Antrag
der Fraktion AfD
Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Nutzern öffentlicher Bibliotheken vermeiden – Ausreichende Beschaffung von aktuellen Medien auch zu Jahresbeginn in „Stärkungspaktgemeinden“ ohne abschließend genehmigten Haushalt ermöglichen
I. Ausgangslage
„Bücher begleiten uns durch unser Leben. Sie sind Mittel unserer Menschwerdung, sie vertiefen unser Bewußtsein.“1 Aber aktuelle Umfragen und Studien belegen, dass die Zahlen von Nichtlesern steigen. Lesen ist an wichtiger Bestandteil in unserem Leben und Lesen darf nicht zu einem Luxusgut werden. Deshalb sind unsere Bibliotheken zu unterstützen, ist ihre Attraktivität zu erhalten und die Kulturtechnik Lesens zu bewahren.
“Das Lesen fördert die Identitätsentwicklung des Kindes; es hilft ihm, die Sichtweisen anderer zu verstehen; es lehrt den spielerischen Umgang mit Sprache, es eröffnet die Möglichkeit, in der Parallelwelt des Buches Prüfungen zu bestehen, die man auch in der wirklichen Welt fürchtet.“2
Öffentlichen Bibliotheken stellen für alle Schichten der Bevölkerung einen wichtigen Beitrag zur Einlösung des verfassungsrechtlich verbrieften Grundrechts dar, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ (Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1).3
Insbesondere die Öffentlichen Büchereien öffnen allen Bürgern einen Weg zur Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben und realisieren insoweit eine Forderung, der „The International Federation of Library Associations and Institutions“ (IFLA) in ihrem „Public Library Manifesto“ im Jahre 1994 Ausdruck verliehen hat. Mit ihren Dienstleistungen und Medienangeboten erfüllt die Öffentliche Bibliothek einen zentralen Auftrag im Bildungswesen. Zugleich trägt sie wesentlich zur Verwirklichung der Chancengleichheit des Einzelnen bei.4
Im Kulturfördergesetz NRW vom 18. Dezember 2014, §10, Absatz 1 heisst es: „das Land fördert die öffentlichen Bibliotheken in ihrer Funktion als Orte des lebenslangen Lernens, der Information, der Kommunikation und der Kultur.“5
Zurzeit gibt es in Deutschland insgesamt 7 5306 öffentliche Bibliotheken, davon allein 1 4926 in NRW. 54 % der Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland haben einen öffentlichen Träger. Hierunter zählen der Bund, die Länder, der Kreis oder Bezirk, die Kommune oder Gemeinde, sonstige öffentliche Träger sowie Körperschaften oder Stiftungen des öffentlichen Rechts. 7 Stadtbibliotheken übernehmen die Grundversorgung aller Schichten der Bevölkerung mit Literatur und anderen Medien. Sie bilden ein dichtes, in ländlichen Regionen leider noch lückenhaftes Bibliotheksnetz, das aufgrund der Finanzprobleme der öffentlichen Träger zunehmend ausgedünnt wird. Da die Unterhaltung einer öffentlichen Bibliothek zu den freiwilligen Aufgaben einer Gemeinde zählt, besitzen weniger als die Hälfte der deutschen Gemeinden eine kommunale Bibliothek. In den meisten Ländern ist die Finanzierung ausschließlich Sache der Kommune.8
Allerdings gibt es zunehmend ein großes Problem, das die Umsetzung dieser gesetzlichen Bestimmungen behindert.
Bereits im Jahre 2010 waren zwei Drittel allen kommunalen Bibliotheken in Deutschland vom Sparzwang bedroht. 20% mussten mit einer Haushaltssperre arbeiten. Nur jede dritte Stadtbücherei hatte die Möglichkeit, ihren Medienbestand zu erneuen.9
Harald Pilzer, Vorsitzender des Bibliotheksverbandes von Nordrhein-Westfalen, stellt fest: „das Kernproblem ist eine nicht hinreichende Ausfinanzierung der kommunalen Haushalte“.10
Das Verschuldungsproblem ist für die Aktualisierung des Ausleihbestands der hochverschuldeten Städte ein wesentliches Problem. Von den insgesamt 396 Gemeinden des Landes nehmen 61 Gemeinden als überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Gemeinden am sog. „Stärkungspakt“ teil. Dies betrifft z.B. Großstädte wie Duisburg, Hagen und Bochum als pflichtige Teilnehmer oder Essen, Gelsenkirchen, Leverkusen, Mönchengladbach und Solingen als freiwillige Teilnehmer und eine Reihe von mittelgroßen und kleineren Städten des Landes. Die Gemeinden müssen einen klaren Sanierungskurs einschlagen, um einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen. Die Notwendigkeit den kommunalen Haushalt durch die zuständige Bezirksregierung zu genehmigen, führt in einer Reihe von Fällen zu einer mehrmonatigen Verzögerung bis eine Genehmigung vorliegt und eine ordnungsgemäße Haushaltsabwicklung möglich wird. Dies betrifft dann auch die Anschaffung von Büchern in den kommunalen Bibliotheken.
Darüber hinaus sind die Erwerbungsausgaben pro Einwohner in diesen Gemeinden sehr niedrig. Nach dem Haushaltsansatz liegen die Erwerbungsausgaben z. B. in Wuppertal bei ca. 0.83 € pro Einwohner. Damit liegt die Stadt beim Ranking der nordrhein-westfälischen Großstadtbibliotheken mit am Ende der Tabelle. Nur bei Hinzurechnung von Spenden, Einnahmen und Drittmitteln wurden im Jahr 2017 diese 0.83€ bis 1€ angehoben. Situation wird zusätzlich dadurch verschärft, dass der Erwerbungsetat der Stadtbibliothek den strengen Vorgaben einer vorläufigen Haushaltsführung bei einem nicht genehmigten Haushaltsplan unterliegt.
#921 Erwerbungsausgabe pro Einwohner
Haushaltssicherungspläne führen zu einer Situation, in der die betroffenen Städte eine Genehmigung ihrer Medieneinkäufe von der zuständigen Bezirksregierung abwarten müssen. Dieses Genehmigungsverfahren dauerte in den letzten Jahren oftmals zwischen 3 bis 6 Monaten. Zum Beispiel bekam Bochum von der zuständigen Bezirksgenehmigung im Jahr 2018 am 22.0211 diese Genehmigung; im Jahre 2017 aber erst am 5.0412 und im Jahr 2016 sogar erst am 9.05.13 In dieser Zeit war es der Gemeinde nicht erlaubt, Investitionsgüter anzuschaffen, dazu gehörten auch Bücher für Stadtbüchereien. Dies bedeutete, dass zu Beginn des jeweiligen Jahres keine Anschaffung von aktueller Literatur stattfinden konnte und in der Folge die Nutzer dieser Bibliotheken keinen aktuellen Medienbestand vorfanden konnten und damit entsprechend die Attraktivität für Besucher verloren ging.
Mit einer Anschaffungsgenehmigung für Bücher durch die Stadtbüchereien auch während der Zeit der Haushaltsplanabstimmung zwischen Bezirksregierung und Gemeinde, ist das Problem eines inaktuellen Bücherbestandes zu vermeiden und einer Schlechter-Behandlung der Bibliothekbesucher in „Stärkungspaktgemeinden“ entgegenzuwirken, damit keine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Nutzer in verschuldeten bzw. nichtverschuldeten Gemeinden entsteht.
Unter Berücksichtigung aller oben genannten Gründe und Fakten, die lange Bibliothekengeschichte in Deutschland, dem immer noch großen Interesse für Stadtbibliotheken bei den Bürgerinnen und Bürgern oder wohlklingenden Plänen, die Bibliotheken in „Dritte Orten“ zu transformieren, gilt es zunächst Einsparrungen und Zeitverzögerungen in der Beschaffungspolitik zu vermeiden und durch frühzeitige Lösungen diesem Problem entgegen zu wirken.
II. Der Landtag stellt fest,
dass die Einsparungen in der Produktgruppe Stadtbücherei in allen Gemeinden zu vermeiden sind, um den Büchereibesuchern ausreichend und aktuelle Bücher bereit stellen zu können.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
Regelungen zu treffen, damit die Gemeinden die Anschaffung von Medien (elektronische und gedruckte) für Stadtbüchereien unabhängig von der Genehmigung des Haushalts bereits zu Jahresbeginn frei geben können, denn der Informations- und Bildungsauftrag für die Bürgerinnen und Bürger darf – auch zeitweise – nicht behindert werden.
Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Reinhard Piper, bekannter deutscher Verleger. http://www.bpb.de/presse/159500/grusswort-anlaesslich-des-russisch-deutschen-literaturdialiogs-in-berlin-akademie-der-kuenste
2 Susanne Gaschke, deutsche Journalistin, Sachbuchautorin und Politikerin (SPD). Zitate aus „Die Erziehungskatastrophe. Kinder brauchen starke Eltern“ https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_susanne_gaschke_thema_lesen_zitat_27536.html
3 https://wiki1.hbz-nrw.de/download/attachments/263061506/SpartenberichtMuseen5216205179004.pdf?version=1&mod ificationDate=1513669504758, Seite 18
4 https://www.goethe.de/z/pro/21-portale/portale_deutsch.pdf, Seite 55
5 https://www.mkffi.nrw/sites/default/files/asset/document/kulturfoerdergesetz_kfg _web.pdf, Seite 12
6 https://wiki1.hbz-nrw.de/download/attachments/99811339/oeb_laender_2016.pdf?version=1&modificationDate=150832 6812518
7 https://wiki1.hbz-nrw.de/download/attachments/263061506/SpartenberichtMuseen5216205179004.pdf?version=1&mod ificationDate=1513669504758, Seite 45
8 https://www.goethe.de/z/pro/21-portale/portale_deutsch.pdf, Seite 55
9 http://www.treffpunkt-bibliothek.de/downloads/file/Dokumente,%20Sonstiges%202011/Mediendokumentation%202010.pdf, Seite 42
10 http://www.taz.de/!5132943/
11 https://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W2AW99U8536BOCMDE
12 https://www.bezreg-arnsberg.nrw.de/presse/2017/04/050_17_04_06/index.php
13 https://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W2A9SHVE084BOCMDE