Flaschen sammeln statt Erzwingungshaft?

Kleine Anfrage
vom 04.07.2018

Kleine Anfrage 1248der Abgeordneten Iris Dworeck-Danielowski vom 25.06.2018

 

Flaschen sammeln statt Erzwingungshaft?

In Deutschland und somit auch in NRW können Gerichte eine Erzwingungshaft veranlassen,  sollten Schuldner ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen oder eine fristgerechte  Erklärung unterlassen, warum man nicht zahlen kann.  Dabei kann eine Erzwingungshaft schon bei geringen Geldbeträgen von nur 20 € angeordnet  werden, ohne dass zuvor ein Gerichtsvollzieher eingeschaltet werden muss. Immer mehr Menschen müssen durch eine hohe Abgabenlast und wenig Einkommen in Form  von Nettoverdienst oder Renteneinkommen heute in die Erzwingungshaft.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Wie hat sich die Anzahl Menschen in Erzwingungshaft in den letzten zehn Jahren entwickelt?

2. Wie viele dieser Menschen waren zum Zeitpunkt der Erzwingungshaft  sozialversicherungspflichtig beschäftigt und wie viele dieser Menschen waren Rentner?

3. Wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer von Betroffenen in der  Erzwingungshaft?

4. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung, mit Hinblick auf die überfüllten  Justizvollzugsanstalten, für geeignet, um die Zahl der in Erzwingungshaft lebenden  Menschen, zu verringern?

5. Welche sind die fünf häufigsten Arten von nicht geleisteten Zahlungsverpflichtungen,  weswegen Menschen in Erzwingungshaft sind?

Iris Dworeck-Danielowski

 

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Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 03.08.2018

 

Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 1248 mit Schreiben vom 3. August 2018 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Erzwingungshaft ist keine Strafe, sondern ein Beugemittel. Das Gericht kann Erzwin­gungshaft anordnen,

  • wenn eine Geldbuße nicht gezahlt wird und die betroffene Person nicht erklärt, warum sie nicht zahlen kann (§§ 96 ff. OWiG);
  • zur Erzwingung einer Zeugenaussage. Im Strafprozess endet die Beugehaft gemäß § 70 Abs. 2 StPO entweder mit dem Abschluss des zugrunde liegenden Verfahrens oder aber spätestens nach sechs Monaten nach Beginn der Erzwingungshaft. Auch im Zivil- (§ 390 Abs. 2 ZPO), Arbeitsgerichts- (§ 46 Abs. 2 ArbGG), im Verwaltungsgerichts- (§ 98 VwGO) und Sozialgerichtsprozess (§ 118 Abs. 1 SGG) ermöglichen die Verfahrensordnungen Er­zwingungshaft;
  • im Falle der Nichtabgabe einer Vermögensauskunft gemäß § 802g ZPO.

In allen vorstehend genannten Fällen kann die betroffene Person die Vollstreckung jederzeit abwenden oder beenden, indem sie den geforderten Geldbetrag bezahlt oder der Aussage­pflicht nachkommt. Erzwingungshaft kommt in der Praxis nur in sehr wenigen Fällen zum Ein­satz. Die Zahl der in Erzwingungshaft einsitzenden Menschen stellt im nordrhein-westfälischen Justizvollzug lediglich eine marginale Größe dar, so dass sich daraus kein Handlungserforder­nis zur Prüfung von Alternativen zu dieser Haftform ableiten lässt. Dies spiegeln die im Fol­genden dargelegten Zahlen wider.

1. Wie hat sich die Anzahl Menschen in Erzwingungshaft in den letzten zehn Jahren entwickelt?

Eine statistische Erhebung zur Anzahl der Personen in Erzwingungshaft steht seit dem Jahre 2014 zur Verfügung. Vorher erfolgte keine statistische Erfassung der Haftart „Erzwingungs­haft“, da diese wie auch andere Haftarten mit nur einer kleinen Zahl von betroffenen Personen unter dem Sammelbegriff „Sonstige Freiheitsentziehung“ zusammengefasst worden sind. Die Zahlen seit dem 31. Januar 2014 ergeben sichaus der folgenden Tabelle:

                        Anzahl der Gefangenen

Stichtag insgesamt in Erzwingungshaft Anteil in %
31.01.2014 16.863 11 0,07
28.02.2014 16.861 10 0,06
31.03.2014 16.968 9 0,05
30.04.2014 16.833 6 0,04
31.05.2014 16.511 4 0,02
30.06.2014 16.381 11 0,07
31.07.2014 16.186 12 0,07
31.08.2014 16.040 8 0,05
30.09.2014 16.086 8 0,05
31.10.2014 16.262 12 0,07
30.11.2014 15.931 1 0,01
31.12.2014 15.753 9 0,06
31.01.2015 16.250 14 0,09
28.02.2015 16.294 9 0,06
31.03.2015 16.312 6 0,04
30.04.2015 16.240 8 0,05
31.05.2015 16.034 6 0,04
30.06.2015 15.968 5 0,03
31.07.2015 15.854 10 0,06
31.08.2015 15.809 6 0,04
30.09.2015 15.772 5 0,03
31.10.2015 15.812 10 0,06
30.11.2015 15.658 10 0,06
31.12.2015 15.429 7 0,05
31.01.2016 16.110 10 0,06
29.02.2016 16.619 14 0,08
31.03.2016 16.568 8 0,05
30.04.2016 16.560 7 0,04
31.05.2016 16.503 10 0,06
30.06.2016 16.437 6 0,04
31.07.2016 16.255 8 0,05
31.08.2016 16.222 11 0,07
30.09.2016 16.069 4 0,02
31.10.2016 16.172 10 0,06
30.11.2016 15.833 16 0,10
31.12.2016 15.789 7 0,04
31.01.2017 16.427 21 0,13
28.02.2017 16.552 8 0,05
31.03.2017 16.552 16 0,10
30.04.2017 16.388 18 0,11
31.05.2017 16.329 12 0,07
30.06.2017 16.329 12 0,07
31.07.2017 16.375 9 0,05
31.08.2017 16.379 9 0,05
30.09.2017 16.322 10 0,06
31.10.2017 16.471 10 0,06
30.11.2017 16.134 9 0,06
31.12.2017 15.836 8 0,05
31.01.2018 16.431 8 0,05
28.02.2018 16.454 8 0,05
31.03.2018 16.314 4 0,02
30.04.2018 16.386 9 0,05
31.05.2018 16.228 9 0,06
30.06.2018 16.261 10 0,06

 

2. Wie viele dieser Menschen waren zum Zeitpunkt der Erzwingungshaft sozialversi­cherungspflichtig beschäftigt und wie viele dieser Menschen waren Rentner?

Zu dieser Fragestellung liegen keine Daten vor. Sie könnten nur mit hohem Verwaltungsauf­wand durch eine Beteiligung des Geschäftsbereichs ermittelt werden, so dass eine vollstän­dige Beantwortung in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist.

3. Wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer von Betroffenen in der Erzwin­gungshaft?

Auf die Antwort zu Frage 2 wird Bezug genommen.

4. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung, mit Hinblick auf die überfüllten Jus­tizvollzugsanstalten, für geeignet, um die Zahl der in Erzwingungshaft lebenden Menschen, zu verringern?

Keine. Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. Wie wichtig das Mittel der Erzwingungshaft ist, wird besonders im Bereich des Zwangsvollstreckungs-rechts deutlich. Hier besteht ein öffentliches Interesse daran, dem Vollstreckungsgläubiger, dem der Staat als Inhaber des Zwangsmonopols die Selbsthilfe verbietet, die Verwirklichung seines Anspruchs und als Voraussetzung dafür die mit der Vermögensauskunft bezweckte Feststellung der pfändbaren Vermögensgegenstände zu ermöglichen. Dies dient der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung, welche ihrerseits Grundbestandteil der rechts­staatlichen Ordnung ist.

5. Welche sind die fünf häufigsten Arten von nicht geleisteten Zahlungsverpflichtun­gen, weswegen Menschen in Erzwingungshaft sind?

Auf die Antwort zu Frage 2 wird Bezug genommen.

 

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