Welchen Gefahren ist Nordrhein-Westfalen ausgesetzt?

Kleine Anfrage
vom 27.11.2023

Kleine Anfrage 2968

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Welchen Gefahren ist Nordrhein-Westfalen ausgesetzt?

Hinsichtlich des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2022 ist auf der Internetseite der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter der Rubrik „Pressemitteilungen“ unter anderem folgender Beitrag:

„2022 gab es in Nordrhein-Westfalen insgesamt 8.948 Politisch motivierte Straftaten. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 39,8 Prozent (2021: 6.399). Die wesentlichen Gründe für den Anstieg liegen im Bereich der PMK (Politisch Motivierte Kriminalität) – ausländische Ideologie mit einer Vielzahl an wechselseitigen Straftaten von russischen und ukrainischen Unterstützern sowie im Bereich der „PMK – nicht zuzuordnen“ mit einer Vielzahl an Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Insgesamt wurden 396 Gewaltdelikte mit politischer Motivation in Nordrhein-Westfalen registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung um 9,1 Prozent (2021: 363).“1

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Welche spezifischen Gefahren – insbesondere gewaltförmige – gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich des Linksextremismus aus?
  2. Welche spezifischen Gefahren – insbesondere gewaltförmige – gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus aus?
  3. Welche spezifischen Gefahren – insbesondere gewaltförmige – gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich der religiösen Ideologie aus?
  4. Welche spezifischen Gefahren – insbesondere gewaltförmige – gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich der ausländischen Ideologie aus?

Markus Wagner

 

MMD18-7009

 

1 https://www.land.nrw/pressemitteilung/verfassungsschutzbericht-2022-grenzen-zwischen-extremismusbereichen-verschwimmen#:~:text.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2968 mit Schreiben vom 9. Januar 2024 na­mens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Seit dem Beginn der Terroranschläge gegen den Staat Israel haben die antisemitischen Straf­taten in Nordrhein-Westfalen stark zugenommen. Antisemitische Einstellungen finden sich da­bei in allen Phänomenbereichen. Die Gefahrenbewertung wird insofern gesondert vorange­stellt.

Rechtsextremistischer Antisemitismus basiert auf rassisch-/völkischen Minderwertigkeitsfan-tasien bis hin zur „jüdischen Weltverschwörung“.

Im Linksextremismus gründet der Antisemitismus auf einer vermeintlich imperialistischen Sied­lungspolitik Israels, verbunden mit so bezeichnetem „Staatsterror“ gegen palästinensische Volksangehörige.

Kennzeichnend für den Antisemitismus im Islamismus sind neben religiösen Begründungen vor allem Übernahmen aus dem europäischen Antisemitismus und ein eliminatorischer Anti­semitismus, der an ein Narrativ von der „kolonialen Landnahme“ anknüpft.

Säkulare Bestrebungen im auslandsbezogenen Extremismus bestreiten das Existenzrecht des Staates Israel.

Hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten ist zu konstatieren, dass diese eine hohe Gefährdungsrelevanz für die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen entfalten. Feindbil­der und damit auch Anschlagsziele sind unverändert alle staatlichen Einrichtungen, insbeson­dere Polizei und Bundeswehr, sowie symbolträchtige Einrichtungen, Veranstaltungen und Ge­bäude. Die aktuelle Entwicklung des Nahostkonflikts trägt zu einer besonderen Emotionalisie-rung größerer Bevölkerungsteile bei. Gegenwärtig ist nicht auszuschließen, dass dies auch die Handlungsbereitschaft von emotionalisierten, fanatisierten und radikalisierten Einzelperso­nen erhöht, was vor allem für jüdische Einrichtungen ein gefahrenerhöhendes Moment dar­stellen kann und größere Wachsamkeit erfordert. Die Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Formen ist Schwerpunkt der Landesregierung – dies bereits vor den Terrorangriffen auf den Staat Israel.

  1. Welche spezifischen Gefahren insbesondere gewaltförmige gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich des Linksextremismus aus?

In dem Phänomenbereich der Politisch-motivierten-Kriminalität- Links (PMK-Links) wurden für das Jahr 2023 in Nordrhein-Westfalen insbesondere Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge, Ge­fährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (u. a. im Zusammenhang mit den sog. „Klima-Kle­bern“) sowie Sachbeschädigungen bzw. Sabotagen an Infrastruktureinrichtungen wie Kabel­schächten, Telekommunikationseinrichtungen sowie Bahnanlagen polizeilich erfasst. Im Rah­men von Gewaltdelikten gegen Personen kam es vorwiegend bei der Räumung der Ortschaft Lützerath zu körperlichen Angriffen auf Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte sowie zu Wi­derstandshandlungen. Dabei wurden mehrheitlich Körperverletzungsdelikte begangen.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass Sachbeschädigungen mit teilweise erheblichen Schadens-summen sowie Gewalttaten gegen Personen (z.B. Amtsträger) im Rahmen von Demonstrati­onsgeschehen dominierende Kriminalitätsfelder der PMK-Links darstellen.

Gewaltorientierte Akteure, und insbesondere solche aus dem autonom-anarchistischen Spekt­rum, setzen gezielt auf die Herstellung von Anschlussfähigkeit in nicht-extremistischen Berei­chen der Gesellschaft und auf dessen Radikalisierung. Dabei wird insbesondere das Protest­geschehen im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Terroran­schlägen gegen den Staat Israel zur Verbreitung eigener Inhalte und als Anlass für Kampag­nen, aber auch für Straftaten gegen Rüstungsunternehmen, die Bundeswehr sowie politisch verantwortliche Parteien genutzt.

Dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz liegen überdies keine Hinweise vor, dass sich eine Entwicklung in Richtung „Enthemmung der Gewalt“ von Linksextremisten – wie sie in einzelnen Bundesländern zu erkennen ist – auch in Nordrhein-Westfalen abzeichnet.

  1. Welche spezifischen Gefahren insbesondere gewaltförmige gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus aus?

Für das Jahr 2023 gehören der Terrorangriff gegen den Staat Israel, der Angriffskrieg Russ­lands auf die Ukraine sowie die Inflation und Energiekrise zu den zentralen Themen rechts­extremistischer Gruppierungen. Dabei versuchen weite Teile der rechtsextremistischen Szene, komplexe Krisengeschehen und gegebenenfalls damit einhergehende Unzufriedenheit in der Bevölkerung für ihre Zwecke zu nutzen und Anschluss an bürgerlich-demokratische Kreise zu erhalten.

Die gegenwärtige Gefahr des Rechtsextremismus besteht insbesondere in der Verbreitung menschenrechts- und demokratiefeindlicher Positionen. Hinzu kommt eine Gefährdung durch die Virtualisierung des Rechtsextremismus, wodurch bessere Möglichkeiten bestehen, Propa­ganda zu verbreiten, sich zu organisieren, Menschen zu rekrutieren und zu radikalisieren so­wie Straftaten (z. B. mittels Hasspostings) zu verüben. Insbesondere im Internet stellt der Aus­tausch von rechtsextremistischen Gewaltfantasien bis hin zu Mordaufrufen in Chatgruppen die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen.

Sich selbst radikalisierende Einzeltäter sowie eine ohnehin vorhandene hohe Affinität zu Waf­fen und Sprengstoffen stellen nach wie vor ein kontinuierliches Risiko für die Sicherheit des Landes Nordrhein-Westfalen dar.

Den Großteil der erfassten Gewaltdelikte im Phänomenbereich der Politisch-Motivierten-Kri­minalität-Rechts (PMK-Rechts) stellen Körperverletzungsdelikte und Straftaten zum Nachteil von Personen des öffentlichen Lebens (u. a. Amts- und Mandatsträger) in Form von Gewalt­delikten dar. Schwere Straftaten lassen sich dabei immer weniger einem bestimmten rechts­extremistischen Akteur oder einer Szene zuordnen. Ein Teil der identifizierten Tatverdächtigen ist zuvor kaum oder gar nicht durch rechtsextremistische Aktivitäten aufgefallen. Das Zusam­menwirken von Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Delegitimierern in terroristischen Grup­pierungen zeigt, dass sich Teile der verschiedenen extremistischen Szenen gleichsam im Wi­derstand sehen und deshalb schwere Gewalttaten als notwendig und gerechtfertigt erachten. Die ideologischen Differenzen verlieren zumindest in diesen terroristischen Gruppierungen weitestgehend an Bedeutung.

  1. Welche spezifischen Gefahren insbesondere gewaltförmige gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich der religiösen Ideologie aus?

Die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Nordrhein-Westfalen steht weiterhin im Zielspektrum jihadistischer Akteure. Der extremistische Salafismus, insbesondere der Jihadis-mus, stellt eine fortdauernde Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und die Gesell­schaft dar und ist nach wie vor ein Nährboden für terroristische Gewalt.

Die Anzahl der mit PMK-Religiöser Ideologie in Zusammenhang stehenden Gewaltdelikte be­wegt sich im Verhältnis zu anderen Phänomenbereichen in einem sehr niedrigen (einstelligen) Bereich. Das Gefahrenpotential, dass sich aus dem Phänomenbereich der PMK-Religiöse Ide­ologie ergibt, ist gleichwohl als anhaltend hoch einzuschätzen.

Die derzeitige Lage ist aufgrund der terroristischen Anschläge auf den Staat Israel von einem hohen Emotionalisierungs- und Mobilisierungsgeschehen geprägt. Terroristische Organisatio­nen, jihadistische Gruppierungen oder Einzeltäter, allen voran der Al-Qaida und des sog. „Is­lamischen Staates“ (IS), versuchen vermehrt, junge Menschen zu ideologisieren, indem sie die Opfer israelischer Bombardierung im Gazastreifen und die humanitäre Notlage in dem palästinensischen Gebiet als Teil einer vermeintlich anti-muslimischen westlichen Strategie darstellen. Darüber hinaus versuchen der IS und auch Al-Qaida vor allem über die Sozialen Medien Einzeltäter oder Kleinstgruppen anzustiften und anzuleiten, Angriffe unter Verwen­dung einfacher Tatmittel (Hieb- und Stichwaffen, Fahrzeuge) zu begehen. Insbesondere ext­remistische Salafisten nutzen die sozialen Medien für ihre Missionierungsaktivitäten, über die sie für ihre Ideologie werben. Die Wirkung islamistischer Internetpropaganda durch in Nord­rhein-Westfalen ansässige populäre Online-Prediger reicht über Nordrhein-Westfalen hinaus. Seit 2022 sind Missionierungsaktivitäten im öffentlichen Raum und auch in den Sozialen Me­dien wieder stark präsent. Dadurch besteht weiterhin eine sehr große Gefahr für terroristische Anschläge in Deutschland durch islamistisch motivierte Extremisten.

  1. Welche spezifischen Gefahren insbesondere gewaltförmige gehen aktuell im Jahr 2023 von dem Phänomenbereich der ausländischen Ideologie aus?

Straf- bzw. Gewalttaten im Phänomenbereich der PMK-Ausländische Ideologie stehen insbe­sondere im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Ter­roranschlägen gegen den Staat Israel. Dabei wurden zumeist Körperverletzungsdelikte und insbesondere körperliche Angriffe auf eingesetzte Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte bei Versammlungen polizeilich erfasst.

Agitations- und Mobilisierungsbestrebungen sind im auslandsbezogenen Extremismus über­wiegend geprägt von der politischen Entwicklung des jeweiligen Heimatlandes. Die Arbeiter­partei Kurdistans (PKK) bemüht sich in Europa seit Jahren um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild. Jedoch kommt es bei öffentlichen Veranstaltungen immer wieder zu gewalt­samen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder mit türkischstämmigen Nationalisten bezie­hungsweise türkischstämmigen Rechtsextremisten. Bei den türkischen sog. „Grauen Wölfen“ lässt sich hinsichtlich der vereinsgebundenen Anhängerschaft feststellen, dass sich diese um ein legalistisches und unauffälliges Verhalten nach Außen bemühen, daher sind gewaltförmige Aktivitäten bei Versammlungen kaum feststellbar. Die sog. „freie Szene“ ist dagegen unorga­nisiert und agiert eher im digitalen Raum.

Je nach Emotionalisierungsgrad ist das Mobilisierungspotenzial bei Themen, die die Türkei betreffen, jedoch hoch. In diesem Kontext kann es auch zu Situationen kommen, in denen, insbesondere beim Aufeinandertreffen mit Kurden, vereinzelt Gewalt ausgeübt wird.

 

MMD18-7681

Beteiligte:
Markus Wagner