Hitzeaktionspläne zur Prävention hitzeassoziierter Mortalität und Morbidität

Antrag
vom 02.07.2019

Antragder AfD-Fraktion vom 02.07.2019

 

Hitzeaktionspläne zur Prävention hitzeassoziierter Mortalität und Morbidität

I. Ausgangslage

Das Klimasystem der Erde ist komplex, und die Energieverteilung in der Atmosphäre und den Ozeanen wird von vielen Faktoren beeinflusst. Klimaänderungen, das heißt über mehrere Jahre bis Jahrmillionen andauernde Abweichungen vom langjährigen Mittelwert, sind immer die Folge von Änderungen in der Energiebilanz der Erde. Klimawandel gibt es also nicht erst seit der industriellen Revolution, sondern er konstituiert eine grundlegende Eigenschaft dieses Systems1. Ein System, dass für bestimmte Personengruppen eine immer größer werdende Gefahr darstellt. So sind insbesondere ältere Menschen und chronisch, kranke Personen, für die hohe Temperaturen mitunter lebensgefährlich sein können. Im Rekordsommer 2003 lagen die durchschnittlichen Temperaturen in der Bundesrepublik zwischen 3° Celsius und 5° Cel­sius über dem langjährigen Mittel2. Berechnungen zufolge starben im Sommer 2003 in Europa 70.000 Personen mehr als üblicherweise im gleichen Zeitraum. In Deutschland sollen rund 7000 Menschen an den Folgen der Hitzewelle gestorben sein3. In den Hitzesommern der Jahre 2003 und 2015 gab es in Deutschland eine erhebliche Anzahl von Todesfällen, bei denen Hitze als Todesursache belegbar war. Bisher liegen zur Schätzung der Gesamtanzahl hitzebeding­ter Todesfälle in Deutschland aber nur regionale Analysen vor4. So stieg während der Hitze­welle im Juli 2015 die Anzahl der Krankenhauseinweisungen in Frankfurt am Main insgesamt um 22%, bei hitzeassoziierten Einweisungen betrug der Anstieg sogar 300%5. Das Landesge-sundheitsamt Baden-Württemberg vermeldetet für das 2015 2000 Hitzetote6. Hitzewellen kön­nen unser Gesundheitssystem genauso überfordern wie Epidemien. Diese Anzahl der hitze­bedingten Todesfälle und negativen gesundheitlichen Auswirkungen von hohen Temperaturen und Hitzeperioden lassen sich jedoch weitgehend abwenden. Die Prävention macht ein breites Spektrum von Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen erforderlich, diein einem konkreten Ge-sundheitsaktionsplan für Hitzeperioden zusammengefasst sind.

Dieser Gesundheitsaktionsplan stammt aus dem von WHO und EU-Kommission gemeinsam finanzierten Projekt EuroHEAT, dessen Ziel die Verbesserung der Reaktion des Gesundheits­wesens auf ex-treme Wetterereignisse bzw. Hitzeperioden ist. Das Projekt erläutert die Be­deutung der Ausarbeitung von Gesundheitsaktionsplänen für Hitzeperioden sowie ihre Eigen­schaften und Kernelemente und veranschaulicht dies anhand von Beispielen aus mehreren Ländern der Europäischen Region, die schon mit ihrer Umsetzung und Evaluation begonnen haben7. In Frankreich gibt es mittlerweile sehr gut funktionierende Präventionspläne und Mo-nitoring- Systeme, welche eine besondere Betreuung hitzegefährdeter Personen vorsehen.

Auch die kantonalen Gesundheitsbehörden in der Schweiz haben seit dem Rekordsommer 2003 verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor extremer Hitze ergriffen und Hitzeaktionspläne eingeführt. Analysen zeigen, dass diese Hitzeaktionspläne vor allem in den wärmsten Regionen der Schweiz zur Reduktion der hitzebedingten Sterblichkeit nach 2003 sowie während der Hitzewelle 2015 beigetragen haben8. Diese enthalten insbesondere Maß­nahmen zur Prävention von hitzebedingter Mortalität und Morbidität, diese sehen insbeson­dere eine verbesserte Information der Bevölkerung und der Akteure des Gesundheitswesens über mögliche Gesundheitseffekte und richtige Verhaltensweisen während heißer Tage, eine frühzeitige Warnung der Bevölkerung vor Hitzewellen sowie spezielle Maßnahmen während akuter Hitzewellen vor.

Nach den Empfehlungen der WHO und dem Vorbild anderer europäischer Länder sollte es auch in NRW Pläne geben, welche verschiedene Institutionen miteinander vernetzen: Gesund­heitsämter, niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser und Sozialdienste. Das Gesundheitssys­tem in der Bundesrepublik Deutschland ist versicherungsbasiert: Die Patienten werden nicht vom Öffentlichen Gesundheitsdienst versorgt, sondern von Hausärzten, Kliniken etc., die über die Krankenversicherung finanziert werden. Krankenkassen sehen Prävention nicht als origi­näre Aufgabe an. Das Präventionsgesetz von 20159 sollte dem zwar entgegenwirken, aber das Thema Hitze kommt darin nicht vor. Dabei wäre es wichtig und sinnvoll, zum Beispiel in Altenheimen und in der ambulanten ärztlichen Versorgung in Prävention vor Krankheit und Tod wegen Hitze zu investieren. Für die Planung und Einführung bevölkerungsbezogener Maßnahmen während Hitzewellen müssen die Kranken- und Pflegekassen, die Kassenärztli­chen Vereinigungen und die Ärztekammern zusammenarbeiten. Dem öffentlichen Gesund­heitsdienst liegen keine Daten über besonders hitzegefährdeter Personen vor. Unser Versor­gungssystem ist reaktiv ausgelegt, der Patient entscheidet, ob und wann er Hilfe benötigt, und kontaktiert dann beispielsweise den Hausarzt oder sucht das Krankenhaus auf. Hier wäre es doch gerade sinnvoll, beim zuständigen Gesundheitsamt Stellen einzurichten, bei welchen sich Betroffene melden können, um Risikopersonen zu identifizieren und während Hitzewellen individuelle ambulante Pflege anbieten zu können. Hier sind diverse Lösungsansätze zu prü­fen; so erzielte das sogenannte „Buddy- System“ in der Schweiz bereits große Erfolge in der ambulanten Versorgung. Das System sieht vor, dass ältere zu Hause wohnende und meist alleine stehende Personen nach vorheriger Zustimmung von Betreuungspersonen (den sog. „Buddies“) während einer Hitzewelle mittels von Besuchen und Telefonaten betreut werden10. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der daraus re­sultierenden gestiegenen Anzahl an hitzegefährdeter Menschen eine notwenige Maßnahme.

Das Gesundheitssystem muss auf die Auswirkungen extremer Hitzeperioden vorbereitet sein. Nordrhein- Westfalen muss als bevölkerungsreichstes Bundesland handeln und Maßnahmen zur Prävention von hitzebedingte Mortalität und Morbidität einen effektiven Hitzeaktionsplan zum Schutz der Bevölkerung erarbeiten und flächendeckend einführen.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. einen Hitzeaktionsplan zu erarbeiten, welcher sich an den Handlungsempfehlungen der WHO und der „Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ orientiert;

2. kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen zu entwickeln, um die Anzahl hitze­bedingter Todesfälle und negativer gesundheitlicher Auswirkungen von hohen Tempera­turen und Hitzeperioden nachhaltig zu reduzieren;

3. die Regelungen für Zuständigkeiten in diesem Bereich klar zu definieren und hier insbe­sondere das Zusammenwirken verschiedener Akteure im Gesundheitswesen zu regeln;

4. in Zusammenarbeit mit Hochschulen die Ausarbeitung eines solchen Plans auf unter­schiedlichen Ebenen – etwa Ländern, Kommunen, Krankenhäusern, Pflegeheimen – zu begleiten und zu dokumentieren, wie derartige Pläne umgesetzt werden, ob die Maßnah­men wirken und wie die Kommunikation funktioniert und verbessert werden könnte.

Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 Vgl. Prof. Dr. Jucundus Jacobeit, Zusammenhänge und Wechselwirkungen im Klimasystem, http://e-doc.hu-berlin.de/18452/2622

2 ProClim (2005) Hitzesommer 2003, Synthesebericht; http://www.occc.ch/pdf/137.pdf

3 Robine, Cheung, LeRoy (2008); Report on excess mortality in Europe during summer 2003. http://ec.europa.eu/health/ph projects/2005/action1/docs/action1 2005 a2 15 en.pdf

4 Heiden, Muthers, Niemann, Buchholz, Grabenhenrich, Matzarakis, Schätzungen Hitzebedingter To­desfälle in Deutschland zwischen 2001 und 2015 in Bundesgesundheitsbl. 2019, 62:571-579

5 Steul, Latasch, Jung, Heudorf (2018) Morbidität durch Hitze – eine Analyse der Krankenhauseinwei­sungen per Rettungseinsatz während einer Hitzewelle 2015 in Frankfurt/Main. Gesundheitswesen 80;353-359

6 Jovanovic (2018) Klimawandel und Gesundheit in Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg (Hrsg.) Umweltmedizinisches Kolloqium, S.60-63

7 WHO, Heat Health Action Plans. Guidance.

8 Ragettli, Röösli, Hitzeaktionspläne zur Prävention von hitzebedingten Todesfällen – Erfahrungen aus der Schweiz in Bundesgesundheitsbl 2019, 62:605-611

9 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/praeventionsgesetz.html

10 Ragettli, Röösli, Hitzeaktionspläne zur Prävention von hitzebedingten Todesfällen – Erfahrungen aus der Schweiz in Bundesgesundheitsbl 2019, 62:605-611