Wohlbefinden als Garant für guten Unterricht!

Kleine Anfrage
vom 13.11.2017

Kleine Anfrage 535
der Abgeordneten Dr. Christian Blex und Helmut Seifen AfD

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Im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung (NRW) wurde 2013 ein Gutachten erstellt, welches Möglichkeiten einer Ermittlung des Unterrichtsausfalls an den Schulen in NRW aufzeigt.1

Anlass für dieses Gutachten stellte die Diskrepanz zwischen der Unterrichtsausfall-Quote des Schulministeriums und die des Landesrechnungshofs dar. Demnach war dem Jahresbericht des Landesrechnungshofs eine Quote von 5,6 Prozent zu entnehmen, somit deutlich höher als die vom Schulministerium ermittelte Quote von 2,3 Prozent.

Das vom Auftraggeber formulierte Ziel im Gutachten lautete demnach wie folgt: „Im Fokus steht die Frage, ob ein neues Untersuchungsdesign zur Erhebung und Erfassung von Unter­richtsausfall mit vertretbarem Aufwand für Schule und Schulaufsicht entwickelt werden kann“ (MSW NRW 2013, S.1).

Es wird deutlich, dass im deutschsprachigen Raum kaum Forschung zu diesem Thema be­steht. Die Markus-Studie (Helmke & Jäger, 2002), einer der bekanntesten deutschen Studien zum Thema, widmet sich der Analyse der Auswirkungen des Unterrichtsausfalls auf die Schü­ler und dies hauptsächlich auf das Fach Mathematik bezogen. Deshalb wird im Gutachten auf die Forschung im anglo-amerikanischen Raum verwiesen, welche die Quantifizierung, Ein­flussfaktoren und Kosten und Auswirkungen der Lehrerabwesenheit umfasst. Unter den Ein­flussfaktoren für Lehrerabwesenheit werden die folgenden Indikatoren diagnostiziert: Ge­schlecht, Alter, Berufserfahrung, Arbeitsverhältnis, Lehrfach, Zeitraum der Fehlzeit, Schulform, Schulklima, Größe der unterrichteten Klassen und Zusammensetzung der Schülerschaft.

„Es sind zudem Zusammenhänge zwischen der Zusammensetzung der Schülerschaft in einem Bezirk bzw. an einer Schule und der Höhe der Abwesenheitsquote der Lehrerinnen und Lehrer nachweisbar. So ist die Abwesenheit von Lehrkräften in solchen Bezirken am höchsten, in denen der Anteil der Schülerinnen und Schüler aus ökonomisch benachteiligten Familien und solchen mit Migrationshintergrund besonders hoch ist, den Schülerinnen und Schülern die Nähe zum akademischen Milieu fehlt, die Schülerleistungen in Lesen, Schreiben und Mathematik besonders gering und die Schulabbrecherquoten hoch sind“.2

Diese Forschungsergebnisse aus dem anglo-amerikanischen Raum sind selbstverständlich nicht unreflektiert auf die Situation in Nordrhein-Westfalen übertragbar. Dennoch muss in die­sem Zusammenhang auf die Brennpunkte in NRW3 aufmerksam gemacht werden, die bei ei­ner Forschungsreihe bezüglich der Lehrerabwesenheit mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ähnliche oder sogar gleichwertige Ergebnisse aufzeigen würden.4

Vor dem Hintergrund des akuten Lehrermangels in NRW und des deutlichen Versprechens der Frau Ministerin Yvonne Gebauer, den Lehrerberuf wieder attraktiv machen zu wollen, ist eine ehrliche Betrachtung des Lehrermangels und des Unterrichtsausfalls wünschenswert. Das Wohlbefinden unserer Lehrer ist ein Garant für guten Unterricht.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung dieses aus der Vorgängerregierung hervorgegangene Gutachten?
  2. Plant die Landesregierung die in diesem Gutachten benannten Symptome für Unterrichts­ausfall in der eigenen Vorgehensweise zum Thema zu berücksichtigen?
  3. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über eine überdurchschnittlich hohe Krank­heitsrate von Lehrkräften in sozialen Brennpunkten in NRW vor?
  4. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über einen überdurchschnittlich hohen Lehrer­mangel in sozialen Brennpunkten vor?
  5. Welche konkreten Maßnahmen plant die Landesregierung an Brennpunktschulen zur Ver­besserung des Wohlbefindens der Lehrkräfte?

Dr. Christian Blex
Helmut Seifen

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 535 wie folgt:

Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung dieses aus der Vor­gängerregierung hervorgegangene Gutachten?

Das vom damaligen Ministerium für Schule und Weiterbildung in Auf­trag gegebene Gutachten zur Ermittlung des Unterrichtsausfalls kommt zu dem Schluss, dass eine Erhebung valider Daten zum Unterrichts­ausfall an den nordrhein-westfälischen Schulen nicht mit vertretbarem Aufwand möglich sei. In den abschließenden Empfehlungen wird dafür plädiert, Ressourcen nicht in die Erfassung, sondern in die Vermeidung von Unterrichtsausfall zu investieren.

Die Landesregierung teilt weder die Einschätzung zu den mit einer Er­hebung des Unterrichtsausfalls verbundenen Aufwänden, noch sieht sie in der Erhebung und Bekämpfung von Unterrichtsausfall einen Wider­spruch. Sie ist der Auffassung, dass eine flächendeckende und schul­scharfe Erhebung der an den nordrhein-westfälischen Schulen ausge­fallenen Unterrichtsstunden unabdingbare Voraussetzung für eine sach­liche Bestandsaufnahme und sich daran anschließende Maßnahmen zur bestmöglichen Vermeidung von Unterrichtsausfall ist.

Frage 2: Plant die Landesregierung die in diesem Gutachten be­nannten Symptome für Unterrichtsausfall in der eigenen Vorge­hensweise zum Thema zu berücksichtigen?

Sowohl das genannte Gutachten als auch die in der Vergangenheit durchgeführten Stichprobenerhebungen machen deutlich, dass Unter­richtsausfall zahlreiche Ursachen haben kann. Neben Erkrankungen und Kurmaßnahmen von Lehrkräften handelt es sich hierbei vor allem um Lehrerfortbildungen, Schulkonferenzen, Durchführung von Prüfun­gen sowie um Klassenfahrten, Wandertage und Exkursionen. Erkran­kungen von Lehrkräften führen hierbei jedoch nicht zwingend zu ersatz­losem Unterrichtsausfall.

Frage 3: Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über eine überdurchschnittlich hohe Krankheitsrate von Lehrkräften in sozi­alen Brennpunkten in NRW vor?

Auf Wunsch des Unterausschusses Personal des Haushalts- und Fi­nanzausschusses wird der Krankenstand in der gesamten Landesver­waltung Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2010 jährlich nach landes­weit weitestgehend einheitlichen Standards erhoben. Der Bericht der Landesregierung zum Krankenstand in der Landesverwaltung im Jahr 2016 ist dem Landtag Nordrhein-Westfalen vom Ministerium des Innern mit Datum vom 5. Oktober 2017 zugeleitet worden und kann unter dem nachstehenden Link abgerufen werden:

https://www.landtag.nrw.de/portaINVVVW/dokumentenarchiv/Dokurnent/ MMV17-171.pdf

Der darin enthaltenen Anlage 1 können die landesweit geltenden Grundlagen der Datenerhebung wie auch die Definition des Begriffs „Krankentag“ entnommen werden. Für den Bereich der Lehrkräfte in einem Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis zum Land Nordrhein-Westfalen wird auf die Tabellen 4 und 31 hingewiesen.

Erkenntnisse zum Krankenstand in sog. sozialen Brennpunkten werden landesweit nicht erhoben.

Frage 4: Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über einen überdurchschnittlich hohen Lehrermangel in sozialen Brennpunk­ten vor?

Der Landesregierung stehen Informationen aus den Lehrereinstellungs-verfahren zur Verfügung, mit denen sich Kommunen identifizieren las­sen, die aus den Lehrereinstellungsverfahren eine hohe Anzahl nicht erfolgreich abgeschlossener Stellenbesetzungsverfahren verzeichnen müssen. Dabei handelt es sich teilweise um ländlich strukturierte Kom­munen und teilweise um Kommunen mit sozialen Brennpunkten. Da eine Definition des Begriffs „soziale Brennpunkte“ nicht gegeben ist, wird — auch auf eine exemplarische — Benennung von einzelnen Kom­munen verzichtet.

Das Ministerium für Schule und Bildung lässt nichts unversucht, Schwierigkeiten bei der Lehrergewinnung in Kommunen oder in einzel­nen Orts- oder Stadtteilen von Kommunen oder auch in einzelnen Schulen entgegenzuwirken. Hier ist insbesondere das vorgezogene Listenverfahren aus dem Lehrereinstellungsverfahren zu nennen, mit dem frühzeitig Einstellungsangebote an Bewerberinnen und Bewerber mit der Wunschregion einer schwer zu versorgenden Schule oder Re­gion vergeben werden. Mit diesem Verfahren sind in den Einstellungs­verfahren der letzten Jahre und auch aktuell vertretbare Ergebnisse erzielt worden.

Neben Maßnahmen aus dem Einstellungsbereich werden auch dienstli­che Maßnahmen durch die Schulaufsichtsbehörden ergriffen, um eine gleichmäßige Unterrichtsversorgung zu gewährleisten.

Frage 5: Welche konkreten Maßnahmen plant die Landesregierung an Brennpunktschulen zur Verbesserung des Wohlbefindens der Lehrkräfte?

Der Landesregierung sind gute Arbeitsbedingungen für ihre Lehrerin­nen und Lehrer ein sehr wichtiges Anliegen. Im Bereich des Arbeits-und Gesundheitsschutzes sind folgende Maßnahmen zu benennen:

  • Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeits­sicherheit beraten die Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter der öffentlichen Schulen zu allen arbeitsmedizini­schen und sicherheitstechnischen Fragestellungen.
  • Zu den psychosozialen Belastungen im Lehrerberuf liegen inzwi­schen die Berichte aus vier Regierungsbezirken vor. Verwendet wird der COPSOQ-Fragebogen zur Beurteilung der psycho­sozialen Belastungen bei der Arbeit. Alle bislang beteiligten Schulen haben ihren Schulbericht erhalten. Er zeigt die jeweiligen Be­lastungsfaktoren und Belastungsspitzen im Kollegium auf. Mit dem Ergebnis der COPSOQ-Befragung (Schulbericht) hat jede Schule eine aktuelle Ist-Analyse als Ausgangsbasis für die weitere Bear­beitung (Maßnahmenableitung) vorliegen.
  • Im Rahmen der COPSOQ-Nachsorge wurde das Angebot für die Schulen erweitert und zunächst drei Arbeitsmedizinische Module entwickelt zu den Themen „Stress abbauen und vermeiden“, „Rü­ckengesundheit“ und „Resilienz“.
  • Weiterhin sind Workshops für Schulleitungen und Schulaufsicht zum Thema „Gesunde Führung in Schule“ in einzelnen Regie­rungsbezirken entwickelt worden. Eine Ausweitung auf alle Regie­rungsbezirke ist für das Jahr 2018 vorgesehen. Darüber hinaus ist auch eine nachfolgende Betreuung zu diesen Workshops vorge­sehen.
  • Mit der Handreichung „Gewalt gegen Lehrkräfte“ hat die Bezirks­regierung Münster für Kollegien und Schulleitungen ein praxisori­entiertes Angebot zum Umgang mit dem Themenfeld „Aggression und Gewalt“ in der Schule entwickelt. Diese steht auf dieser Inter-netseite der Bezirksregierung zum Download bereit:

http://www.bezirksregierung-muenster.delde/presse/2017/2017-09-15 gewalt gegen_lehrkraefte/index.html

Um die bestehenden Möglichkeiten des Arbeits- und Gesundheits­schutzes auszuweiten, werden die Mittel für den Ausbau des betriebs­ärztlichen Dienstes mit dem Haushaltsentwurf 2018 um über 5,6 Mio. Euro erhöht. Mit dieser Aufstockung kann der betriebliche Gesundheits­schutz in den Schulen weiter bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Um darüber hinaus solche Schulen unterstützen zu können, die in ei­nem schwierigen sozialen Umfeld liegen, wird ein Teil der insgesamt 4.000 Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für besondere Förderaufgaben nach Maßgabe des sog. Kreissozialindexes verteilt. Der Kreissozialindex misst die soziale Belastung von Schul­amtsbezirken (d.h. Kreisen und kreisfreien Städten) und basiert auf den soziodemographischen Merkmalen Arbeitslosenquote, Sozialhilfequote, Anteil Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte und An­teil der Wohnungen in Einfamilienhäusern. Durch Berücksichtigung des Kreissozialindexes erhalten Regionen mit einer überdurchschnittlich hohen sozialen Belastung zusätzliche Stellen. Somit werden diese vor­rangig Schulen zugewiesen, an denen eine erhöhte Anzahl von Kindern unterrichtet wird, die besonders gefördert werden müssen.

Darüber hinaus wird mit dem Haushaltsentwurf 2018 die Zahl der Stel­len für sozialpädagogische Fachkräfte in der flexiblen Schuleingangs-phase um 600 Stellen erhöht und die Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte an Grundschulen somit deutlich verbessert. Bei der Vertei­lung dieser Stellen sollen — ggf. unter Rückgriff auf den Kreissozialindex — in besonderer Weise auch sozialräumliche Aspekte berücksichtigt werden.

Schließlich werden im Haushaltsentwurf 2018 insgesamt 330 zusätzli­che Stellen für multiprofessionelle Teams eingerichtet. Diese Stellen, die für andere Professionen als Lehrkräfte vorgesehen sind, sollen ge­rade inklusiven Schulen der Sekundarstufe I zugutekommen, die auch mit Blick auf sozialräumliche Rahmenbedingungen vor besonderen Herausforderungen stehen.

Mit freundlichen Grüßen,

Yvonne Gebauer