Kleine Anfrage 4005des Abgeordneten Markus Wagner vom 01.07.2020
Wie sind Spuckattacken in Zeiten von Corona zu bewerten?
Am 27.06.2020 befuhr eine Autofahrerin in Düsseldorf die Norfer Straße in Fahrtrichtung zur A57, als vor ihr ein Fahrzeug unvermittelt auf der Fahrbahn stehenblieb und nicht mehr weiterfuhr.
Die Fahrerin betätigte daraufhin, einzig wegen der unmittelbar einsetzenden Verkehrsstauung, kurz die Hupe, um den Fahrer des haltenden Wagens zur Weiterfahrt zu bewegen. Dieser stieg allerdings entgegen jeder Erwartung aus seinem Fahrzeug aus und begann, die Fahrerin auf sexueller Basis zu beleidigen. Die so attackierte Fahrerin stoppte daraufhin ihr Fahrzeug, nahm ihr Mobiltelefon zur Hand und schoss ein Foto des Kennzeichens – in der Absicht, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Der Fahrzeugführer kam daraufhin drohend auf sie zu, beleidigte und bedrohte sie und spuckte ihr letztlich ins Gesicht.
Die Rheinische Post schreibt zu Situationen ähnlich wie dieser generell:
„Die Polizeigewerkschaften in NRW warnen vor sogenannten Spuck-Attacken. „Wer andere gerade während der Corona-Krise absichtlich anspuckt, muss die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Denn harte Strafen können abschreckende Wirkung haben“, sagte Erich Rettinghaus, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW. Wichtig sei aber, dass die Strafe schnell erfolgt. „Und nicht erst nach Monaten. Letztlich kommt es auch auf den jeweiligen Richter an, wie er den Fall bewertet und ob er den Strafrahmen ausschöpft“, betonte Rettinghaus.“ 1 […]
„Das Anspucken von Polizeibeamten ist strafrechtlich eine Beleidigung, in Corona-Zeiten möglicherweise sogar eine Körperverletzung oder eine gefährliche Körperverletzung“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. Es habe aber auch eine gesellschaftliche Relevanz, und die finde er sehr bedenklich. „Diese Spuckerei ist Ausdruck einer tief sitzenden Missachtung des Staates und seiner Institutionen. Dem müssen wir einen klaren Riegel vorsetzen, indem wir das mit aller Schärfe verfolgen und ahnden“, betonte Reul. Niemand müsse sich anspucken lassen – „erst recht keine Polizistinnen und Polizisten“. Bundesweit berichtet die Polizei während der Corona-Krise immer wieder von Spuck-Attacken. So wurde vor wenigen Tagen eine Busfahrerin in Oberhausen aus einer vierköpfigen Gruppe heraus bespuckt und beleidigt. In einem Zug in Göttingen spuckte ein Mann eine Frau an. Vorher hatte er gedroht, die Frau mit dem Coronavirus zu infizieren. Gegen ihn wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ein folgenschwerer Fall ereignete sich in London. Dort wurden zwei Bahnangestellte von einem an Covid-19 erkrankten Mann angespuckt. Beide infizierten sich, eine Frau starb.“2
Die im Rahmen einer „möglicherweise/und/oder“-Einschätzung eines Straftatbestands, der zwischen Beleidigung, Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung unklar changiert, wirft als schwammige und undefinierte Einschätzung des Innenministers allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
In Zeiten von Corona erreichen diese Attacken neben der Beleidigung und Verächtlichmachung der so Attackierten jedoch noch eine ganz andere, weiterreichende strafrechtliche Dimension. Zumal dann, wenn sie gezielt eingesetzt werden.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wo können sich Opfer derartiger Spuckattacken unverzüglich auf COVID-19 testen lassen (Gesundheitsamt, Hausarzt etc.)?
- Wer kommt für die Kosten des notwendig gewordenen Corona-Tests auf?
- Muss das Opfer einer Spuckattacke für die Kosten in Vorlage treten?
- Wie bewertet die Landesregierung eine solche Spuckattacke in Zeiten von Corona strafrechtlich?
- Wie viele Spuckattacken hat es in NRW seit dem 01.01.2020 bis heute – statistisch erfasst – gegeben?
Markus Wagner
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4005 mit Schreiben vom 29. Juli 2020 namens der Landesregierung 4005 im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.
- Wo können sich Opfer derartiger Spuckattacken unverzüglich auf COVID-19 testen lassen (Gesundheitsamt, Hausarzt etc.)?
Grundsätzlich werden Abstrichnahmen für die PCR-Testung auf SARS-CoV-2-Infektionen bei oder im Auftrag von Gesundheitsämtern, in Testzentren, bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie in Krankenhäusern durchgeführt. Im jeweiligen Einzelfall ist anhand der konkreten Umstände des Sachverhalts zu prüfen, ob und entsprechend wo eine Testung auf SARS-CoV-2-Infektionen erfolgen kann.
- Wer kommt für die Kosten des notwendig gewordenen Corona-Tests auf?
Ob Kosten für einen Corona-Test übernommen werden, ist im jeweiligen Einzelfall anhand der konkreten Umstände des Sachverhalts zu prüfen. Die Übernahme der Testkosten fällt in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn infolge einer Spuckattacke die Kriterien des Robert-Koch-Instituts zur Testung von Covid-19-Verdachtsfällen erfüllt sind. Des Weiteren kann eine Übernahme der Testkosten auf Grundlage der Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 08.06.2020 zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 erfolgen, wenn durch den konkreten Sachverhalt die dortigen Kriterien für die Testung von asymptomatischen Kontaktpersonen erfüllt sind (u. a. direkter Kontakt mit Körperflüssigkeit, SARS-CoV2 -Infektion der spuckenden Person).
- Muss das Opfer einer Spuckattacke für die Kosten in Vorlage treten?
Werden die in der Antwort auf die Frage 2 benannten Voraussetzungen für eine Übernahme
der Testkosten erfüllt, muss das Opfer einer Spuck-
attacke nicht in Vorlage treten.
- Wie bewertet die Landesregierung eine solche Spuckattacke in Zeiten von Corona strafrechtlich?
Zur Beantwortung der Frage wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage 3740 Bezug genommen (LT-Drs. 17/9908).
- Wie viele Spuckattacken hat es in NRW seit dem 01.01.2020 bis heute – statistisch erfasst – gegeben?
Als Datengrundlage für die Beantwortung der Frage dient das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem. Diese Daten sind statistisch nur bedingt valide, denn sie können sich aufgrund von Qualitätssicherung und je nach Ermittlungsfortschritt noch verändern.
Bei der Auswertung werden als „Spuckattacke“ alle Vorgänge gezählt, bei denen mindestens eine am Sachverhalt beteiligte Person gespuckt hat. Dabei kann nicht unterschieden werden, ob eine andere Person angespuckt oder in sonstiger Art und Weise gespuckt worden ist. Eine weitere Differenzierung würde die händische Auswertung jedes einzelnen Sachverhaltes erfordern, was in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht realisierbar ist.
Im Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 12.07.2020 wurden 3153 entsprechende Vorgänge erfasst, unabhängig davon, ob ein Bezug zur Corona-Pandemie bestand.
Das seit dem 01.02.2020 erstellte Lagebild der Kriminalität in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie weist bis zum 05.07.2020 insgesamt 124 „Spuckattacken“ aus, bei denen bei ihrer Erfassung ein Bezug zur Pandemie angenommen wurde.