Kleine Anfrage 1948der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 08.01.2019
Welche Informationen hat die Landesregierung zum „Treffen der europäischen Muslime“ in Köln und zum Kulturtreffen der Muslimbruderschaft in Bochum?
Laut Informationen von NRW.direkt1 hat die türkische Religionsbehörde Diyanet in der DITIB-Moschee in Köln eine dreitägige Tagung abgehalten. Die Islamismus-Expertin Sigrid H. -M. wies gegenüber NRW.direkt darauf hin, dass „auch Personen aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft daran teilgenommen haben.“ Die Konferenz unter dem Titel „Treffen der europäischen Muslime – Die Zukunft der Muslime in Europa“ fand in der Zeit vom 02. – 04.01.2019 statt. Eröffnet wurde die Zentralmoschee am 29.09.2018 durch Diyanet-Präsident Ali Erbas und Staatspräsident Erdogan. Bereits die Eröffnung der Moschee war seinerzeit verbunden mit Unstimmigkeiten zwischen Vertretern der Landesregierung, der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln und DITIB.2 Organisiert wurde die Veranstaltung in der Kölner DITIB-Zentralmoschee dem Vernehmen nach von Diyanet und der Muslimbruderschaft. Gewertet wird die Konferenz als Reaktion auf die Islam-Konferenz in Berlin im November 2018. Anders als in den deutschen Medien wurde die Veranstaltung in der türkischen Zeitung Hürriyet angekündigt: „Das Treffen, an dem 80 Vertreter aus 18 Ländern teilnehmen sollen, wird voraussichtlich zur Zusammenarbeit zwischen religiösen Institutionen in Europa beitragen, den Austausch von Wissen und Erfahrungen verbessern, religiöse Dienstleistungen und Religionsunterricht auf gesunde Weise anbieten, die gegenwärtigen Probleme lösen und ein Umfeld für Frieden und Ruhe in der Region schaffen.“3 Ali Erbas sagte auf dieser Konferenz, dass es so etwas wie einen deutschen, französischen oder europäischen Islam nicht gäbe und der Islam als Religion des Friedens die allgemein gleichen gültigen Werte auf der ganzen Welt verteidige.4 Er erteilte damit der Vision, dass es einen deutschen Sonderweg bezüglich des Islam geben könnte, eine Abfuhr.5 Ali Erbas warnte die Länder Europas, dass die Zukunft der europäischen Muslime nicht unabhängig vom Rest der islamischen Welt betrachtet werden könne.6 Vertreten waren auf der Konferenz u.a. hohe Vertreter der Muslimbruderschaft: Hussein H., Generalsekretär des „Europäischen Rates für Fatwa und Forschung“, und Khaled H., dem Vernehmen nach eine der führenden Figuren der Muslimbruderschaft in Deutschland. Beide wurden kürzlich zum Generalsekretär bzw. stv. Generalsekretär des ECFR, einem wichtigen Gremium der europäischen Muslimbruderschaft, gewählt. Anwesend war mit Jasser A. auch ein Vertreter des US-Zweiges der Muslimbruderschaft und Mitglied im „European Council for fatwa and research“.7,8
Bereits am 26.12.2018 gab es ein Treffen der Muslimbruderschaft in Bochum9 unter Beteiligung von Ali Q., einem einflussreichen Islamgelehrten und Fachmann für Scharia und Fiqh verbunden mit dem Islamischen Finanzwesen. Thema der Veranstaltung waren „islamkonforme Finanzgeschäfte in Europa“.
Die Muslimbruderschaft verfolgt das Ziel, einen islamischen Staat zu gründen beziehungsweise bestehende Staatssysteme durch Unterwanderung zu übernehmen und in ihrem Sinne umzugestalten. Aktuell wird die Organisation vom Verfassungsschutz NRW beobachtet. Als Grund der Beobachtung wird im Verfassungsschutzbericht NRW angegeben:
„Ziel der Muslimbruderschaft ist die Umgestaltung der Länder mit islamischer Mehrheitsbevölkerung in Staaten mit islamistischem Regierungssystem auf der Grundlage der Scharia sowie der islamischen Rechts- und Lebensordnung. Gewalt wird zur Durchsetzung dieses Ziels nicht ausgeschlossen. Sie ist aber kein vorrangiges Mittel. Die Muslimbruderschaft lehnt demokratische Staatssysteme ab, beziehungsweise akzeptiert sie nur als Übergangslösung.
Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgt aufgrund der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VSG NRW.“10
Bemerkenswert war auch die Geheimhaltung der Veranstaltung in Köln. So berichtet der Kölner Stadtanzeiger: „Von der Islamkonferenz in der Ehrenfelder Moschee hatte die Stadt Köln laut Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD) keine Kenntnis. Er höre davon zum ersten Mal, sagte er.“
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Gemäß einem Bericht des Kölner Stadtanzeigers11 hatte das Innenministerium bereits im Vorfeld Informationen über fehlende Berührungsängste zwischen Ditib und Muslimbruderschaft. Wie beurteilt die Landesregierung dieses Verhältnis und die Veranstaltung in Köln, die von der türkischen Regierung und der Muslimbruderschaft gemeinsam organisiert und ausgerichtet wurde?
2. Wie beurteilt die Landesregierung die Zusammensetzung der Teilnehmer und die auf der Veranstaltung getätigten Aussagen in Hinblick auf das Verhältnis Nordrhein-Westfalens zur Türkei?
3. Als Mitgliedorganisation gehört die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), zum Zentralrat der Muslime. Die IGD gilt dem Verfassungsschutz als deutscher Ableger der internationalen, islamistischen Muslimbruderschaft. Wie beurteilt die Landesregierung vor diesem Hintergrund das Verhältnis zum Zentralrat der Muslime?
4. Anlässlich der Abschlusserklärung der Veranstaltung in Köln betonte Ali Erbaş, dass es keinen „deutschen oder europäischen Islam“ gibt, da dieser im Widerspruch zur Universalität des Islam stünde. Wie beurteilt die Landesregierung vor dem Hintergrund der Veranstaltung in Köln und der von Ali Erbas getätigten Aussage Bestrebungen einen „deutschen Islam“ bzw. eine „Islam-Steuer“ in Deutschland zu etablieren?
5. Welche weiterführenden Kenntnisse hat die Landesregierung zu den Teilnehmern und Programmpunkten der genannten Veranstaltungen in Köln und Bochum bezogen auf eine Relevanz für den Verfassungsschutz?
Gabriele Walger-Demolsky
2 https://www.tagesschau.de/inland/reaktionen-moscheeeroeffnung-101.html
3 http://www.hurriyet.com.tr/avrupa/ali-erbas-avrupali-muslumanlarla-bulusacak-41067885 (Übersetzung aus dem Türkischen)
6„ He warned the European countries that the future of European Muslims could not be considered separate from the rest of the Islamic world.”
8 https://fatwarat.de/uber-uns/
10 https://www.im.nrw/muslimbruderschaft
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 20.02.2019
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1948 mit Schreiben vom 20. Februar 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten, dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet.
1. Gemäß einem Bericht des Kölner Stadtanzeigers hatte das Innenministerium bereits im Vorfeld Informationen über fehlende Berührungsängste zwischen Ditib und Muslimbruderschaft. Wie beurteilt die Landesregierung dieses Verhältnis und die Veranstaltung in Köln, die von der türkischen Regierung und der Muslimbruderschaft gemeinsam organisiert und ausgerichtet wurde?
Über das „Treffen der europäischen Muslime“ in Köln vom 02.01.2019 bis 04.01.2019 wurde die Landesregierung vorab nicht informiert. Nach bisherigen Erkenntnissen wurde die Veranstaltung durch die türkische Religionsbehörde Diyanet in Kooperation mit der DITIB ausgerichtet. Es wurden zahlreiche Vertreter muslimischer Verbände als Gäste geladen, darunter unter anderem auch mehrere Personen, die Bezüge zur Muslimbruderschaft beziehungsweise zu ihr nahestehenden Institutionen aufweisen.
Die Muslimbruderschaft ist in Deutschland Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Insofern stimmt es bedenklich, dass die in der jüngeren Vergangenheit durch türkisch-nationalistische Aktivitäten in die Kritik geratene DITIB sich gegenüber der islamistischen Muslimbruderschaft nicht abgrenzt, sondern im Rahmen dieser Veranstaltung offensichtlich bewusst Kontakte zu Personen aus diesem Spektrum suchte.
2. Wie beurteilt die Landesregierung die Zusammensetzung der Teilnehmer und die auf der Veranstaltung getätigten Aussagen in Hinblick auf das Verhältnis Nordrhein-Westfalens zur Türkei?
Es liegen keinerlei Erkenntnisse zu den Teilnehmern oder auf der Veranstaltung getätigten Aussagen noch sonstige Informationen vor, die eine Bewertung im Hinblick auf das Verhältnis Nordrhein-Westfalens zur Türkei zuließen.
3. Als Mitgliedorganisation gehört die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), zum Zentralrat der Muslime. Die IGD gilt dem Verfassungsschutz als deutscher Ableger der internationalen, islamistischen Wie beurteilt die Landesregierung vor diesem Hintergrund das Verhältnis zum Zentralrat der Muslime?
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ist ein muslimischer Dachverband, dem über 30 islamische Organisationen, Verbände und Vereine angehören, darunter auch die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD), die sich im vergangenen Jahr in „ Deutsche Muslimische Gemeinschaft“ (DMG) umbenannt hat. Die IGD/DMG ist die bedeutendste Organisation in Deutschland, die der Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Die Zugehörigkeit der IGD/DMG zum ZMD ist der Landesregierung bekannt. Die Landesregierung erwartet von allen muslimischen Verbänden – wie von allen gesellschaftlichen Dialogpartnern –, dass diese die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland respektieren.
4. Anlässlich der Abschlusserklärung der Veranstaltung in Köln betonte Ali Erbaş, dass es keinen „deutschen oder europäischen Islam“ gibt, da dieser im Widerspruch zur Universalität des Islam stünde. Wie beurteilt die Landesregierung vor dem Hintergrund der Veranstaltung in Köln und der von Ali Erbas getätigten Aussage Bestrebungen einen „deutschen Islam“ bzw. eine „Islam-Steuer“ in Deutschland zu etablieren?
Das deutsche Religionsverfassungsrecht schützt sowohl die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses als auch die Freiheit der Gläubigen, sich zu organisieren. Insofern kann der Staat den Gläubigen weder ein bestimmtes Bekenntnis noch eine bestimmte Organisationsform vorgeben. Die Frage, was einen in Deutschland beheimateten Islam ausmacht und welche Entwicklungsmöglichkeiten es für einen Islam deutscher Prägung gibt, kann insofern nur im Rahmen innermuslimischer Aushandlungs- und Entwicklungsprozesse beantwortet werden. Dazu gehört auch, dass die muslimischen Gemeinden eigene Möglichkeiten zur Finanzierung ihrer Aktivitäten erschließen, um sich von ausländischen Finanzierungsquellen unabhängig zu machen. Das ist bereits jetzt durch die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen möglich. Der Staat kann die innermuslimische Debatte unterstützen, indem er mit seiner Gesellschafts- und Rechtsordnung den Rahmen setzt und Diskussionsräume schafft, organisiert und begleitet.
5. Welche weiterführenden Kenntnisse hat die Landesregierung zu den Teilnehmern und Programmpunkten der genannten Veranstaltungen in Köln und Bochum bezogen auf eine Relevanz für den Verfassungsschutz?
Die Landesregierung hat Kenntnisse über die Veranstaltung in Köln aufgrund der offen zugänglichen Informationen, die die DITIB im Nachgang veröffentlichte und mit der sie über Teilnehmer, Verlauf, Ziele und Ergebnisse des Treffens informierte. Hinsichtlich der Veranstaltung in Bochum hat die Landesregierung keine weitergehenden Erkenntnisse über Programm und Ablauf. Dem Verfassungsschutz liegen zu einzelnen Personen der beiden genannten Veranstaltungen Informationen hinsichtlich ihrer Bezüge zur Muslimbruderschaft vor.