Weisungsbefugnis durch den Justizminister

Kleine Anfrage
vom 16.02.2024

Kleine Anfrage 3348

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Weisungsbefugnis durch den Justizminister

Am 4. Januar 2023 nahm ich erneut den tragischen Fall eines 65-Jährigen, der am 8. Juni 2018 vor einem Kiosk in Alsdorf von einem jungen Mann in Kung-Fu-Art gegen die Brust getreten wurde, zum Anlass, eine Nachfrage in Form einer Kleinen Anfrage zu stellen. Meine erste Kleine Anfrage bezüglich dieser Tragödie erfolgte am 7. November 2022. Das Opfer stürzte und schlug mit dem Kopf derartig auf den Asphalt, dass es einen Schädelbruch erlitt. Nach mehreren Operationen, bei denen ein großer Teil des abgestorbenen Gehirns entfernt werden musste, hat das Opfer nur noch einen halben Kopf, kann nicht mehr sprechen und leidet unter epileptischen Anfällen. Das zuständige Aachener Landgericht verurteilte die beiden 29-jährigen Täter – entgegen dem geforderten Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro – zu einer Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 Euro.1

Auf meine Frage, ob die Staatsanwaltschaft in Berufung respektive Revision gehen wird, wurde mir mitgeteilt, dass dies nicht der Fall sei.2 Dies nahm ich zum Anlass, um in meiner Nachfrage folgende Frage zu stellen:

„Warum existiert keine Weisung durch das Ministerium der Justiz, wonach die Staatsanwaltschaft in Berufung oder Revision gehen soll?“3

Die Landesregierung antwortete wie folgt darauf:

„Die Handhabung des externen Weisungsrechts durch das Ministerium der Justiz ist seit langem von äußerster Zurückhaltung geprägt und orientiert sich in gefestigter Praxis an den bereits in der 13. Legislaturperiode etablierten „Zehn Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen“, die folgenden Wortlaut haben (zu vgl. Deutsche Richterzeitung 2002, Seite 42):

‚1. Die Staatsanwaltschaften nehmen im Staatsgefüge eine Sonderstellung ein. Sie stehen – bildlich gesprochen – zwischen Exekutive und Judikative.

2. Staatsanwälte sind dem Legalitätsprinzip verpflichtet, d. h. dem Verfolgungszwang gegen jeden Verdächtigen ohne Ansehen der Person. Sie sollen dementsprechend frei ermitteln.

3. Die Staatsanwälte unseres Landes sind inhaltlich unabhängig. Ihnen und nicht dem Justizministerium obliegt die Entscheidungshoheit über die Ermittlungen.

4. Staatsanwälte unterliegen einer dreistufigen Aufsicht und Leitung: durch ihren Behördenleiter, durch den Generalstaatsanwalt und durch das Justizministerium. Das Gerichtsverfassungsgesetz schreibt dies so vor.

5. Das Justizministerium ist in diesem abgestuften Weisungssystem mit seinem sog. externen Weisungsrecht die letzte Instanz. Vorgeschaltet sind gleichsam als staatsanwaltschaftliche Selbstkontrolle die internen Aufsichts- und Weisungsrechte des Leitenden Oberstaatsanwalts als Behördenleiter und vor allem die des Generalstaatsanwalts als vorgesetzte Behörde.

6. Auf allen drei Stufen ist die unüberschreitbare Grenze für das Aufsichts- und Weisungsrecht das Legalitätsprinzip. Dieses begrenzt das Weisungsrecht kompromisslos.

7. Das Gesetz ermächtigt das Justizministerium zu Weisungen allgemeiner Art und auch zu Weisungen im Einzelfall.

8. In NRW erschöpft sich die Ausübung des ministeriellen Weisungsrechts in allgemeinen Weisungen, d. h. in dem Erlass landesweit geltender allgemeiner Regelungen. Diese sollen eine gleichmäßige Strafrechtspflege im Land gewährleisten.

9. Der Justizminister NRW macht von seinem Weisungsrecht in anhängigen Ermittlungsverfahren in ständiger Selbstbindung keinen Gebrauch. Allerdings gibt es eine vorstellbare Ausnahme. Fachaufsicht ist die Kontrolle der Richtigkeit der Dienstausübung – keinesfalls eine politische Kontrolle. Eine Weisung kommt deshalb in NRW nur in dem Fall in Betracht, dass der zuständige Generalstaatsanwalt gegen eine rechtsfehlerhafte staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung zu Unrecht nicht einschreitet.

10. Eine Weisung erginge auf jeden Fall nur in schriftlicher Form. Dies dient der Überprüfbarkeit und Transparenz. Adressat wäre stets der Generalstaatsanwalt als die zuständige Stelle im Instanzenzug. Dieser hätte die Weisung des politisch verantwortlichen Ministers seinerseits zunächst auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Im Falle einer Weitergabe der Weisung an die Staatsanwaltschaft übernähme er dann zugleich die Verantwortung dafür, dass die Weisung ausschließlich an Recht und Gesetz orientiert und nicht von politischen Erwägungen bestimmt ist.‘

Auch zur Prüfung der Einlegung von Rechtsmitteln gegen strafgerichtliche Entscheidungen sind im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz zunächst ausschließlich die Staatsanwaltschaften berufen. Hierbei haben sie Nummer 147 der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) zu beachten, wonach Rechtsmittel nur eingelegt werden sollen, wenn wesentliche Belange der Allgemeinheit oder der am Verfahren beteiligten Personen es gebieten und das Rechtsmittel aussichtsreich ist. Zur Nachprüfung des Strafmaßes ist nach der genannten Bestimmung ein Rechtsmittel nur einzulegen, wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht. Entscheidend sind stets sämtliche Umstände des jeweiligen Einzelfalls.

Zu dem mit der Kleinen Anfrage angesprochenen Sachverhalt hat der Generalstaatsanwalt in Köln dem Ministerium der Justiz am 18.11.2022 berichtet, gegen die staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung keine durchgreifenden Bedenken zu haben. Anlass, dem entgegenzutreten, besteht in Übereinstimmung mit den vorstehenden Leitlinien nicht.“4

Am 3. Januar 2024 berichtete die Tagesschau, dass Berlins Generalstaatsanwältin M. Koppers die Abschaffung des Weisungsrechts durch Justizminister von Bund und Ländern gefordert habe. Sie führte aus, dass der Europäische Gerichtshof dies schon länger anmahne. Zudem gebe es in vielen europäischen Ländern dieses Durchgriffsrecht auf konkrete Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften nicht. Koppers verwies bei ihrer Forderung gleichzeitig darauf, dass die AfD bundesweit hohen Zuspruch erfahre:

„Wenn ein AfD-Politiker den Justizminister stellte, dann möchte ich mir nicht vorstellen, wie die Strafverfolgung aussähe – vor allem im Bereich des Rechtsextremismus.“5

Sie sei zudem davon überzeugt, dass es „nicht mehr mit rechtsstaatlichen Mitteln zugehen“ wurde, „wenn sie [Anm.: die AfD] die Macht hätten“. Somit stelle die Abschaffung des Weisungsrechts „eine Entpolitisierung der Strafverfolgungsbehörden“ dar.6

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. In welchen Fällen folgte seit der Etablierung der „Zehn Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen“ trotz dessen eine Weisung durch den jeweiligen Minister der Justiz? (Bitte einzeln auflisten und begründen.)
  2. Welche Ausnahmen gibt es nach Ansicht der Landesregierung, die dazu führen, dass der Justizminister die Staatsanwaltschaft anweist, gegen ein ergangenes Urteil vorzugehen? (Bitte einzeln aufschlüsseln.)
  3. Ist die Landesregierung ebenfalls der Ansicht, dass das Weisungsrecht durch Justizminister von Bund und Ländern abgeschafft gehört?

Markus Wagner

 

MMD18-8071

 

1 Vgl. Antwort der Landesregierung vom 07.12.2022, Drs. 18/2087, S. 1.

2 Ebenda, S. 2.

3 Vgl. Antwort der Landesregierung vom 02.02.2023, Drs. 18/2810, S. 2.

4 Ebenda, S. 3 – 4.

5 https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-berlins-generalstaatsanwaeltin-koppers-fordert-abschaffung-des-weisungsrechts-durch-justizminister-100.html.

6 Ebenda.


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 3348 mit Schreiben vom 20. März 2023 na­mens der Landessregierung beantwortet.

  1. In welchen Fällen folgte seit der Etablierung der „Zehn Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen“ trotz dessen eine Weisung durch den jeweiligen Minister der Justiz? (Bitte einzeln auflisten und begründen.)

Die Erteilung von Weisungen wird im Ministerium der Justiz nicht statistisch erfasst. Eine hän­dische Auswertung sämtlicher Vorgänge, in denen dies in Betracht kommen könnte, kann mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht geleistet werden.

  1. Welche Ausnahmen gibt es nach Ansicht der Landesregierung, die dazu führen, dass der Justizminister die Staatsanwaltschaft anweist, gegen ein ergangenes Ur­teil vorzugehen? (Bitte einzeln aufschlüsseln.)

Auf Ziffer 9 der „Zehn Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsan­waltschaften in Nordrhein-Westfalen“ wird hingewiesen.

  1. Ist die Landesregierung ebenfalls der Ansicht, dass das Weisungsrecht durch Justizminister von Bund und Ländern abgeschafft gehört?

Das justizministerielle Weisungsrecht in Bezug auf generelle Sachbehandlungshinweise und allgemeine Rechtsanwendungsregelungen hat sich bewährt, um eine gleichmäßige Straf­rechtspflege zu gewährleisten. Hinsichtlich der Handhabung des externen Weisungsrechts durch den Minister der Justiz verweise ich auf die Darstellung der „Zehn Leitlinien zur Aus­übung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen“ in der Antwort auf die Kleine Anfrage 960 (LT-Drs. 18/2810). Auch diese haben sich nach Ansicht der Landesregierung bewährt. Das Weisungsrecht fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

 

MMD18-8606

Beteiligte:
Markus Wagner