten Personen und ter­roristischen Gefährdern aufschlüsseln.)

Eine gezielte Auswertung des Personenpotenzials ist hinsichtlich einer Zuordnung zum sog. „IS“ im Sinne der Fragestellung nicht möglich. Darüber hinaus ist eine Aufschlüsselung des Personenpotenzials in Sympathisanten und Umfeld auch bei gezielter Auswertung nicht um­setzbar, da die beiden Begrifflichkeiten als solche sicherheitsbehördlich nicht definiert sind.

Im Übrigen wird hinsichtlich des islamistischen Personenpotenzials auf den Verfassungs­schutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2022 (vgl. dort Seite 29) verwie­sen.

  1. Kann die Landesregierung ausschließen, dass im Zuge der Migrationswelle wei­tere IS-Anhänger nach Nordrhein-Westfalen kommen?

Zur Beantwortung dieser Frage wird auf den Bericht für die Sitzung des Innenausschusses am 27.04.2023 (Vorlage 18/1179) verwiesen.

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Markus Wagner