„Biogasanlagen – Tickende Gülle-, Mais- und Abfallbomben?“

Kleine Anfrage
vom 28.06.2019

Kleine Anfrage 2691des Abgeordneten Christian Loose vom 28.06.2019

 

„Biogasanlagen – Tickende Gülle-, Mais- und Abfallbomben?“

Am 27.05.2019 schreibt SPIEGEL-ONLINE von einem bisher unveröffentlichten Papier des Bundesumweltamtes, in dem dieses vor Gefahren für Menschen, Pflanzen und Tiere durch den Betrieb von Biogasanlagen warnt.1

Die Anlagen dienen der Gewinnung und Nutzung von Energie in der Form, dass das dort erzeugte Biogas hauptsächlich direkt an der Biogasanlage zur dezentralen gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung in Blockheizkraftwerken genutzt wird, einer von der Landesregierung als Pfeiler der sog. Energiewende betrachteten Energiegewinnung und – verwendung.

Die Biogasanlagen stehen unter verschiedenen Aspekten in der Kritik. Zum einen, weil durch die benötigten großen Flächen zum Anbau des im Wesentlichen zur Gaserzeugung verwendeten Maises sog. Maismonokulturen überhandnehmen: Die Landschaft verödet und der Boden wird ausgelaugt. Zum anderen verteuern die so genutzten Flächen das Angebot an übrigem Ackerland, Gärreste belasten bei Ausbringung auf Äckern die Böden mit Nitrat und auch die langen Transportwege des Maises konterkarieren die Bezeichnung „Bio“.

Hinzu kommen zunehmend wirtschaftliche Probleme der Anlagenbetreiber, die einem Traum von „Bio“-Energieerzeugung einen Strich durch die Rechnung machen. Ohne dauerhafte Subvention aus Steuermitteln sind die Anlagen nicht wirtschaftlich zu betreiben.2 Mangelnde Rentabilität könnte einer der verhängnisvollen Treiber vermehrter Störfälle sein, denn Anlagen, die sich nicht mehr rechnen, werden nicht immer ordentlich instand gehalten, das Unfallrisiko steigt.

Zwischenzeitlich hat das Bundesumweltamt selbst verlautbart: „Biogasanlagen müssen sicherer und emissionsärmer werden“, und spricht unter anderem an, dass Biogasanlagen auch erhebliche klimarelevante Methangasemissionen produzieren. In der Gesamtbetrachtung verursachen sie sogar mehr Emissionen an klimaschädlichen Gasen als sie einsparen. Eine umfassende Verminderung von Emissionen und Betriebsstörungen bei Biogasanlagen ist aus Sicht des Umweltbundesamtes nur durch eine rechtsverbindliche Biogasanlagen-Verordnung zu erreichen.3

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Unfälle in Biogasanlagen haben seit 2011 jährlich in NRW zu Tötungen oder schweren Verletzungen von Menschen geführt?

2. Wie viele Unfälle in Biogasanlagen haben seit 2011 jährlich in NRW zu sogenannten „Gülle-Tsunamis“ geführt?

3. Welchen Umfang – in Litern an Jauche, Gülle, Silagesickersäften oder Gärsubstraten – hatten seit 2011 entsprechende Leckagen?

4. Welche Initiative hat die Landesregierung seit Juni 2017 ergriffen, um die Sicherheit von Biogasanlagen in NRW zu verbessern?

5. Inwieweit können Biogasanlagen, die in offenbar relevantem Umfang das Treibhausgas Methan frei setzen, Lösung des Problems sein, das die Landesregierung in der Freisetzung von Treibhausgasen erkennt?

Christian Loose

 

Anfrage als PDF laden

 

1 Vgl. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/umweltbundesamt-warnt-vor-gefahren-durch-biogasanlagen-a-1269091.html. Abgerufen am 18.06.2019.

2 Vgl. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/energiewende-zu-teuer-und-politisch-ungewollt-die-biogas-branche-kaempft-ums-ueberleben/23658942.html?ticket=ST-683028-rk4agkto9raTrYy73Orx-ap4. Abgerufen am 18.06.2019.

3 Vgl. https://www.umweltbundesamt.de/themen/biogasanlagen-muessen-sicherer-emissionsaermer. Abgerufen am 18.06.2019.


Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 29.07.2019

 

Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2691 mit Schreiben vom 29. Juli 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Betrieb von Biogaslanlagen ist nicht immer unproblematisch. Deshalb hat die damalige Landesregierung bereits im Jahr 2009 einen „Anforderungskatalog Biogasanlagen“ herausge­geben, in dem als zentrale wasserwirtschaftliche Maßnahmen eine wiederkehrende Prüfung durch Sachverständige und eine Umwallung vorgegeben werden. Auch bestehende Anlagen sind in der Folge vielfach mit einer Umwallung nachgerüstet worden. Das hat dazu geführt, dass in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren nur wenige Schadensfälle aufgetre­ten sind, die zu einer Beeinträchtigung von Oberflächengewässern geführt haben.

1. Wie viele Unfälle in Biogasanlagen haben seit 2011 jährlich in NRW zu Tötungen oder schweren Verletzungen von Menschen geführt?

Bei Biogasanlagen sind, wie in anderen Lebensbereichen auch, Unfälle z.B. bei der Durchfüh­rung von Arbeiten leider nicht auszuschließen.

Für den Zeitraum seit 2011 ist der Landesregierung ein Unfall bekannt, der als für eine Bio-gasanlage spezifisch angesehen werden kann: Im Kontext mit dem Betrieb einer Biogasanlage wurde im Jahr 2018 ein LKW-Fahrer bei der Anlieferung von Mais vor dem Fahrsilo verschüttet und ist erstickt.

2. Wie viele Unfälle in Biogasanlagen haben seit 2011 jährlich in NRW zu sogenannten „Gülle-Tsunamis“ geführt?

Unter dem Begriff „Gülle-Tsunami“ versteht das Umweltbundesamt in seinem Hintergrundpa­pier „Biogasanlagen – Sicherheitstechnische Aspekte und Umweltausswirkungen“ Unfälle, bei denen Substrat, Gülle oder Gärreste in zum Teil großen Mengen (bis zu 14.000 m3) freigesetzt werden und die Gebäude fluten, Fischsterben in Gewässern auslösen und Schutzgebiete er­heblich schädigen können.

In Nordrhein-Westfalen kam es gemäß der Definition des Umweltbundesamtes seit 2011 zu vier Unfällen mit entsprechenden Umweltauswirkungen.

3. Welchen Umfang in Litern an Jauche, Gülle, Silagesickersäften oder Gärsubstra­ten hatten seit 2011 entsprechende Leckagen?

Unfall 1 (2012) : ca. 250 – 300 m3 Gärsubstrat
Unfall 2 (2012) : ca. 35 – 40 m3 Gärsubstrat
Unfall 3 (2015) : ca. 200 – 300 m3 Gärrest
Unfall 4 (2016) : ca. 30 m3 Silagesickersaft

4. Welche Initiative hat die Landesregierung seit Juni 2017 ergriffen, um die Sicherheit von Biogasanlagen in NRW zu verbessern?

Für den Klimaschutz ist es von herausragender Bedeutung, dass die Biogasanlagen nach dem Stand der Technik betrieben und alle notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Gasemis­sionen getroffen werden. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nord­rhein-Westfalen hat daher im Auftrag der Landesregierung das Arbeitsblatt „Verminderung von Methanaustritten bei Biogasanlagen“ erarbeitet, das den Vollzugsbehörden in Nordrhein-Westfalen seit 2018 zur Verfügung steht. Die Minderung der Methanemissionen erhöht auch die Explosionssicherheit von Biogasanlagen.

Auf Initiative der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) wurde die Technische Regel für Anlagensicherheit „Sicherheitstechnische Anforderungen an Biogasanlagen“ (TRAS 120) un­ter Mitwirkung von Vertreterinnen und Vertretern der Landesverwaltung erarbeitet, zwischen­zeitlich verabschiedet und durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukle­are Sicherheit (BMU) im Bundesanzeiger veröffentlicht.

5. Inwieweit können Biogasanlagen, die in offenbar relevantem Umfang das Treib­hausgas Methan frei setzen, Lösung des Problems sein, das die Landesregierung in der Freisetzung von Treibhausgasen erkennt?

Biogasanlagen leisten durch ihre Energieerzeugung grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen, weil durch die Substitution konventionell er­zeugter Energie die Freisetzung erheblicher Mengen an Kohlendioxid vermieden wird.

Eine Biogasanlage kann bis zu einer Freisetzung von ca. 5 – 8 % der durch sie erzeugten Methanmenge als insgesamt klimapositiv angesehen werden, d. h. sie trägt stärker zur Ver­meidung von Treibhausgasen bei als sie selbst Treibhausgase freisetzt. Daher ist insbeson­dere bei der Vergärung von Gülle und Wirtschaftsdünger, durch die Vermeidung der auf na­türlichem Wege ohnehin entstehenden Methanemissionen dieser Stoffe, von einer positiven Klimabilanz auszugehen.

Bei Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Regelungen und Beachtung der Technischen Regelwerke sind bei Biogasanlagen nur geringfügige Methanemissionen zu erwarten. Eine absolute Null-Emission ist auf Grund des technisch bedingten unvermeidlichen Methanschlupfs am Gasmotor derzeit nicht erreichbar.

Nach vorliegenden Erkenntnissen liegt bei den meisten Biogasanlagen der Anteil der freige­setzten Methanmenge bei unter 5 % der erzeugten Methanmenge, was die Klimabilanz hin­sichtlich eingesparter Kohlendioxidemissionen deutlich positiv ausfallen lässt.

 

Antwort als PDF laden

Beteiligte:
Christian Loose