Die Kita-Öffnung für alle Kinder in NRW duldet keinen Aufschub mehr!

Antrag
vom 19.05.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 19.05.2020

 

Die Kita-Öffnung für alle Kinder in NRW duldet keinen Aufschub mehr!

I. Ausgangslage

Die Corona-Pandemie hat Wirtschaft und Gesellschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Weil Kitas wegen der Corona-Pandemie geschlossen und lediglich Notgruppen geöffnet sind, treffen die daraus folgenden Einschränkungen die jüngsten Kinder besonders. Zu Beginn durf­ten ausschließlich Kinder, deren Eltern systemrelevante Berufe ausüben, die Kita-Notgruppen besuchen. Nach der am 28. April 2020 von der Jugend- und Familienkonferenz der Länder beschlossenen schrittweisen Öffnung1 der Kitas zählen nun auch Kinder, deren Eltern andere Berufe ausüben sowie die von Alleinerziehenden, soweit diese Väter/Mütter berufstätig sind, zu denjenigen, denen ein Kita-Besuch wieder erlaubt wurde. Zuletzt sind am 14. Mai 2020 Vorschulkinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (wenn sie Anspruch auf Bildung – und Teilhabeleistungen haben) und Zweijährige in der Kindertagespflege wieder in die Betreuung mit einbezogen worden2.

Alle Kinder haben soziale, vitale und kognitive Bedürfnisse3. Wenn ihre Eltern aber nicht zu den vorgenannten Gruppen zählen, sind sie nach wie vor ausschließlich auf häusliche Betreu­ung angewiesen.

Für diese weiterhin von der Kita-Betreuung ausgeschlossenen Kinder ist nicht nur die Dauer dieser Situation unerträglich. Von ihren Großeltern und der übrigen Familie sind sie auf Grund der Kontaktsperre isoliert, Familien- und Kirchenfeste finden nicht statt. Kinder- und Jugend­einrichtungen sind geschlossen. Abgesehen von ihren Eltern und etwaigen Geschwisterkin­dern haben sie keine Spielkameraden. Spielplätze, Freizeitparks und Bolzplätze waren ebenso acht Wochen lang geschlossen, sodass viele Möglichkeiten zum Spielen, Toben und Sport­treiben fortfielen. Da nur ein Drittel aller Familien in NRW über einen eigenen Garten verfügt, ist durch die Schließung von Kitas und Spielplätzen der natürliche Bewegungsdrang der Kinder acht Wochen lang unterdrückt und der Kontakt zu anderen Spielkameraden verhindert worden. Insbesondere für kleine Kinder ist das eine sehr lange Zeit.

Die Eltern haben die inzwischen achtwöchige Sperrung der Kitas bislang im allgemeinen gut gemeistert, sind ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben ihre Kinder liebevoll betreut. Nach dieser langen Zeit der erfolgreichen Bewährung droht die Situation jedoch stel­lenweise in eine kindergefährdende Bedrohung umzuschlagen.

Der wichtigste Punkt ist in diesem Zusammenhang, dass die Kleinkinder in ihrer psycho-sozi-alen Entwicklung erheblich beeinträchtigt werden können, wenn sie nicht von Erzieherinnen betreut und angeleitet werden und nicht mit anderen Kindern spielen können4. Die Persönlich­keitsentwicklung, aber auch die Sozialisation sind maßgeblich von dem persönlichen Kontakt zu Gleichaltrigen abhängig und unersetzbar. An dieser Stelle zählt auch nicht das Argument, früher (gemeint sind hier die sonst wenig geschätzten 1950er und 1960er Jahre) sei es doch auch ohne flächendeckende öffentliche Kinderbetreuung gegangen. Vergessen wird bei dieser Argumentation gerne, dass damals die Mütter in der Regel nicht berufstätig waren (auch nicht in „Heimarbeit“) und zudem die meisten Kinder ihre Freizeit in altersgemischten Spielgruppen verbrachten, in denen die „Großen“ auf die „Kleinen“ achteten und sie dabei ganz unbemerkt sozialisierten. Eine solche Situation gibt es aber heute nicht mehr.

Dazu kommt ein weiterer beachtenswerter Aspekt, nämlich die lange Dauer der häuslichen Betreuung, die häusliche Konflikte schüren kann. So wurde im April 2020 in Mönchengladbach ein fünfjähriges Kind von seiner Mutter und deren Lebensgefährten so schwer misshandelt, dass es seinen Verletzungen erlegen ist. Die Ermittler gehen davon aus, dass den Erzieherin­nen in der Kita die Hämatome des Kindes aufgefallen wären5. Zudem gibt es eine unbekannte Dunkelziffer häuslicher Gewalt, die auch darauf zurückzuführen ist, dass Eltern häufig mit einer vollkommen neuen und ungewohnten Situation konfrontiert sind, deren Ende außerdem nicht wirklich abzusehen ist. Das so oft gelobte und als „zukunftsweisend“ gepriesene Homeoffice mag mit Kindern im Jugendalter längerfristig machbar sein. Bei Kindern im Kleinkindalter ist es aber fast unmöglich, Arbeit, Betreuung und die gleichzeitige Beschulung von Geschwistern zu gewährleisten, eine permanente Stresssituation, die sich nicht zuletzt auch negativ auf die Gesundheit der Eltern auswirken kann. Viele Berufstätige sind wegen der Corona-Pandemie in Kurzarbeit, manche Menschen haben ihren Arbeitsplatz krisenbedingt bereits verloren. Fa­milienhelfer und Jugendamtsmitarbeiter kommen wegen der Kontaktverbote kaum noch in schwierige Familien6. Frauenhäuser berichten, dass im April 2020 häusliche Gewalt eklatant zugenommen hat7.

Für Kinder ist es zudem sinnvoll, sich in einem größeren Umfeld zu bewegen, in dem Erziehe­rinnen, Verwandte oder Nachbarn Verletzungen wahrnehmen können. Diese Kontrollfunktion fehlt bei Kontaktsperren und geschlossenen Kitas. Misshandlungen und Missbrauch bleiben öfter unentdeckt und können leichter vertuscht werden. Kathrin Yen, Leiterin der Gewaltam­bulanz in Heidelberg, geht von einer vorübergehenden Verdreifachung der Fälle aus. Ihrer Ansicht nach ist auch aus rechtsmedizinischer Sicht eine baldige Öffnung der Kitas wün-schenswert8.

Nachweislich gibt es zudem tatsächlich keinen sachlichen oder medizinisch belegbaren Grund dafür, Kitas zu schließen.

Island hat 13.000 Personen getestet und dabei festgestellt, dass kein einziges Kind unter 10 Jahren mit COVID-19 infiziert war. 9 Diese ersten Erkenntnisse stützen die Annahme, dass Kinder signifikant weniger von der Ausbreitung des Virus betroffen sind.

Demzufolge haben Dänemark und Norwegen ihre Kitas Mitte April 2020 wieder geöffnet10. In den Niederlanden dürfen alle Kinder seit dem 11. Mai 2020 die Kitas wieder besuchen11. Schweden verzichtete gänzlich auf einen Lockdown und vertraute auf die Eigen-verantwort-lichkeit seiner Einwohner. Von erhöhten Infektionszahlen bei Kleinkindern kann nicht die Rede sein. Mittlerweile wird von der WHO Schweden als Vorbild dafür genannt, wie man „zu einer Gesellschaft ohne Lockdown zurückkommt“12.

In Deutschland führt Prof. Dr. Georg Hoffmann zu der besonderen Frage, wie infektiös Klein­kinder sein können, an der Heidelberger Kinderklinik eine Studie mit 2.000 Teilnehmern durch13. Das Robert-Koch-Institut hat eine aktuelle Statistik vorgelegt, wonach von 160.000 Corona-Fällen nur 2.600 Kinder unter zehn Jahren betreffen, was einer Quote von 1,7 Prozent entspricht14.

Bei einer Infektionsrate von unter zwei Prozent bei den Unterzehnjährigen ist es angesichts aller Nachteile des Lockdowns gerade auch für kleinere Kinder nicht zu verantworten, die Kitas für die meisten Kinder weiterhin geschlossen zu halten. Die weitere Schließung aller Einrich­tungen ist demzufolge unverhältnismäßig und sofort zu beenden.

Angesichts der Lockerungen, die bereits in NRW und in anderen Bundesländern erfolgt sind, bestehen keine sachlichen Gründe dafür, die Kitas weiterhin zu schließen und nur für Notgrup­pen, Vorschulkinder mit besonderem Förderbedarf und für die Kindertagespflege ab zwei Jah­ren zu öffnen15.

Ca. 700.000 Kita-Kinder werden so nicht berücksichtigt und sollen in den verbleibenden sieben Wochen bis zu den Sommerferien nur zwei Tage die Kita besuchen können, womit die Jüngs­ten fast vier Monate zu Hause betreut werden müssten. Hiervon sind viele Familien betroffen, für die keine Ausnahmeregelung zutrifft, die aber in der gleichen Lage sind.

Diese Dauerbelastung ist für Eltern und Kinder nicht hinnehmbar.

II. Der Landtag stellt fest, dass

1. die Bedürfnisse von Kindern im Rahmen der Maßnahmen des Corona-Pandemie-Gesetzes sträflich vernachlässigt wurden,

2. Kinder nach Art. 28 der UN – Kinderrechtskonvention ein Recht auf altersgerechte Bildung haben,

3. eine monatelange Isolation ohne Kontakt zu Spielgefährten und Großeltern den Kindern nicht gerecht wird,

4. eine dauerhafte Isolation im Sinne des Kinderschutzes nicht tragbar ist,

5. die monatelange Schließung von Kitas und Schule zu sozialen Härten führt und die soziale Ungleichheit verschärft,

6. keine soziale Kontrolle durch Erzieherinnen ausgeübt werden kann, wodurch Kindesmisshandlungen, die im familiären Umfeld geschehen, unentdeckt und die Kinder ungeschützt bleiben,

7. die Kinder verunsichert werden, wenn nur ein beschränkter Kitabetrieb mit wechselnden Gruppengrößen erfolgt,

8. besonders die Eltern, die bereits durch Gewalttätigkeiten gegenüber ihren Kindern aufgefallen waren, vom Jugendamt explizit angesprochen und die Kinder besonders betreut werden sollten.

III. Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf,

sofort alle Kitas zu öffnen sowie zum ordnungsgemäßen Betreuungsbetrieb zurückzukehren.

Iris Dworeck-Danielowski
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 https://www.mkffi.nrw/pressemitteilung/beschluss-von-jfmk-und-bmfsfj-empfiehlt-behutsamen-und-stufenweisen-wiedereinstieg.

2 https://www.express.de/nrw/kita-nrw-corona-oeffnung-stamp-ab-14-mai-fuer-vorschueler-36665844. 33 https://kindheiterleben.de/die-beduerfnisse-von-kindern-verstehen/.

4 https://www.tagesschau.de/inland/kitaoeffnung-interview-101.html.

5 https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/wdr-aktuell/video-moenchengladbach-fuenfjaehri-ges-kind-zu-tode-misshandelt-100.html.

6 https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/jugendaemter-schlagen-alarm-wegen-corona-lock-down-kinderleid-und-niemand-sieht-es-mehr/25682058.html.

7 https://www.express.de/bonn/gewalt-in-der-corona-krise-frauenhaeuser-komplett-belegt—so-schlimm-ist-es-in-bonn-36618000.

8 https://www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article207748835/Ambulanz-Corona-Krise-ver-staerkt-Gewalt-gegen-Kinder.html.

9 https://www.mopo.de/hamburg/corona-in-hamburg-streit-um-kita-oeffnung–wie-gefaehrlich-sind-kin-der-wirklich–36585270.

10 https://www.stern.de/news/kitas-in-norwegen-oeffnen-wieder-9231152.html.

11https://www.faz.net/aktuell/politik/corona-in-den-niederlanden-kindergaerten-und-sportplaetze-oeff-nen-16736553.html.

12 https://www.merkur.de/welt/schweden-coronavirus-sonderweg-zahlen-who-regeln-kritik-anders-teg-nell-lob-mike-ryan-stockholm-zr-13746997.html.

13 https://www.heidelberg24.de/heidelberg/corona-studie-kinder-ansteckung-baden-wuerttemberg-hei-delberg-uniklinik-covid-19-hoffmann-13745340.html.

14 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1103904/umfrage/corona-infektionen-covid-19-in-deutschland-nach-altersgruppe/.

15 https://www1.wdr.de/nachrichten/kitas-oeffnungsplan-stamp-100.html.