Kleine Anfrage 871
der Abgeordneten Markus Wagner und Hartmut Beucker vom 07.12.2022
Warum erging trotz Folter und Mord kein Haftbefehl? – Hätte ein weiterer Tod verhindert werden müssen?
„Die Tatsachengrundlage muss weiter aufgeklärt werden.“1
So lautete im Jahre 2020 die Stellungnahme des Sprechers des Kölner Landgerichts. Mit anderen Worten, es gebe keinen Anlass für einen Haftbefehl. Obwohl die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhob, wurden die beiden Tatverdächtigen nicht verhaftet. Der Vorwurf, im April 2020 ihre Mitbewohnerin in Köln zu Tode gequält zu haben, reichte nicht aus.
Das mutmaßliche Täterpärchen zog daraufhin ins Ruhrgebiet und folterte mit vier weiteren Mittätern ein Opfer in dessen Wohnung in Essen. Das Opfer starb am 22. Juli 2022 nach einem Messerstich in den Brustkorb. Das tatverdächtige Pärchen zog nach der Tat zu einem der Mittäter, der dann ebenfalls eingesperrt und misshandelt wurde. Erst im Herbst dieses Jahres muss sich das Pärchen vor Gericht in Essen verantworten. Eine Anklage zur gefolterten und getöteten Person sei beim Landgericht Köln anhängig. Allerdings ist das Landgericht Köln nicht über das Verfahren in Essen in Kenntnis gesetzt worden.2
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu den oben genannten Vorfällen? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen deutscher Tatverdächtiger und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
- Welche genauen Gründe lagen vor, das mutmaßliche Täterpärchen nicht zu verhaften, obwohl die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte?
- Warum wurde das Landgericht Köln über das in Essen stattfindende Gerichtsverfahren nicht in Kenntnis gesetzt?
- Ist es gängige Praxis, dass sich die Organe der Justiz und Strafverfolgung bei Klageerhebung und Gerichtsverfahren nicht untereinander austauschen, um Kenntnisse und Sachstandsinformationen abzugleichen?
- Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass durch eine Verhaftung und Anklage des mutmaßlichen Täterpärchens der weitere Mord in Essen im Jahre 2022 womöglich hätte verhindert werden können?
Markus Wagner
Hartmut Beucker
1 Vgl. htt ps:// w w w . b i l d . d e / r e g i o n a l / r u h r g e b i e t / r u h r gebiet-aktuell/justiz-versage n-in-nrw-haette-das-k iller-paar-gest oppt-werden-k o e n n e n – 8 2 0 76870.bild.html.
2 E benda.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 871 mit Schreiben vom 5. Januar 2023 namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu den oben genannten Vorfällen? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen deutscher Tatverdächtiger und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
- Welche genauen Gründe lagen vor, das mutmaßliche Täterpärchen nicht zu verhaften, obwohl die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte?
- Warum wurde das Landgericht Köln über das in Essen stattfindende Gerichtsverfahren nicht in Kenntnis gesetzt?
Aus Gründen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 bis 3 gemeinsam beantwortet.
Nach Berichten der Leitenden Oberstaatsanwältin in Essen vom 15. und 23. sowie des Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln vom 16.12.2022 haben sieben Personen ausschließlich die deutsche und eine Person die italienische Staatsangehörigkeit. Erkenntnisse über Staatsangehörigkeitswechsel sind dem Ministerium der Justiz nicht berichtet worden.
Von Angaben zu Vornamen der Beschuldigten mit deutscher Staatsangehörigkeit wird unter Abwägung des parlamentarischen Informationsinteresses mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten sowie der Unschuldsvermutung abgesehen. Wegen der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung der Tat und weiterer, auch presseöffentlicher Angaben zu dem Verfahren wären die Beschuldigten bei Nennung des Vornamens identifizierbar. Dem parlamentarischen Informationsinteresse wird durch die vorstehenden Angaben zum Sachstand sowie durch den Bericht der Landesregierung zur Sondersitzung des Rechtsausschusses Rechnung getragen.
Im Übrigen wird auf den schriftlichen Bericht der Landesregierung zur Sondersitzung des Rechtsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen am 07.12.2022 zum TOP „Paar folterte mehrere Menschen – Gerichtsverfahren in Essen und Köln“ (LT-Vorlage 18/545) verwiesen.
- Ist es gängige Praxis, dass sich die Organe der Justiz und Strafverfolgung bei Klageerhebung und Gerichtsverfahren nicht untereinander austauschen, um Kenntnisse und Sachstandsinformationen abzugleichen?
Der Austausch von Informationen erfolgt nach gängiger Praxis im Rahmen geltenden Rechts nach den einschlägigen Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) und des Jugendge-richtsgesetzes (JGG) sowie nach dem Einführungsgesetzbuch zum Gerichtsverfassungsge-setz (EGGVG). Die gesetzlichen Vorgaben werden insbesondere durch die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) sowie die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) konkretisiert.
- Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass durch eine Verhaftung und Anklage des mutmaßlichen Täterpärchens der weitere Mord in Essen im Jahre 2022 womöglich hätte verhindert werden können?
Zu hypothetischen Geschehensabläufen äußert sich die Landesregierung nicht.