Wissenschaft braucht Kontinuität und Perspektive. Mehr Dauerstellen an den Hochschulen des Landes!

Antrag
vom 18.06.2019

Antragder AfD-Fraktion vom 18.06.2019

 

Wissenschaft braucht Kontinuität und Perspektive. Mehr Dauerstellen an den Hochschulen des Landes!

I. Ausgangslage

In keinem anderen Bereich des Arbeitsmarkts in Deutschland sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse derart durchgängig verbreitet wie an den Universitäten, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Nach einer Studie des Stifterverbands aus dem Jahre 2016 sind in der Forschung drei Viertel aller Stellen befristet; in der Lehre sind es zwei Drittel.1

Wie der aktuelle Bundesbericht „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ dokumentiert, ist eine befristete Beschäftigung bei über 90 Prozent der Stellen der Regelfall. Darunter fallen nahezu alle hauptberuflich wissenschaftlich Beschäftigte an den Hochschulen unter 45 Jahren unterhalb einer Professur.

Im Zuge des neoliberalen Umbaus des deutschen Universitätssystems und der eingeleiteten Veränderung von der klassischen Universität Humboldtscher Prägung hin zur „technokratisierten Bologna-Dienstleistungsuniversität“ wurden die festen Stellen im universitären Mittelbau massiv ausgedünnt. Die Reduzierung des Mittelbaus ließ dauerhafte Stellen wie den akademischen Rat und Oberrat weitgehend verschwinden. Stattdessen ist unterhalb der Professur die befristete Beschäftigung zum Regelarbeitsverhältnis an den Hochschulen geworden.

Wie prekär die Situation im Mittelbau der Hochschulen ist, zeigt der Umstand, dass bei 42 Prozent aller befristet Beschäftigten die Vertragslaufzeit unterhalb eines Jahres liegt.2

Mittlerweile herrscht weitgehend politischer Konsens darüber, dass diese Entwicklung zu massiven Nachteilen für die Beschäftigten, aber vor allem auch für Forschung und Lehre führt und eine Tendenzwende daher dringend geboten sei. Besonders der Anstieg der Studentenzahlen verschärft diese Situation. Prekär und kurzfristig beschäftigte – und dadurch häufig wechselnde – Wissenschaftler treffen im Universitätsalltag auf immer mehr Studenten bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen.

Vor allem leidet aber die wissenschaftliche Forschung qualitativ unter den prekären Arbeitsbedingungen. Durch die Aneinanderreihung kurzfristiger Arbeitsverhältnisse müssen die Wissenschaftler immer häufiger eigene Forschungsinteressen zurückstellen und größere Zusammenhänge vernachlässigen. Kurzfristige Arbeitsverhältnisse bedingen kurzfristiges Denken in der wissenschaftlichen Arbeit. Statt sich eigenen Forschungsinteressen zu widmen und sie in der übergreifenden Kooperation zu verfolgen, sehen sich Wissenschaftler gezwungen, viel Zeit und Kraft für das Schreiben drittmittelbasierter Forschungsanträge zu verwenden. Diese Anträge kosten häufig genau die Zeit, die dann zu eigentlicher Forschung fehlt, werden oft negativ beschieden oder nur dann unterstützt, wenn sie in Ansatz und möglichen Ergebnissen der jeweiligen Denkrichtung der vergebenden Institution entsprechen. Freie Forschung im Humboldtschen oder Popperschen Sinne sieht anders aus.

Auf subjektiv-persönlicher Ebene klagen die immer wieder nur befristet Beschäftigten über eine Reihe von negativen Folgewirkungen ihrer prekären beruflichen Situation: Befristungen belasten die psychische und physische Gesundheit, sie begünstigen Machtmissbrauch an den Lehrstühlen. Schließlich sind fehlende verlässliche Perspektiven in der eigenen Lebensplanung Ursache ungewollter Kinderlosigkeit, die bei Wissenschaftlern noch häufiger festzustellen ist als bei anderen vergleichbar Hochqualifizierten.3

Zwar wurde in der Hochschulvereinbarung zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bund vom 26. Oktober 2016 das Ziel vereinbart, diese Entwicklung zu stoppen und die Anzahl unbefristeter Stellen in NRW wieder zu erhöhen. Dies ist jedoch bislang in nur wenig nennenswertem Ausmaß geschehen.4 Stattdessen bemängelt der Bundesrechnungshof fehlende Kontrollen und eine unsachgemäße Verwendung der im Rahmen der Bund-Länder Pakte zusätzlich bereitgestellten Mittel.

Mit der am 06. Juni 2019 zwischen Bund und Ländern unterzeichneten Fortschreibung des Hochschulpakts sind finanzielle Mittel im Gesamtvolumen von 160 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden, wobei sich der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ ausdrücklich zu dem Ziel bekennt, die Lage der beschäftigten Wissenschaftler an den Hochschulen zu verbessern.

Dies bekräftigte auch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, in einem Beitrag gegenüber dem Handelsblatt: „Mit dem Zukunftsvertrag ´Studium und Lehre stärken´ – dem neuen Hochschulpakt – geben wir den Hochschulen dauerhaft Planungssicherheit und damit die Möglichkeit, den mit Studium und Lehre betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern belastbare Perspektiven in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen zu geben. Die klugen Köpfe gewinnen wir nur, wenn wir gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen bieten“.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Das Land bekennt sich zu seiner Verantwortung für die an den Universitäten, Hochschulen und den vom Land getragenen wissenschaftlichen Instituten beschäftigten Mitarbeiter, denen auch im Bereich der Geltungsdauer ihrer Arbeitsverträge perspektivisch verlässliche Beschäftigungsbedingungen geboten werden müssen.

2. Das gegenwärtige Maß von Stellenbefristungen in der Wissenschaft mindert die Qualität von Forschung und guter Lehre.

3. Nordrhein-Westfalen steht in der nationalen wie internationalen Konkurrenz zu anderen Wissenschaftsstandorten. Verlässliche berufliche Perspektiven sind dabei ein bedeutsames Kriterium.

4. Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine deutliche Trendumkehr im bestehenden Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen im Wissenschaftsbereich notwendig. Befristete Arbeitsverträge dürfen nicht länger die Regel darstellen, sondern müssen wieder die wohl begründete Ausnahme sein.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf:

1. eine umfassende Datengrundlage zu schaffen, in der befristet und unbefristete Stellen im Wissenschaftsbereich des Landes ausgewiesen sind, wie es auch der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ von Nordrhein-Westfalen verlangt;

2. die im Rahmen der Haushaltsberatungen und den Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern nach Artikel 91b des Grundgesetzes nach Nordrhein-Westfalen fließende Mittel zur raschen Entfristung bzw. Schaffung von neuen, dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen zu verwenden mit der Zielsetzung, dass bis zum Ende der Legislaturperiode zwei Drittel aller Stellen in der Lehre und Forschung in Nordrhein-Westfalen unbefristet sind;

3. dem Landtag einen jährlichen „Entfristungsbericht“ über die erzielten Fortschritte vorzulegen. Dieser soll Beratungsgegenstand im federführend zuständigen Wissenschaftsausschuss wie in anderen zuständigen Ausschüssen sein.

Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Bedarf, Angebote und Perspektiven – eine empirische Bestandsaufnahme im Zeitvergleich 2016, S. 4.

2 Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017. Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, Bielefeld 2017, S. 30.

3 Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017, S. 249.

4 MKW – Neudruck Anlage II zu Drucksache 17/4138, Nr.1 Antwort auf Frage 1.5. S. 2 von 73.