Welchen Stellenwert hat Deutsch noch als Wissenschaftssprache?

Kleine Anfrage
vom 12.04.2018

Kleine Anfrage 960
des Abgeordneten Helmut Seifen AfD

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Wissenschaft ist ein vitaler Teil unserer Kultur. Kann eine Nation mit kulturellem Anspruch es zulassen, dass dieser Bereich zunehmend von der Landessprache abgekoppelt wird, dass sich die Neuerungen der Forschung kaum noch in der eigenen Sprache beschreiben lassen?

Dieser Thematik hat sich die Hochschulrektorenkonferenz, das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst im Jahr 2011 angenommen und in einer gemeinsamen Erklärung die Notwendigkeit deutlich gemacht, dass Deutsch als Wissenschaftssprache stärker gefördert werden sollte, um einem weiter drohenden Bedeutungsverlust entgegenzutreten.

In der Frage des Stellenwertes von Deutsch als Wissenschaftssprache wurde dabei ein grundsätzliches Dilemma ausgemacht, das in der Erklärung folgendermaßen beschrieben wurde:

„Eine globale Konzeption der Hochschule als Institution erfordert eine Antwort auf die Frage, wie im akademischen Bereich mit unterschiedlichen Sprachen, insbesondere der Landessprache und dem Englischen, aber auch mit anderen Fremdsprachen umgegangen werden soll. Die Hochschulen stehen hier vor einem Zielkonflikt: Zum einen erfordern exzellente Forschung und Lehre eine breite Verankerung auf internationaler Ebene, zum anderen gilt es, die in der eigenen ausgebauten Wissenschaftssprache angelegten Möglichkeiten weiterzuentwickeln sowie die Kommunizierbarkeit von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft sicherzustellen. Auf diese doppelte Herausforderung müssen die Hochschulen eine institutionelle Antwort finden.“

Auf diese Herausforderung hat die gemeinsame Erklärung der Institute 2011 die folgenden Handlungsempfehlungen ausgesprochen:

  • „Die Hochschulen sollen bei Veranstaltungen und deren Vorbereitung eine verstärkte Sensibilität für Sprachenfragen entwickeln. Idealerweise sollen Veranstaltungen in Deutschland und mit deutschsprachigem Publikum auf Deutsch stattfinden, wobei ggf. fachspezifische Unterschiede zu berücksichtigen sind“.
  • „Bei Studierenden grundständiger Studiengänge erscheint es sinnvoll, zunächst die Kompetenz im Deutschen zu stärken, um ein sicheres wissenschaftssprachliches Agieren zu ermöglichen. Eine Einführung in den englischsprachigen Wissenschaftsdiskurs kann darauf aufsetzen. Grundständige Lehrveranstaltungen sollten daher in der Regel deutschsprachig sein“.
  • „Eine zu ausgeprägte Dominanz des Englischen kann Innovation behindern. Im Antrags­, Begutachtungs- und Berichtswesen sollten daher nicht nur die jeweiligen Traditionen der Fächer und ihre regionalen Bezüge berücksichtigt werden, sondern es sollte auch die Sprache möglichst frei gewählt werden können. Anträge sollen grundsätzlich auch auf Deutsch oder einer anderen verbreiteten Wissenschaftssprache gestellt werden können, auch auf EU-Ebene“.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Studiengänge wurden zum Wintersemester 2017/18 an Hochschulen und Universitäten Nordrhein-Westfalens angeboten, in denen die Lehrsprache ausschließlich Englisch ist?
  2. Wie hat sich die Anzahl rein englischsprachiger Studiengänge in den vergangenen fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen entwickelt?
  3. In wie vielen dieser Studiengänge wird der genannten Empfehlung gefolgt, „grundständige Lehrveranstaltungen“ in aller Regel in Deutsch abzuhalten?
  4. Werden bei rein englischsprachigen Studiengängen in Nordrhein-Westfalen Gutachten und Anträge in Deutsch verfasst? (Bitte beziffern Sie die Angaben in Prozenten)
  5. Wie ist nach Ansicht der Landesregierung der Tendenz entgegenzuwirken, dass Neuentdeckungen in der Forschung oder technische Neuentwicklungen immer seltener mit Begriffen der deutschen Sprache benannt werden?

Helmut Seifen

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 960 wie folgt:

  1. Wie viele Studiengänge wurden zum Wintersemester 2017/18 an Hochschulen und Universitäten Nordrhein-Westfalens angeboten, in denen die Lehrsprache aus­schließlich Englisch ist?
  2. Wie hat sich die Anzahl rein englischsprachiger Studi­engänge in den vergangenen fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen entwickelt?
  3. In wie vielen dieser Studiengänge wird der genannten Empfehlung gefolgt, „grundständige Lehrveranstaltungen“ in aller Regel in Deutsch abzuhalten?

    Die Fragen 1 bis 3 werden gemeinsam beantwortet.

    Zu den erfragten Daten liegen der Landesregierung keine Zahlen aus einer amtlichen Statistik vor und können innerhalb des für die Beantwor­tung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraums auch nicht erhoben werden.

    Laut Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz werden an öffentlich-rechtlichen und privaten Hochschulen 280 Studiengänge in Nordrhein-Westfalen angeboten, in denen die Lehrsprache hauptsäch­lich Englisch ist.

    Es ist anzumerken, dass die Zählweise durch den Hochschulkompass nicht nach den Vorgaben der amtlichen Hochschulstatistik erfolgt, son­dern nach hochschuleigenen Kriterien.

  4. Werden bei rein englischsprachigen Studiengängen in Nordrhein-Westfalen Gutachten und Anträge in Deutsch verfasst? (Bitte beziffern Sie die Angaben in Prozenten)
    Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob und wie viele Gutachten und Anträge der Hochschulen in Deutsch verfasst werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Sprachwahl durch den Adressaten des Antrags oder den Auftraggeber des Gutachtens in der Regel festgelegt wird.
  5. Wie ist nach Ansicht der Landesregierung der Tendenz entgegenzuwirken, dass Neuentdeckungen in der For­schung oder technische Neuentwicklungen immer sel­tener mit Begriffen der deutschen Sprache benannt werden?
    Die Sprachwahl der Wissenschaftlerin/des Wissenschaftlers bezüglich ihrer/seiner Publikationen und Lehrveranstaltungen wird von der Wis­senschaftsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz geschützt und stellt damit einen wesentlichen Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit sowohl des Grundgesetzes als auch der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dar.

    Die Landesregierung spricht sich — wie auch die Hochschulrektorenkon­ferenz, das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austausch­dienst – für Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft aus.

     

 

Mit freundlichen Grüßen

Isabel Pfeiffer-Poensgen

Beteiligte:
Helmut Seifen