Kleine Anfrage 686
der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD
Im Rahmen der Haushaltsberatungen des Einzelplans 07 im Integrationsausschuss hat die Fraktion der SPD um eine Liste der durch das Land geförderten Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten gebeten. Mit Schreiben vom 04.12.17 wurde diese Liste durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration zur Verfügung gestellt.
In Bezug auf die gesellschaftlichen Funktionen von Migrantenselbstorganisationen gibt es konträre Positionen. Migrantenselbstorganisationen können durchaus auch negative Auswirkungen auf die Teilhabe und die Einbindung in die Gesellschaft von Migranten haben und somit integrationshemmend wirken. Prof. Dr. Lüdiger Pries, Inhaber des Lehrstuhls für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, beschreibt in einem Dossier, dass „langfristig die Orientierung an der eigenethnischen Bezugsgruppe zu einer „Falle“ werden könne, die den sozio-ökonomischen Aufstieg der Zuwanderer behindere, da eine erfolgreiche Integration in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes nur dann erfolgen könne, wenn sich die Zuwanderer an den Erfordernissen des Aufnahmelandes orientieren“. 1 Migrantenselbstorganisationen können also durchaus auch zu einer Herausbildung und Verfestigung von Parallelgesellschaften führen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Interessen der Herkunftsländer bzw. -kulturen oder auch religiöse Überzeugungen im Vordergrund stehen, was eine Integration eher behindern würde.
Kritisch gesehen werden müssen Migrantenselbstorganisationen, die als Einflussverband auftreten und auf die politische oder allgemeine gesellschaftliche Geltung und Einwirkung nach außen orientiert sind, z.B. als politischer oder Flüchtlingsverband oder als Repräsentation ethnischer Minderheiten.
Laut Haushaltsentwurf 2018 sollen Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten auch im Haushaltsjahr 2018 mit insgesamt 2.700.000 Euro gefördert werden. Grundlage ist die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten.
1 http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/158878/gesellschaftliche-teilhabe
Ich frage daher die Landesregierung:
- In welcher Höhe haben die in der Aufstellung des MKFFI genannten Zuwendungsempfänger im Rahmen der Förderphase 2016/2017 Fördermittel erhalten? (bitte auflisten)
- Welche der genannten Zuwendungsempfänger sind Mitglied der AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Landesverbände der Jüdischen Gemeinde oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes? (bitte auflisten)
- Welche der genannten Zuwendungsempfänger beschäftigen sich ausschließlich oder überwiegend mit einzelnen Zuwanderergruppen? (bitte auflisten nach: (a) Asylsuchenden bzw. Asylberechtigten (b) Migranten mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus z.B. Zuwanderer aus EU-Ländern, (c) Deutschen mit Migrationshintergrund)
- Welche der genannten Zuwendungsempfänger erhalten neben der Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen auch finanzielle Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs)? (bitte auflisten)
- Migrantenselbstorganisationen variieren mitunter sehr stark nach ihren vorherrschenden Zielen und Ausrichtungen als religiöse, unternehmerische, politische, kulturelle, Selbsthilfe-, Wohltätigkeits- oder Freizeit-Verbände. Welche Ausrichtung haben die durch das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Organisationen? (bitte auflisten)
Gabriele Walger-Demolsky
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 686 im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen wie folgt:
Vorbemerkung der Landesregierung
Das in der Kleinen Anfrage 686 aufgeführte Zitat „Langfristig kann die Orientierung an der eigenethnischen Bezugsgruppe zu einer Falle‘ werden, die den sozio-ökonomischen Aufstieg der Zuwanderer behindert, da eine erfolgreiche Integration in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zuwanderer an den Erfordernissen des Aufnahmelandes orientieren“ stammt aus dem Kurzdossier „Migrantenselbstorganisationen — Umfang, Strukturen, Bedeutung“ von Prof. Dr. Ludger Pries.
In dem Absatz des Kurzdossiers, aus dem dieses Zitat stammt, legt Prof. Dr. Pries die verschiedenen Forschungsansätze zu Migranten-selbstorganisationen (MSO) in den 80er Jahren dar, die sich hauptsächlich mit der Frage beschäftigen, ob MSO eher der Abschottung oder Integration dienen.
Bei dem oben genannten Zitat handelt es sich demnach nicht um eine These von Prof. Dr. Pries, sondern um ein Ergebnis des Soziologen Hartmut Esser aus dem Jahr 1986. Darüber hinaus macht Prof. Dr. Pries in diesem Kurzdossier deutlich, dass ein Großteil der MSO-Experten das Integrationspotential von MSO betont: „Die Mehrheit der mit dem Thema befassten Experten, so der Politikwissenschaftler Christoph Müller-Hofstede, sehe aber vor allem das hohe Integrationspotenzial von MSOs und die Chancen, die die zivilgesellschaftlichen und integrationspolitischen Dienstleistungen dieser Organisationen z.B. im Sinne der Vermittlung von Alltagswissen, der Bereitstellung von Hilfe insbesondere bei der schulischen Integration oder zur Orientierung in der Einwanderungsphase bereitstellten (vgl. auch Hunger 2004, S. 18ff).
Schließlich kommt Prof. Dr. Pries im Fazit des Kurzdossiers zum Ergebnis, dass „die vorhandenen Studien zu MSOs in Deutschland nahe [legen], keinen pauschalen Grundsatzstreit über deren Funktion als ‚Integrationsbrücke‘ oder als ,Integrationsfalle‘ zu führen, sondern sie als multidimensionale, multifunktionale und sich im Zeitverlauf stark wandelnde Organisationen zu betrachten, die in aller Regel in Herkunfts- und Ankunftsländern verankert sind.“
1. In welcher Höhe haben die in der Aufstellung des MKFFI genannten Zuwendungsempfänger im Rahmen der Förderphase 2016/2017 Fördermittel erhalten? (bitte auflisten)
In der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit kann eine detaillierte Aufstellung der tatsächlich verausgabten Fördermittel nicht erfolgen. Laut der für die Förderphase 2016/2017 geltenden Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten vom 13.8.2015 untergliedert sich die Förderung in drei Bereiche: Anschubförderung, Einzelprojektförderung und Förderung von Unterstützung, Qualifizierung und Vernetzung. Im Bereich Anschubförderung ist die Förderung auf einen Höchstbetrag von 6.000 € pro Haushaltsjahr begrenzt. In den Bereichen Einzelprojektförderung und Förderung von Unterstützung, Qualifizierung und Vernetzung war die Förderung auf einen Höchstbetrag von 15.000 € pro Haushaltsjahr begrenzt. Eine Auflistung der Zuwendungsempfänger in der Förderphase 2016/2017 sowie der jeweiligen Förderbereiche ist als Anlage beigefügt.
2. Welche der genannten Zuwendungsempfänger sind Mitglied der AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Landesverbände der Jüdischen Gemeinde oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes? (bitte auflisten)
Für eine Förderung im Rahmen des MSO-Programms ist es unerheblich, ob oder welchem Wohlfahrtsverband eine MSO angehört. Die Mitgliedschaft in einem Wohlfahrtsverband wurde in der Förderphase 2016/2017 daher nicht abgefragt.
3. Welche der genannten Zuwendungsempfänger beschäftigen sich ausschließlich oder überwiegend mit einzelnen Zuwanderergruppen? (bitte auflisten nach: (a) Asylsuchenden bzw. Asylberechtigten (b) Migranten mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus z.B. Zuwanderer aus EU-Ländern, (c) Deutschen mit Migrationshinter-grund)
Der aufenthaltsrechtliche Status der Zuwanderungsgruppen, mit denen sich der Zuwendungsempfänger insgesamt beschäftigt, wird im Rahmen des MSO-Programms nicht abgefragt.
4. Welche der genannten Zuwendungsempfänger erhalten neben der Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen auch finanzielle Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs)? (bitte auflisten)
Ausschlaggebend ist der Finanzierungsplan für das beantragte Projekt. Hier muss angegeben werden, wenn weitere öffentliche Mittel oder Leistungen von Dritten (z.B. von NGOs) für die Finanzierung des Projekts vorliegen. Welche finanzielle Unterstützung der Zuwendungsempfänger über das beantragte Projekt hinaus erhält, wird im Rahmen des MSO-Programms nicht abgefragt.
5. Migrantenselbstorganisationen variieren mitunter sehr stark nach ihren vorherrschenden Zielen und Ausrichtungen als religiöse, unternehmerische, politische, kulturelle, Selbsthilfe-, Wohltä-tigkeits- oder Freizeit-Verbände. Welche Ausrichtung haben die durch das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Organisationen? (bitte auflisten)
Wie im Kurzdossier von Prof. Dr. Pries dargestellt, ist die Zuordnung einzelner MSO zu bestimmten Tätigkeitsfeldern schwierig, da deren Ar-beits- und Themenbereiche häufig „multifunktional“ sind und sich im Zeitverlauf ändern. Eine entsprechende Kategorisierung der geförderten MSO liegt darum nicht vor. Zuwendungen für MSO werden nach Maßgabe der geltenden Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten und der Verwaltungsvorschriften zu § 44 LHO vergeben. So ist in Nr. 5.1 der Richtlinie insbesondere geregelt, dass nur MSO gefördert werden können, die sich nicht ausschließlich der Pflege der Herkunftskultur oder der Religionsausübung widmen, als gemeinnützig anerkannt und unabhängig von staatlichen Strukturen im In- und Ausland sowie von Parteien sind.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Stamp