Zuschüsse an Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten

Kleine Anfrage
vom 06.02.2018

Kleine Anfrage 686
der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD

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Anlage 1 als PDF laden

Im Rahmen der Haushaltsberatungen des Einzelplans 07 im Integrationsausschuss hat die Fraktion der SPD um eine Liste der durch das Land geförderten Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten gebeten. Mit Schreiben vom 04.12.17 wurde diese Liste durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration zur Verfügung gestellt.

In Bezug auf die gesellschaftlichen Funktionen von Migrantenselbstorganisationen gibt es konträre Positionen. Migrantenselbstorganisationen können durchaus auch negative Auswirkungen auf die Teilhabe und die Einbindung in die Gesellschaft von Migranten haben und somit integrationshemmend wirken. Prof. Dr. Lüdiger Pries, Inhaber des Lehrstuhls für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, beschreibt in einem Dossier, dass „langfristig die Orientierung an der eigenethnischen Bezugsgruppe zu einer „Falle“ werden könne, die den sozio-ökonomischen Aufstieg der Zuwanderer behindere, da eine erfolgreiche Integration in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes nur dann erfolgen könne, wenn sich die Zuwanderer an den Erfordernissen des Aufnahmelandes orientieren“. 1 Migrantenselbstorganisationen können also durchaus auch zu einer Herausbildung und Verfestigung von Parallelgesellschaften führen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Interessen der Herkunftsländer bzw. -kulturen oder auch religiöse Überzeugungen im Vordergrund stehen, was eine Integration eher behindern würde.

Kritisch gesehen werden müssen Migrantenselbstorganisationen, die als Einflussverband auftreten und auf die politische oder allgemeine gesellschaftliche Geltung und Einwirkung nach außen orientiert sind, z.B. als politischer oder Flüchtlingsverband oder als Repräsentation ethnischer Minderheiten.

Laut Haushaltsentwurf 2018 sollen Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten auch im Haushaltsjahr 2018 mit insgesamt 2.700.000 Euro gefördert werden. Grundlage ist die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten.

1 http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/158878/gesellschaftliche-teilhabe

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. In welcher Höhe haben die in der Aufstellung des MKFFI genannten Zuwendungsempfänger im Rahmen der Förderphase 2016/2017 Fördermittel erhalten? (bitte auflisten)
  2. Welche der genannten Zuwendungsempfänger sind Mitglied der AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Landesverbände der Jüdischen Gemeinde oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes? (bitte auflisten)
  3. Welche der genannten Zuwendungsempfänger beschäftigen sich ausschließlich oder überwiegend mit einzelnen Zuwanderergruppen? (bitte auflisten nach: (a) Asylsuchenden bzw. Asylberechtigten (b) Migranten mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus z.B. Zuwanderer aus EU-Ländern, (c) Deutschen mit Migrationshintergrund)
  4. Welche der genannten Zuwendungsempfänger erhalten neben der Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen auch finanzielle Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs)? (bitte auflisten)
  5. Migrantenselbstorganisationen variieren mitunter sehr stark nach ihren vorherrschenden Zielen und Ausrichtungen als religiöse, unternehmerische, politische, kulturelle, Selbsthilfe-, Wohltätigkeits- oder Freizeit-Verbände. Welche Ausrichtung haben die durch das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Organisationen? (bitte auflisten)

Gabriele Walger-Demolsky

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 686 im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen wie folgt:

Vorbemerkung der Landesregierung

Das in der Kleinen Anfrage 686 aufgeführte Zitat „Langfristig kann die Orientierung an der eigenethnischen Bezugsgruppe zu einer Falle‘ wer­den, die den sozio-ökonomischen Aufstieg der Zuwanderer behindert, da eine erfolgreiche Integration in das Bildungssystem und den Ar­beitsmarkt des Aufnahmelandes nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zuwanderer an den Erfordernissen des Aufnahmelandes orientieren“ stammt aus dem Kurzdossier „Migrantenselbstorganisationen — Umfang, Strukturen, Bedeutung“ von Prof. Dr. Ludger Pries.

In dem Absatz des Kurzdossiers, aus dem dieses Zitat stammt, legt Prof. Dr. Pries die verschiedenen Forschungsansätze zu Migranten-selbstorganisationen (MSO) in den 80er Jahren dar, die sich hauptsäch­lich mit der Frage beschäftigen, ob MSO eher der Abschottung oder In­tegration dienen.

Bei dem oben genannten Zitat handelt es sich demnach nicht um eine These von Prof. Dr. Pries, sondern um ein Ergebnis des Soziologen Hartmut Esser aus dem Jahr 1986. Darüber hinaus macht Prof. Dr. Pries in diesem Kurzdossier deutlich, dass ein Großteil der MSO-Experten das Integrationspotential von MSO betont: „Die Mehrheit der mit dem Thema befassten Experten, so der Politikwissenschaftler Chris­toph Müller-Hofstede, sehe aber vor allem das hohe Integrationspoten­zial von MSOs und die Chancen, die die zivilgesellschaftlichen und in­tegrationspolitischen Dienstleistungen dieser Organisationen z.B. im Sinne der Vermittlung von Alltagswissen, der Bereitstellung von Hilfe insbesondere bei der schulischen Integration oder zur Orientierung in der Einwanderungsphase bereitstellten (vgl. auch Hunger 2004, S. 18ff).

Schließlich kommt Prof. Dr. Pries im Fazit des Kurzdossiers zum Ergeb­nis, dass „die vorhandenen Studien zu MSOs in Deutschland nahe [le­gen], keinen pauschalen Grundsatzstreit über deren Funktion als ‚Integ­rationsbrücke‘ oder als ,Integrationsfalle‘ zu führen, sondern sie als mul­tidimensionale, multifunktionale und sich im Zeitverlauf stark wandelnde Organisationen zu betrachten, die in aller Regel in Herkunfts- und An­kunftsländern verankert sind.“

1. In welcher Höhe haben die in der Aufstellung des MKFFI genann­ten Zuwendungsempfänger im Rahmen der Förderphase 2016/2017 Fördermittel erhalten? (bitte auflisten)

In der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehen­den Zeit kann eine detaillierte Aufstellung der tatsächlich verausgabten Fördermittel nicht erfolgen. Laut der für die Förderphase 2016/2017 gel­tenden Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstor­ganisationen von Migrantinnen und Migranten vom 13.8.2015 unterglie­dert sich die Förderung in drei Bereiche: Anschubförderung, Einzelpro­jektförderung und Förderung von Unterstützung, Qualifizierung und Ver­netzung. Im Bereich Anschubförderung ist die Förderung auf einen Höchstbetrag von 6.000 € pro Haushaltsjahr begrenzt. In den Bereichen Einzelprojektförderung und Förderung von Unterstützung, Qualifizierung und Vernetzung war die Förderung auf einen Höchstbetrag von 15.000 € pro Haushaltsjahr begrenzt. Eine Auflistung der Zuwendungsempfän­ger in der Förderphase 2016/2017 sowie der jeweiligen Förderbereiche ist als Anlage beigefügt.

2. Welche der genannten Zuwendungsempfänger sind Mitglied der AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Landesverbände der Jüdischen Ge­meinde oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes? (bitte auflis­ten)

Für eine Förderung im Rahmen des MSO-Programms ist es unerheb­lich, ob oder welchem Wohlfahrtsverband eine MSO angehört. Die Mit­gliedschaft in einem Wohlfahrtsverband wurde in der Förderphase 2016/2017 daher nicht abgefragt.

3. Welche der genannten Zuwendungsempfänger beschäftigen sich ausschließlich oder überwiegend mit einzelnen Zuwanderergruppen? (bitte auflisten nach: (a) Asylsuchenden bzw. Asylberechtig­ten (b) Migranten mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus z.B. Zu­wanderer aus EU-Ländern, (c) Deutschen mit Migrationshinter-grund)

Der aufenthaltsrechtliche Status der Zuwanderungsgruppen, mit denen sich der Zuwendungsempfänger insgesamt beschäftigt, wird im Rahmen des MSO-Programms nicht abgefragt.

4. Welche der genannten Zuwendungsempfänger erhalten neben der Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen auch finanziel­le Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs)? (bitte auflisten)

Ausschlaggebend ist der Finanzierungsplan für das beantragte Projekt. Hier muss angegeben werden, wenn weitere öffentliche Mittel oder Leis­tungen von Dritten (z.B. von NGOs) für die Finanzierung des Projekts vorliegen. Welche finanzielle Unterstützung der Zuwendungsempfänger über das beantragte Projekt hinaus erhält, wird im Rahmen des MSO-Programms nicht abgefragt.

5. Migrantenselbstorganisationen variieren mitunter sehr stark nach ihren vorherrschenden Zielen und Ausrichtungen als religiö­se, unternehmerische, politische, kulturelle, Selbsthilfe-, Wohltä-tigkeits- oder Freizeit-Verbände. Welche Ausrichtung haben die durch das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Organisationen? (bitte auflisten)

Wie im Kurzdossier von Prof. Dr. Pries dargestellt, ist die Zuordnung einzelner MSO zu bestimmten Tätigkeitsfeldern schwierig, da deren Ar-beits- und Themenbereiche häufig „multifunktional“ sind und sich im Zeitverlauf ändern. Eine entsprechende Kategorisierung der geförderten MSO liegt darum nicht vor. Zuwendungen für MSO werden nach Maß­gabe der geltenden Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten und der Ver­waltungsvorschriften zu § 44 LHO vergeben. So ist in Nr. 5.1 der Richt­linie insbesondere geregelt, dass nur MSO gefördert werden können, die sich nicht ausschließlich der Pflege der Herkunftskultur oder der Re­ligionsausübung widmen, als gemeinnützig anerkannt und unabhängig von staatlichen Strukturen im In- und Ausland sowie von Parteien sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Joachim Stamp