Kleine Anfrage vom 23.08.2017
der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD
Aus Medienberichten geht hervor, dass Ärzte durch „zweifelhafte“ (d. h. nicht fachgerechte) Atteste Abschiebungen verhindert haben – diese Praxis soll gegenwärtig noch in größerem Umfang zu verzeichnen sein
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie viele Fälle sind der Landesregierung seit 2015 bekannt, in denen Ärzte Atteste ausgestellt haben, die Abschiebungen verhindert bzw. verzögert haben.
- Hat die Landesregierung zu berufsständischen Organisationen, z. B. Ärztekammern, Kontakt aufgenommen, um das Thema anzusprechen und aufzuklären?
Gabriele Walger-Demolsky
________________________________________________________________________________________________
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 223 im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales wie folgt:
Frage 1: Wie viele Fälle sind der Landesregierung seit 2015 bekannt, in denen Ärzte Atteste ausgestellt haben, die Abschiebungen verhindert bzw. verzögert haben?
Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn eine lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Zur Klärung der Reisefähigkeit sind die Ausländerbehörden im Rahmen von Rückführungen daher gehalten, vorgelegte qualifizierte Atteste zu überprüfen, um auf einer solchen Grundlage die Feststellung über das Vorliegen der Reisefähigkeit und die Entscheidung zu treffen, ob die Rückführung ärztlich begleitet werden muss. Hierbei werden die kommunalen Ausländerbehörden durch die im Jahr 2016 bei der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld errichtete Zentrale Rückkehrkoordination NRW (ZRK NRW) unterstützt. Die ZRK NRW bündelt und koordiniert die schon bestehenden Unterstützungsleistungen bei der Rückführung und steht den Kommunen als zentraler Ansprechpartner für alle Rückkehrfragen zur Verfügung.
Die Zahl der Fälle, in denen Abschiebungen wegen der Vorlage ärztlicher Atteste nicht durchgeführt werden konnten, wird statistisch nicht erfasst.
Frage 2: Hat die Landesregierung zu berufsständischen Organisationen, z.B. Ärztekammern, Kontakt aufgenommen, um das Thema anzusprechen und aufzuklären?
Mit dem am 25.02.2016 verabschiedeten Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren („Asylpaket II“) wurden hinsichtlich des Umgangs mit gesundheitlichen Abschiebungshindernissen neue gesetzliche Regelungen geschaffen. Gern. § 60a Abs. 2c AufenthG n.F. besteht die gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese Vermutung kann der Betroffene durch die Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung entkräften. Die qualifizierte ärztliche Bescheinigung soll enthalten:
die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die Diagnose und den Schweregrad der Erkrankung, die Folgen, die sich aufgrund dieser Erkrankung voraussichtlich ergeben.
Die ärztliche Bescheinigung ist gern. § 60a Abs. 2d AufenthG n.F. unverzüglich vorzulegen, ansonsten darf sie durch die Behörde nicht berücksichtigt werden. Die Präklusion tritt ausnahmsweise nicht ein, wenn der Betroffene unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung verhindert war oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vorliegen.
Der Gesetzgeber hat somit die Anforderungen für die Vorlage von Attesten zur Geltendmachung gesundheitlicher Abschiebungs- und Vollzugshindernisse qualitativ neu gefasst und präzisiert. Dies gilt insbesondere für die nunmehr verlangte und ausführlich geregelte qualifizierte ärztliche Bescheinigung. Vor dem Hintergrund dieser veränderten rechtlichen Bedingungen für Atteste besteht aktuell keine Veranlassung, hierzu auf berufsständische Organisationen zuzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Stamp