Kleine Anfrage 1425des Abgeordneten Christian Loose vom 04.09.2018
Finanzspekulationen von Kommunen in NRW – Sachstand
In der Vergangenheit haben eine Vielzahl von Kommunen Finanzderivate abgeschlossen. Finanzderivate können u.a. zur Zinssicherung (z.B. Forwarddarlehen) oder bei einem grundlegenden Wechsel der Einschätzung der Zinssituation (z.B. mittels Swaps) bewusst eingesetzt werden, um Risiken für den Bürger zu reduzieren.
Allerdings wurden von einigen Kommunen in NRW Finanzderivate mit Spekulationscharakter eingesetzt. Hierbei handelt es sich um Geschäfte, bei denen Swaps abgeschlossen wurden, ohne dass ein zu sicherndes Grundgeschäft dahinter stand. Oder es wurden offene Währungspositionen (z.B. in Schweizer Franken) eingegangen. Weiterhin wurden Positionen eingegangen, bei denen die Kommune die Stillhalterposition eingenommen hat.
Beispiel-Kommunen mit Verlusten aus diesen Zinsswapgeschäften in NRW sind die Stadt Ha-gen1 und die Gemeinde Weilerswist2. Es gab aber auch viele andere Kommunen, die ähnliche Geschäfte abgeschlossen haben.3 Beispiel-Kommunen mit Verlusten aus Fremdwährungsge-schäften sind u.a. Bochum und Essen.4
In Baden-Württemberg wurden in 2017 kommunale Spitzenbeamte strafrechtlich in erster Instanz belangt.5 6
Aufgrund der positiven Konjunkturentwicklung und der niedrigen Zinsen mag es sein, dass die Kommunen einen Großteil ihrer Finanzspekulationen eingestellt haben. Dennoch liegt es im Interesse des Bürgers und der politischen Akteure zu erfahren, in welchem Umfang Kommunen noch aktuell solche Spekulationen eingehen können und welche Risiken sich für die Kommunen aber auch für das Land Nordrhein-Westfalen daraus ergeben können. Ebenso sind die möglichen Risiken aus bestehenden Verpflichtungen von Interesse.
Wir fragen daher die Landesregierung:
1. Nach welchen Kriterien dürfen Kommunen in NRW Finanzderivate abschließen?
2. In welchem Umfang sind Kommunen in NRW im Jahr 2017 und im ersten Halbjahr 2018 Finanzspekulationen, z.B. Zinsswaps, Optionsgeschäfte und Fremdwährungsgeschäfte eingegangen? (Bitte nach Kommune, Art und Umfang des Finanzderivats aufschlüsseln.)
3. In welchem Umfang muss das Land Nordrhein-Westfalen ggf. für Risiken aus diesen Geschäften aufkommen?
4. In welchem Umfang hat das Land gemeinsam mit Kommunen solche Finanzspekulationsgeschäfte abgeschlossen? (Bitte nach Kommune, Art und Umfang des Finanzgeschäfts aufschlüsseln.)
5. Wo wurden in NRW strafrechtliche Ermittlungen gegen kommunale Beamte aufgrund des Eingehens von derivativen Geschäften aufgenommen?
Christian Loose
1 https://www.wp.de/staedte/hagen/derivate-minus-nur-noch-bei-40-millionen-euro-id1195891.html. Für eine weitergehende Analyse empfehlen wir: Stark, Gunnar/Loose, Christian (2007): Exotische Zinsderivate im kommunalen Schuldenmanagement – Eine Analyse der jüngsten CMS-Spread-Ladder-Swap-Geschäfte, in: Finanz Betrieb, S. 610-618.
4 https://www.zeit.de/2015/04/kommunen-schulden-schweizer-franken-essen
6 Die Urteilsbegründung liegt inzwischen ebenfalls vor: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fents%2Fbeckrs%2F2017%2Fcont%2Fbeckrs.2017.132332.htm&pos=1&hlwords=on
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 08.10.2018
Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat die Kleine Anfrage 1425 mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen sowie dem Minister der Justiz beantwortet.
1. Nach welchen Kriterien dürfen Kommunen in NRW Finanzderivate abschließen?
Die Finanzhoheit ist ein zentraler Bestandteil der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung. Dementsprechend gestalten die Gemeinden und Gemeindeverbände ihr Schuldenmanagement in eigener Verantwortung.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen, nach denen Kommunen u.a. Finanzderivate abschließen dürfen, ist abschließend im sogenannten „Krediterlass“ des Landes vom 16. Dezember 2014 (SMBl. NRW. 652) geregelt.
2. In welchem Umfang sind Kommunen in NRW im Jahr 2017 und im ersten Halbjahr 2018 Finanzspekulationen, z.B. Zinsswaps, Optionsgeschäfte und Fremdwährungsgeschäfte eingegangen? (Bitte nach Kommune, Art und Umfang des Finanzderivats aufschlüsseln.)
Zum Stand der am 31. Dezember 2017 in fremder Währung aufgenommenen Verbindlichkeiten der kommunalen Kernhaushalte in Nordrhein-Westfalen sowie zu ihrer Veränderung gegenüber dem Vorjahreswert wird auf die anliegende tabellarische Übersicht verwiesen. Zahlen zur Höhe und Entwicklung der kommunalen Fremdwährungskredite im aktuellen Jahr 2018 liegen derzeit noch nicht vor.
Der Einsatz von Finanzderivaten in Kommunen wird statistisch nicht erfasst.
3. In welchem Umfang muss das Land Nordrhein-Westfalen ggf. für Risiken aus diesen Geschäften aufkommen?
Für Risiken aus Geschäften, die diese selbst abgeschlossen haben, haften ausschließlich die Kommunen.
4. In welchem Umfang hat das Land gemeinsam mit Kommunen solche Finanzspekulationsgeschäfte abgeschlossen? (Bitte nach Kommune, Art und Umfang des Finanzgeschäfts aufschlüsseln.)
Das Land Nordrhein-Westfalen hat keine Finanzspekulationsgeschäfte mit Kommunen abgeschlossen.
5. Wo wurden in NRW strafrechtliche Ermittlungen gegen kommunale Beamte aufgrund des Eingehens von derivativen Geschäften aufgenommen?
Eine gesonderte statistische Erfassung von Ermittlungsverfahren gegen kommunale Beamte wegen des Eingehens von derivativen Geschäften erfolgt nicht. Insoweit liegen verlässliche Zahlen nicht vor. Gleichwohl haben die Generalstaatsanwältin und die Generalstaatsanwälte dem Ministerium der Justiz berichtet, dass aufgrund einer Befragung des dortigen Personals – und daher ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die folgenden Verfahren festgestellt werden konnten:
- Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat in den Jahren 2009 in zwei und 2015 in einem Verfahren Ermittlungen aufgenommen.
- Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat im Jahre 2017 ein Ermittlungsverfahren geführt.
- Die Staatsanwaltschaft Essen hat in den Jahren 2015 und 2016 zwei Verfahren geführt.
- Die Staatsanwaltschaft Hagen hat in den Jahren 2007/2008 mehrere Ermittlungsverfahren geführt.
- Die Staatsanwaltschaft Siegen hat im Jahre 2008 ein Ermittlungsverfahren durchgeführt.
- Die Staatsanwaltschaft Bochum hat 2017/2018 in einem Verfahren ermittelt.
- Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat 2011 bis 2013 ein Ermittlungsverfahren geführt.
- Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat im Jahre 1998 – 2000 ein Verfahren geführt.
Anlage
Name der Kommune | In fremder Währung aufgenommene Verbindlichkeiten (Kredite, Liquiditätskredite und Wertpapierschulden im Kernhaushalt) |
|
Stand zum 31.12.2017 in 1000 Euro | Veränderung ggü. dem Vorjahr in 1000 Euro | |
Bottrop | 0 | -13.933 |
Bünde | 0 | -5.133 |
Burbach | 0 | -2.800 |
Datteln | 1.709 | -153 |
Dorsten | 21.364 | -84.044 |
Emsdetten | 2.446 | -104 |
Gladbeck | 55.557 | -24.014 |
Hattingen | 24.336 | -12.668 |
Herne | 13.750 | -16.234 |
Herten | 60.023 | -18.805 |
Köln | 329.000 | 329.000 |
Lünen | 0 | -45.000 |
Marl | 0 | -20.323 |
Moers | 110.000 | 110.000 |
Mülheim an der Ruhr | 0 | -48.069 |
Münster | 112.272 | 13.522 |
Oer-Erkenschwick | 53.000 | 36.667 |
Siegen | 19.606 | -35.313 |
Velbert | 1.588 | -1.295 |
Waltrop | 0 | -19.790 |
Wilnsdorf | 15.186 | 100 |
Nordrhein-Westfalen insgesamt | 819.836 | 141.609 |
Quelle: IT.NRW (jährliche Schuldenstatistik) Stand: 20.09.2018