Kleine Anfrage 4133der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 27.07.2020
Wiederaufnahme von Abschiebungen und Dublin-Rücküberstellungen
Im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie wurden Abschiebungen und Dublin-Rücküberstellungen auch in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich eingestellt. Ursächlich dafür waren vor allem erhebliche Schutzmaßnahmen bis hin zu Ausgangssperren in zahlreichen Ländern, die Notwendigkeit einer Quarantäne und insbesondere fehlende Flugverbindungen.
Mit Stand Ende Juli werden in zunehmendem Maße wieder Flugverbindungen aufgenommen. Davon betroffen sind auch Zielländer wie z.B. Albanien, Montenegro, Serbien, Tunesien oder die Türkei. Im Verlauf des Jahres ist, bedingt durch Lockerungen von Infektionsschutzmaßnahmen, mit einer weiteren Wiederaufnahme von Flugverbindungen zu rechnen.
Bedingt durch die aktuelle Krise hat sich, trotz sinkender Zugangszahlen, die Anzahl der ausreisepflichtigen Personen deutlich erhöht, von bundesweit 245.597 (Stand Mai 2019) auf 266.605 Personen (Stand: Mai 2020). Von Januar bis Mai 2020 wurden lediglich 5.022 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben.1
Wie das Bundesinnenministerium gegenüber der Funke-Mediengruppe beklagte, verweigern zahlreiche Staaten wegen der Corona-Pandemie weiterhin die Einreise von Menschen, die abgeschoben werden sollten, oder beschränken die Einreise auf wenige unabdingbare Fallkonstellationen.
Einer Darstellung des TV-Senders ARTE nach habe es unter bayerischer Beteiligung seit Juni allerdings bereits wieder fünf Sammelabschiebungen in die Zielländer Georgien, Serbien und Albanien gegeben. Weitere Sammelabschiebungen seien geplant.
Laut einer Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte das Auswärtige Amt (mit Stand vom 25. März 2020) – in Zusammenarbeit mit dem Bundespolizeipräsidium BPolP (Referat 25 – Rückführung) – eine Länderliste erstellt, welche die jeweiligen Möglichkeiten zur Rücküberführung und die jeweiligen Quarantänebestimmungen für alle Herkunftsländer der Rückzuführenden enthält.3 Gemäß der an dieser Stelle angegebenen Fußnote wurde die betreffende verlinkte Datei durch den Flüchtlingsrat NRW veröffentlicht.
Wie Recherchen ergeben haben, soll es sich bei neueren Versionen dieser Datei um eine „Verschlusssache für den internen Dienstgebrauch“ handeln, die zuerst nur den NRW-Vertretern im Gemeinsamen Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) zugeleitet wird. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings von Interesse, dass und wie der Flüchtlingsrat NRW in den Besitz dieser Datei gekommen ist.
Ich frage daher die Landesregierung:
- In welche Länder sind – bedingt durch die Lockerung von Infektionsschutzmaßnahmen, die Öffnung internationaler Grenzen und die Wiederaufnahme des Flugverkehrs – aktuell Abschiebungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen wieder möglich?
- Welche Änderungen haben sich seit dem 25. März 2020 im Bereich der „Einreisebeschränkungen sowie Beschränkungen der Rückführung i.Z.m. COVID-19“ ergeben? (Bitte die aktuelle, in Zusammenarbeit des AA mit dem BPolP erstellte Übersicht als Anlage beifügen bzw. eine geeignete Alternative, wenn diese Übersicht als Verschlusssache eingestuft sein sollte.)
- Wie wäre es nach Ansicht der Landesregierung aus rechtlicher Sicht zu beurteilen, wenn der Flüchtlingsrat NRW eine mittlerweile für den dienstlichen Gebrauch mit Sicherheitseinstufung versehene Information nach wie vor frei zugänglich veröffentlichen würde?
- Mit Hilfe welcher Maßnahmen (wie z.B. Sammelabschiebungen in Bayern) soll die Anzahl der Abschiebungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen in NRW wieder deutlich gesteigert werden, insbesondere auch um eigentlich geplante, dann aber abgesagte Maßnahmen aus dem 2. Quartal 2020 zeitnah nachzuholen?
- Per Erlass des BMI vom 12. Juni 2020 sind Dublin-Rücküberstellungen wieder möglich. Zudem wurden durch das BAMF Widerrufe zur Aussetzung der Abschiebungsanordnung erteilt. In wievielen Fällen wurde bisher von diesen Regelungen Gebrauch gemacht? (Bitte nach Anzahl und EU-Land sowie Nationalität der Personen auflisten und den Erlass des BMI – nach Möglichkeit – als Anlage beifügen)
Gabriele Walger-Demolsky
1 Vgl. https://www.arte.tv/de/afp/neuigkeiten/abschiebungen-sind-durch-die-corona-krise-ins-stocken-geraten
2 Vgl. https://www.fluechtlingsrat-mv.de/downloadslinks/faq-corona/
3 Vgl. Lt.-Drucksache 17/10099, Fußnote 4
Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 4133 mit Schreiben vom 26. August 2020 namens der Landesregierung beantwortet.
- In welche Länder sind – bedingt durch die Lockerung von Infektionsschutzmaßnahmen, die Öffnung internationaler Grenzen und die Wiederaufnahme des Flugverkehrs – aktuell Abschiebungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen wieder möglich?
Dublin-Überstellungen sind nach Mitteilung des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) derzeit in alle Dublin-Vertragsstaaten – mit Ausnahme von Bulgarien, Zypern, Kroatien, Ungarn, Irland und Litauen – grundsätzlich wieder möglich.
Die Durchführung von Rückführungen in sog. Drittstaaten hängt entscheidend von vorhandenen Flugverbindungen sowie der Bereitschaft der Zielstaaten zur Aufnahme ab. Abschiebungen fanden in den letzten Monaten laut Statistik der BPOL überwiegend nach Albanien, Serbien und Georgien statt.
- Welche Änderungen haben sich seit dem 25. März 2020 im Bereich der „Einreisebeschränkungen sowie Beschränkungen der Rückführung i.Z.m. COVID-19“ ergeben? (Bitte die aktuelle, in Zusammenarbeit des AA mit dem BPolP erstellte Übersicht als Anlage beifügen bzw. eine geeignete Alternative, wenn diese Übersicht als Verschlusssache eingestuft sein sollte).
Eine generelle Aussetzung von Abschiebungen hat es in Nordrhein-Westfalen nicht gegeben. Aufgrund der Einschränkungen im Flugverkehr und verschärfter Einreisebestimmungen waren Rückführungen jedoch zeitweise kaum noch möglich. Auch zurzeit finden Rückführungen nur eingeschränkt statt.
Die vorübergehend ausgesetzten Dublin-Überstellungen von und nach Deutschland werden nach Auskunft des BAMF seit dem 15. Juni 2020 sukzessive wiederaufgenommen.
Das Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) in Berlin stellt den Ländern regelmäßig Lagebilder zu Flugverbindungen und Rückführungsmöglichkeiten in die Zielstaaten zur Verfügung, die vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung der Corona-Pandemie mit jederzeit möglichen – auch lokalen – Eindämmungsmaßnahmen laufend fortgeschrieben werden.
Auf Anfrage hat das ZUR einer Weitergabe dieser – mittlerweile als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften Übersichten nicht zugestimmt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
- Wie wäre es nach Ansicht der Landesregierung aus rechtlicher Sicht zu beurteilen, wenn der Flüchtlingsrat NRW eine mittlerweile für den dienstlichen Gebrauch mit Sicherheitseinstufung versehene Information nach wie vor frei zugänglich veröffentlichen würde?
Zu hypothetischen Fragestellungen äußert sich die Landesregierung nicht.
- Mit Hilfe welcher Maßnahmen (wie z.B. Sammelabschiebungen in Bayern) soll die Anzahl der Abschiebungen bzw. Dublin-Überstellungen in NRW wieder deutlich gesteigert werden, insbesondere auch um eigentlich geplante, dann aber abgesagte Maßnahme aus dem 2. Quartal 2020 zeitnah nachzuholen.
Auf Basis der bewährten Strukturen des Rückkehrmanagements in Nordrhein-Westfalen werden Rückführungsmöglichkeiten konsequent genutzt. Hierzu gehört auch die Teilnahme an bzw. Organisation von Chartermaßnahmen, wo diese möglich sind.
- Per Erlass des BMI vom 12. Juni 2020 sind Dublin-Rücküberstellungen wieder möglich. Zudem wurden durch das BAMF Widerrufe zur Aussetzung der Abschiebungsanordnung erteilt. In wievielen Fällen wurde bisher von diesen Regelungen Gebrauch gemacht? (Bitte nach Anzahl und EU-Land sowie Nationalität der Person auflisten und den Erlass des BMI – nach Möglichkeit – als Anlage beifügen)
Die Landesregierung kann die begehrte Auskunft nicht erteilen, da die Information ihr nicht vorliegt und auch nicht erhoben werden kann, denn die Erteilung der Auskunft fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Für die Widerrufe zur Aussetzung der Abschiebungsanordnung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig.