Antragder AfD-Fraktion vom 16.06.2020
Wohnungsleerstände im ländlichen Raum mobilisieren – Verdrängung auf den städtischen Wohnungsmärkten mildern
I. Ausgangslage
Nordrhein-Westfalen gehört neben dem Saarland und den ostdeutschen Ländern zu den Bundesländern mit einer relativ hohen Leerstandsquote. Nach einer aktuellen Erhebung des Immobilienforschungsinstituts „empirica“ gehören 148.100 Wohnungen, d.h. rd. 3 Prozent des gesamten Wohnungsbestands, zu dieser Kategorie.1
Daten zur Anzahl freier Wohnungen sowie die jeweilige Mietbelastung weichen dabei allerdings erheblich voneinander ab. Bekanntlich weisen nicht die Großstädte in den Ballungsräumen Leerstände auf. Dort gibt es eher ein zu geringes Angebot, vor allem an Wohnraum für untere Einkommensgruppen, und steigende Mieten. Die Leerstände finden sich vor allem im ländlichen Raum, wie etwa in den Kreisen des Sauerlands und im Lipperland.
Die Leerstandsquote z.B. in Düsseldorf hat sich im Zeitraum von 2006 bis 2017 (mit weiterhin sinkender Tendenz) von 3,3 auf 1,4 Prozent verringert.2 Das von der Landesregierung aktuell vorgelegte „Mantelgutachten zu den mietrechtlichen Verordnungen in Nordrhein-Westfalen“3 legt den Wohnungsleerstand als eines von zwei Kriterien für die Ermittlung von angespannten Wohnungsmärkten zu Grunde. Dort wird der Wohnungsleerstand für das Jahr 2018 “buchhalterisch“ fortgeschrieben. Auch hier wird festgestellt, dass die Großstädte einen geringen, eine Reihe von Gemeinden im ländlichen Raum jedoch über acht Prozent Leerstand aufweisen.
Die Landesregierung stellt in mehreren Antworten auf Kleine Anfragen eine Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt fest: „Auf dem angespannten Wohnungsmarkt konkurrieren derzeit mehrere Gruppen um eine begrenzte Anzahl des verfügbaren neuen oder freiwerdenden Wohnraums im Bestand: Dies sind insbesondere untere und mittlere 3 Empirica ag, Mantelgutachten zu den mietrechtlichen Verordnungen in Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Berlin, März 2020 Einkommensgruppen, Flüchtlinge, Studenten oder Obdachlose.“4 An anderer Stelle werden zusätzlich einkommensarme Rentner benannt.5
Eine Lösung des Problems durch den Bau neuer Sozialwohnungen in ausreichender Zahl – insbesondere in den sog. „Schwarmstädten“ Köln, Bonn, Münster und Düsseldorf, die entsprechend auch den Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten zugerechnet werden – ist offenbar nicht in Sicht. Trotz massiver finanzieller Förderung wird bei weitem nicht der steigende Bedarf an entsprechendem Wohnraum gedeckt. Zudem fällt der Abgang von Wohnungen, die aus der Mietpreisbindung fallen, weiterhin höher aus als der Zugang an entsprechenden Wohnungen.
Deshalb steht zu vermuten, dass auch in Nordrhein-Westfalen die beiden Nachfragegruppen „untere und mittlere Einkommensgruppen“ und „Asylberechtigte bzw. Ausreisepflichtige“, die umfangmäßig bedeutsamsten für das Segment des preiswerten Wohnraums sind. Dies gilt auch weiterhin; denn all diese Menschen werden um das knappe Gut des preiswerten Wohnraums – ob öffentlich gefördert oder privat – konkurrieren.
Vor dem Hintergrund der großen Leerstandspotentiale im ländlichen Raum bietet es sich an, diese zielgerichtet für bestimmte Nachfragegruppen zu mobilisieren und damit überforderte großstädtische Wohnungsmärkte zu entlasten. Eine dieser Nachfragegruppen mit Steuerungspotential bilden Asylbewerber und Personen, denen ein Schutzstatus zuerkannt wurde. Bereits frühzeitig wurde in einer Studie auf den möglichen Anstieg des Neubaubedarfs für den Zeitraum von 2015 bis 2020 (bei einer Verteilung der „Flüchtlinge“ im Verhältnis zu den Ausländern im Status quo) hingewiesen, z.B.
- Düsseldorf plus 87 Prozent oder
- Köln plus 51 Prozent
Vor dem Hintergrund der “freien Kapazitäten“, d.h. dem Wohnungsleerstand in vielen Regionen der Bundesrepublik (auf Grund von Abwanderung aus bestimmten Regionen und Zuwanderung in bestimmte andere Regionen), wurde deshalb ein neuer Verteilungsschlüssel für die Verteilung der „Flüchtlinge“ angeregt, der sich an belastbaren amtlichen Daten wie der Bevölkerungsveränderung zwischen den Jahren 2011 und 2014 in Verbindung mit einer Wohnortauflage orientieren sollte. In der vorgenommenen Modellrechnung wurde für die beiden genannten Städte zumindest eine Reduzierung des Anstiegs des Neubaubedarfs durch den Zuzug von „Flüchtlingen“ erreicht (48 Prozent statt 87 Prozent für Düsseldorf und 38 Prozent statt 51 Prozent für Köln).7
II. Verteilung von Asylberechtigten und bleibeberechtigten Flüchtlingen gemäß Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung (AWoV)
Seit dem Jahre 2016 ist die Wahlfreiheit des Wohnorts für Asylberechtigte durch eine Änderung im Aufenthaltsgesetz während der ersten drei Jahre nach der Anerkennung des Aufenthaltsstatus grundsätzlich auf das Bundesland, dem die Personen für die Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen worden waren, beschränkt.
Gemäß § 12a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird es den Bundesländern ermöglicht, eigene landesinterne Regelungen zur Wohnsitzzuweisung zu treffen. In NRW gilt auf dieser Grundlage seit dem 15.11.2016 die momentan bis zum 31.12.2022 befristete Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung (AWoV).
Diese Wohnsitzauflage gilt grundsätzlich für Asylberechtigte, anerkannte, asylberechtigte Flüchtlinge im Sinne von § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiär Schutzberechtigte im Sinne von § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes. Die Wohnsitzauflage gilt für einen Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.
Auch für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer gilt gemäß § 61 AufenthG eine Wohnsitzauflage. Dieser Personenkreis ist verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Für Geduldete gilt eine Wohnsitzauflage, wenn sie Sozialleistungen empfangen.
Per Integrationsschlüssel erfolgt, unter der Zuständigkeit der Bezirksregierung Arnsberg, die weitere Verteilung auf die 396 Kommunen in NRW. Die verschiedenen Kriterien zur Berechnung des Integrationsschlüssels sind festgelegt gemäß § 4, AWoV. So kommt es zu einer Verringerung des Integrationsschlüssels in Höhe von zehn Prozent, wenn in Gemeinden die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Ebenso kommt es zu einer Reduktion in Höhe von zehn Prozent, wenn der Anteil der Personen aus den EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien und Ungarn, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, mindestens 50 Prozent über dem NRW-Landesdurchschnitt liegt. Zum 1. Januar eines jeden Jahres erfolgt regelmäßig eine Neuberechnung.
Wie der von der Bezirksregierung Arnsberg regelmäßig veröffentlichte Verteilstatistik zu entnehmen ist, gibt es Kommunen mit einer hohen Übererfüllung und Kommunen, die weit von der vorgesehenen Aufnahmezahl entfernt sind. Am 17.05.2020 ergaben sich z.B. die folgenden Erfüllungsquoten:8
- Bochum: 160 Prozent
- Dortmund: 224 Prozent
- Essen: 234 Prozent
- Minden: 244 Prozent
- Erndtebrück: 32 Prozent
- Kerken: 34 Prozent
- Korschenbroich: 25 Prozent
- Weeze: 32 Prozent
Wie ein Antrag aus dem Jahre 2016 belegt, hatte die damalige Oppositionspartei CDU erkannt, dass „Asylberechtigte nach Abschluss des Asylverfahrens oftmals den Wohnsitz wechseln und erfahrungsgemäß dorthin ziehen, wo bereits Verwandte oder Bekannte wohnen oder ihre „Community“ beheimatet ist“. Diese Häufung einzelner ethnischer Gruppen in den Kommunen wurde – zu Recht – aus integrationspolitischer Sicht als problematisch eingestuft. Die räumliche Verteilung zeigte damals, dass rund die Hälfte der 215.000 gemeldeten erwerbsfähigen Personen aus den acht Nicht-EU-Asylzugangsländern in lediglich 33 von 402 Kreisen bzw. kreisfreien Städten lebten.
Dies seien aber häufig zugleich Regionen, die bereits überdurchschnittlich hohe SGB-II-Empfänger- und Arbeitslosenquoten aufweisen, sodass die Aussichten, dort Arbeit zu finden, geringer sind als in anderen Regionen Deutschlands. In Nordrhein-Westfalen seien insbesondere die Städte Köln, Düsseldorf, Dortmund und Essen (und damit die Rhein-Ruhr-Schiene) von konzentrierten Zuzügen Asylberechtigter betroffen, obwohl sich ein Großteil der Arbeitsplätze vorrangig bei kleinen und mittleren Unternehmen in den Landkreisen befände.9
„Lassen Sie uns gemeinsam nach Alternativen dafür suchen, wie wir die Menschen sinnvoller verteilen und so die Hauptzuzugsstädte zu einer Entlastung führen können“, appellierte die damalige Abgeordnete Ina Scharrenbach in ihrer Rede. Auch, die aus der EU-Mitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens resultierende zusätzliche Problematik im Rahmen der EU-Freizügigkeit, insbesondere in Duisburg und Dortmund, war bereits bekannt.10
Nachdem dieser Antrag vom 19.01.2016 seinerzeit abgelehnt wurde, erfolgte am 15.11.2016, in Form einer Verordnung der Landesregierung, der Versuch, dem Problem zu begegnen. Wie die aktuellen Erfüllungsquoten belegen, war die AWoV in der derzeitigen Form nicht dazu geeignet. Die Probleme in den genannten Städten haben sich seither weiter verschärft.
Neben den ungenutzten Potentialen auf dem Arbeitsmarkt bei kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch bei Großunternehmen in den Landkreisen, verschärft sich durch die nach wie vor mangelhafte Verteilung von Asylberechtigten das Wohnungsproblem in den Schwarmstädten. Arbeitskräftemangel, unbesetzte Ausbildungsstellen oder Wohnungsleerstand ließen sich grundsätzlich lösen: „Es ist eine Frage der Verteilung.“11
III. Verteilung von Asylsuchenden gemäß Flüchtlingsaufnahmegesetztes (FlüAG)
Bei Asylbewerbern, die nicht mehr verpflichtet sind, in Unterbringungseinrichtungen des Landes zu leben, erfolgt die Zuweisungen gemäß § 3 (1) des Flüchtlingsaufnahmegesetztes (FlüAG). Die Anzahl zugewiesenen Personen wird hierbei begrenzt durch Kriterien des Asylstufenplans; auch Personen, die einen Folgeantrag oder Zweitantrag stellen, sowie Personen, die unerlaubt eingereist sind, fallen unter diesen Verteilmechanismus. Die Berechnungsgrundlage bilden der Einwohner- und der Flächenschlüssel, welche im Verhältnis 9:1 den Zuweisungsschlüssel ergeben. Befinden sich Unterbringungseinrichtungen des Landes in der Gemeinde oder leben dort unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, verändert sich der Verteilschlüssel und die Zuteilung sinkt. Die jeweilige Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt findet bei dieser Berechnung keine Berücksichtigung.
IV. Schlussfolgerungen für den Wohnungsmarkt
Im Wohnungsmarktbericht NRW 2018 wird nur allgemein festgestellt, dass die Unterbringung von „Flüchtlingen“ auf dem regulären Wohnungsmarkt sehr unterschiedlich ausfällt und in Regionen mit Leerstand Möglichkeiten der Unterbringung genutzt werden konnten.12
Naheliegend und sinnvoll erscheint es daher, zum einen die vorhandenen Leerstände im ländlichen Raum auch mit Blick auf die Unterbringung von Asylberechtigten und geduldeten Ausreisepflichtigen, die einer Wohnsitzauflage unterliegen, zu mobilisieren. Und zum anderen, diesen Personenkreis zu veranlassen, diese Wohnungsbestände für die Dauer ihres Aufenthalts zu nutzen, und dies mit rechtlichen Mitteln und ggf. auch mit finanziellen Anreizen für die jeweiligen Gemeinden zu unterstützen. Ähnliches gilt für den Personenkreis gemäß § 2 FlüAG.
Eine mögliche Stellschraube sind hierbei die Verteilschlüssel gemäß § 3 FlüAG sowie § 4, AWoV. Auf diesem Wege könnten Städte mit einem angespannten Wohnungsmarkt entlastet werden.
V. Der Landtag stellt fest,
1. dass es landesweit erhebliche regionale Unterschiede bezogen auf die Kriterien Wohnungsleerstand, Anzahl der Bezieher von Sozialleistungen, der Mietbelastung und Anzahl der Sozialwohnungen gibt;
2. dass die bestehenden Verteilschlüssel für Asylbewerber und Asylberechtigte die Situation auf dem kommunalen Wohnungsmarkt nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen und
3. dass freie Kapazitäten auf dem Wohnungsmarkt effektiv zu nutzen sind, um städtebauliche Missstände zu beseitigen bzw. zu verhindern.
VI. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. für alle Städte und Gemeinden in NRW die jeweilige Gesamtzahl der (freien) Wohnungen, die Mietbelastung, die Anzahl der (freien) Sozialwohnungen und die Anzahl der Personen mit Wohnsitzauflage bzw. Residenzpflicht zu ermitteln;
2. auf diesem Wege Städte und Gemeinden mit einer besonderen Belastung des sozialen Wohnungsmarkts zu identifizieren;
3. Möglichkeiten zur Nutzung verfügbaren Wohnungsleerstands, insbesondere in Gemeinden des ländlichen Raums, in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden zu prüfen;
4. eine grundlegende Überarbeitung der Zuweisungsschlüssel gemäß § 4 AWoV und § 3 FlüAG zu prüfen;
5. in diesem Zusammenhang die Kriterien „Wohnungsleerstand“ und „Anzahl der freien Sozialwohnungen“ neu bzw. stärker zu berücksichtigen;
6. zukünftig vermehrt auf die Einhaltung der Verteilschlüssel zu achten und starken Abweichungen nach oben und unten mit geeigneten Maßnahmen entgegenzuwirken;
7. die freiwillige Selbstverpflichtung einiger Städte, z.B. durch eine Deklarierung als „sicherer Hafen“, mangels Zuständigkeit unberücksichtigt zu lassen;
8. an Modellbeispielen Lösungsvorschläge für Kommunen unterschiedlicher Lage und Größe zu entwickeln sowie diese im Rahmen einer Fachveranstaltung Ende des Jahres 2020 zu präsentieren;
9. die momentan bis zum 31.12.2022 befristete Wohnsitzregelungsverordnung für Ausländer zu entfristen.
Gabriele Walger-Demolsky
Roger Beckamp
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. Betagt – aber gefragt, in: Welt am Sonntag vom 3.11.2019, S. 52
4 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 876 vom 14. März 2018 des Abgeordneten Roger Beckamp AfD, Drucksache 17/2189, in Drucksache 17/2373
5 vgl. Drucksache 17/2991
6 Simons, H., Weisen, L. (2016): Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland. Vorschlag für eine nachhaltige regionale Verteilung, empirica ag, März 2016, S. 3
7 Vgl. Simons, H., Weisen, L. (2016), S. 48
8 Vgl. https://www.bezreg-arnsberg.nrw.de/themen/xyz/zuweisung_wohnsitzauflage/ verteilstatistik_erfuellungsquoten/verteilstatistiken/vs_wsa_20_05_17.pdf
9 Vgl. https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-10792.pdf
10 Vgl. Lt.-Protokoll 16/104
11 Vgl. Simons, H., Weisen, L. (2016), S. 1
12 Vgl. NRW.Bank: Wohnungsmarktbericht 2018,