Was tut die Landesregierung gegen extremistische Klimaaktivisten?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 346
des Abgeordneten Markus Wagner vom 18.08.2022

 

Was tut die Landesregierung gegen extremistische Klimaaktivisten?

Wie Welt.de berichtet, ist eine zunehmende Radikalisierung bei Klimagruppen wie z. B. „Letzte Generation“ festzustellen. Auch der Verfassungsschutz sieht einen wachsenden Einfluss gewaltbereiter Linksextremisten auf die Klimabewegung in Deutschland.1 In der Klimabewegung herrsche darüber Konsens, dass Menschen sterben, weil die Regierung nicht radikaler gegen den Klimawandel vorgehe.2 Die Befürchtungen, dass zum Beispiel Mitglieder der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ planen oder erwägen könnten, ihre bisherigen Proteste auf radikalere Aktionsformen auszuweiten und dabei künftig Häfen und Flughäfen zu blockieren sowie Industrieanlagen und andere Maschinen, die den Klimawandel befördern, zu sabotieren oder zu zerstören, wurden von der Realität bereits eingeholt. So haben beispielsweise Aktivisten der Initiative „Letzte Generation“ im Februar dieses Jahres mit Luftballons den Sicherheitsbereich vor dem Rollfeld des Flughafens Berlin Brandenburg betreten. Ähnliche Vorfälle gab es bereits an den Flughäfen in München und Frankfurt am Main.3 Darüber hinaus gab es Versuche, bei Demmin und Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern, die Öl-Zufuhr für die PCK-Raffinerie in Schwedt abzudrehen.4

Auch die Gruppe „Ende Gelände“ diskutiert darüber, ihre Aktionen noch weiter zu radikalisieren. Dabei hält es einer der Mitbegründer von „Ende Gelände“ für möglich, dass sich eine „grüne RAF“ bildet.5 Erste Politiker fordern daher ein Einfrieren von Spenden sowie Präventionsgewahrsam für Straßenblockierer von Gruppen wie „Letzte Generation“. Recherchen von Welt am Sonntag haben ergeben, dass diese Gruppe sogar mittelbar von Fördergeldern des Bundeswirtschaftsministeriums profitiert. Spenden werden dabei auf einem Konto des Vereins Elinor eingezahlt, der von der Bundesregierung gefördert wurde.6

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele von der Gruppe „Letzte Generation“ initiierte respektive durchgeführte Aktionen wurden in Nordrhein-Westfalen bisher registriert? (Bitte nach Aktionsumfang und -ort aufschlüsseln.)
  2. Wie bewertet die nordrhein-westfälische Landesregierung die zunehmende Radikalisierung von Klimaaktivisten wie „Ende Gelände“, „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“?
  3. Inwieweit sind die unter 2. genannten Gruppen bereits in den Beobachtungsfokus des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gerückt?
  4. Für wie hoch erachtet die Landesregierung die potenzielle Gefahr, dass Gruppen wie unter anderem „Ende Gelände“ in absehbarer Zeit infrastrukturelle Anlagen sabotieren oder gar zerstören könnten?
  5. Plant die Landesregierung das Mittel des Präventionsgewahrsams anzuwenden, wenn z. B. Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ zu einer Straßenblockade aufrufen?

Markus Wagner

 

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1 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/plus240069137/Letzte-Generation-Strassenblockierer-profitieren-von-Foerdergeldern.html?.

2 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-die-klimaschuetzer-immer-militanter-werden-17816558.html.

3 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article237139093/Letzte-Generation-Klima-Aktivisten-dringen-in-Sicherheitsbereich-des-BER-vor.html.

4 Vgl. https://www.nordkurier.de/demmin/letzte-generation-greift-erneut-oel-pumpstation-bei-demmin-an-1648218505.html.

5 Vgl. https://www.rnd.de/politik/klimaschutz-gruene-raf-aktivisten-wollen-radikaler-werden-GV7XTCGLWJBVVMNBKTUHGHIDYY.html.

6 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/plus240069137/Letzte-Generation-Strassenblockierer-profitieren-von-Foerdergeldern.html?.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 346 mit Schreiben vom 14. September 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheit­lich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.

Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung o­der Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten;
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesens­merkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Ver­fassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben;
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus­wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
  • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörig­keit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äu­ßeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusam­menhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache o­der ein Objekt richtet.

Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß der §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a Strafgesetzbuch als Staats-schutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

Die Erhebung der Fallzahlen für das Jahr 2022 ist noch nicht abgeschlossen, weshalb die in diesem Bericht angegebene Fallzahl als vorläufig zu betrachten ist.

  1. Wie viele von der Gruppe „Letzte Generation“ initiierte respektive durchgeführte Aktionen wurden in Nordrhein-Westfalen bisher registriert? (Bitte nach Aktions­umfang und -ort aufschlüsseln.)

Hinsichtlich der Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“ verweise ich auf die Ausführungen zur Beantwortung der Kleinen Anfrage 202, LT-Drs. 18/300. Es sind seit diesem Zeitpunkt keine weiteren Aktionen der Gruppierung in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden.

  1. Wie bewertet die nordrhein-westfälische Landesregierung die zunehmende Radi­kalisierung von Klimaaktivisten wie „Ende Gelände“, „Letzte Generation“ und „Fridays for Future“?

Die Landesregierung stellt derzeit bei den genannten Gruppen weder eine Radikalisierung im Sinne eines qualitativen oder quantitativen Anstiegs von Straftaten im Kontext von Klima-schutzprotesten noch im Hinblick auf eine Zuwendung zum politischen Extremismus fest.

Eine Auswertung der Fallzahlen der PMK in Bezug auf einzelne Gruppierungen bzw. Bewe­gungen ist nicht möglich.

Stattdessen wurden Gewaltstraftaten aus dem Phänomenbereich der PMK-links- im Themen­feld „Klima“ für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 23.08.2022 ausgewertet.

Im Jahr 2019 wurden unter den oben genannten Voraussetzungen 92 Gewaltstraftaten erfasst. Im Jahr 2020 fiel die Anzahl der Gewaltstraftaten auf 69 und im Jahr 2021 auf 30 ab. Das Jahr 2022 verzeichnet bis zum 23.08.2022 sechs Gewaltstraftaten im Phänomenbereich PMK-links- im Zusammenhang mit dem Begriff „Klima“.

Die Fallzahlen zu Gewaltstraftaten sinken insoweit seit 2019 deutlich.

Zugleich stieg – in den vergangenen Jahren insbesondere aufgrund der öffentlichen Diskussi­onen – die quantitative Anzahl an Aktionen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz an. Dabei versuchen die Gruppierungen und Bewegungen, Aktionen möglichst öffentlichkeitswirksam umzusetzen. Dementsprechend gelangen diese verstärkt in den Fokus der Medien. Diese Ent­wicklung wird vor dem Hintergrund sinkender PMK-Fallzahlen durch die Landesregierung je­doch nicht als Form einer Radikalisierung bewertet.

Linksextremistische Akteure zielen darauf, demokratische Proteste zu radikalisieren, um ge­sellschaftliche Konflikte zu vertiefen und diese sukzessive gegen die freiheitliche demokrati­sche Grundordnung zu wenden. Dieser Strategie kommt die seit dem Jahr 2021 in der Klimabewegung einsetzende Diskussion entgegen, öffentlichkeitswirksame Aktionen auszu­weiten.

Dem Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalens liegen jedoch keine Hinweise vor, die auf einen nachhaltigen Effekt dieser Debatte im Sinne einer Radikalisierung in den Extre­mismus hindeuten: Eine extremistische Veränderung der Zielsetzung oder eine wesentliche Zuwanderung von Personenpotenzial in die extremistische Szene ist in Nordrhein-Westfalen bisher weder für die in Rede stehenden Gruppen noch für die Klimabewegung im Ganzen feststellbar.

  1. Inwieweit sind die unter 2. genannten Gruppen bereits in den Beobachtungsfokus des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gerückt?

Die Bewegung „Fridays for Future“ und der Personenzusammenhang „Letzte Generation“ sind derzeit keine Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes des Landes Nordrhein-Westfa­len.

Das Bündnis „Ende Gelände“ wird durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz als linksextremistisch beeinflusst bewertet. Beobachtet werden die extremistischen Akteure in „Ende Gelände“, nicht das Bündnis selbst.

  1. Für wie hoch erachtet die Landesregierung die potenzielle Gefahr, dass Gruppen wie unter anderem „Ende Gelände“ in absehbarer Zeit infrastrukturelle Anlagen sabotieren oder gar zerstören könnten?

Die Gruppierung „Letzte Generation“ hatte im April dieses Jahres angekündigt, infrastrukturelle Anlagen (Öl- und Gasschieberstationen) zu sabotieren. Bundesweit ist es im Anschluss zu entsprechenden Aktionen gekommen. Das Land Nordrhein-Westfalen war mit drei Aktionen betroffen. Im Juni dieses Jahres hat die Gruppierung „Letzte Generation“ in einem offenen Brief an die Bundesregierung mitgeteilt, dass das Sabotieren solcher Anlagen nicht dazu ge­eignet ist, den öffentlichen Diskurs maßgeblich zu prägen sowie die notwendige Reaktion der Verantwortlichen zu bewirken. Insofern distanziert sich die Bewegung in Teilen von derartigen Aktionen.

Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass Gruppierungen im Kontext des Klimaschutzes infrastrukturelle Anlagen angehen. Der Landesregierung liegen hierzu jedoch keine konkreten Hinweise oder Erkenntnisse vor.

  1. Plant die Landesregierung das Mittel des Präventionsgewahrsams anzuwenden, wenn z. B. Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ zu einer Straßenblockade aufrufen?

§35 Abs. 1 Nr. 2 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) gestattet der Polizei eine Ingewahrsamnahme von Personen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Ob und in welchem Umfang von den Maßnahmen Gebrauch gemacht wird, kann nur im jewei­ligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen ist. Dies lässt allgemeingültige Aussagen ohne Bezug zu einer konkreten Einsatzsituation nicht zu.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner