Antragder AfD-Fraktion vom 03.11.2020
Kinder und Jugendliche brauchen ihre sozialen Kontakte und Sportangebote auch während der Corona-Pandemie!
I. Ausgangslage
Die Corona-Pandemie stellt seit Frühjahr diesen Jahres Wirtschaft und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Dies traf vor allem die Eltern der jüngsten Kinder, weil Kitas wegen der Corona-Pandemie geschlossen und lediglich Notgruppen geöffnet waren. Ältere Kinder waren von Schulschließungen und der damit einhergehenden Isolation von ihrem gewohnten Umfeld betroffen. Familien standen vor der Herausforderung, wie sie Beruf und Kinderbetreuung organisieren sollten. Hinzu kam eine vorher nie gekannte Kontaktsperre innerhalb der Familien; Großeltern durften nicht mehr besucht werden, gemeinsame Familienfeiern nicht mehr stattfinden.
Da nur ein Drittel aller Familien in NRW über einen Garten verfügt, wurde durch die Schließung von Kitas, Spielplätzen, Bolzplätzen und Freizeitparks der natürliche Bewegungsdrang von Kindern acht Wochen lang unterdrückt und der Kontakt zu anderen Spielkameraden verhindert. Besonders für Kinder war die Dauer dieser Situation mithin beinahe unerträglich1. Abgesehen von ihren Eltern und etwaigen Geschwisterkindern hatten sie keine Spielkameraden.
Mit der Wiedereröffnung der Kitas und Schulen im Sommer 2020 entspannte sich die Lage.
Mit der Corona-Schutzverordnung, die ab dem 2. November 2020 gilt, gelten nun für einen Zeitraum von mindestens einem Monat Regelungen, die in großen Teilen deckungsgleich mit denen sind, die ein halbes Jahr zuvor gegolten hatten. Die Gastronomie ist geschlossen. Ebenso Freizeitparks, Fitnessstudios, Schwimm – und Spaßbäder. Darüber hinaus sind Freizeitsport und Vereinssport nicht mehr möglich2.
Kinder haben soziale, vitale und kognitive Bedürfnisse3. Die zweite Corona-Studie in Sachsen stellte die Auswirkungen der Pandemie-bedingten Einschränkungen auf Kinder und Jugendliche deutlich heraus. So wurde zwar bei 2599 Kindern und Lehrern keine einzige Infektion mit dem COVID-19 Virus festgestellt, so dass weder Infektionen noch Symptome vorlagen und alle gesund waren.
Jedoch zeigte sich, dass die Kinder und Jugendliche von den Gesamtumständen und den individuell erlebten Veränderungen in ihrem persönlichen Umfeld beeinträchtigt worden sind. Homeoffice mag mit Kindern im Jugendalter machbar sein, aber sind die Kinder noch im Klein-kindalter, ist es fast unmöglich, Arbeit und Betreuung und Beschulung gleichzeitig zu gewährleisten, was sich nicht zuletzt auch auf die Gesundheit der Eltern auswirken kann4. Kurzarbeit oder Jobverlust der Eltern und die damit einhergehenden finanziellen Konsequenzen, fehlende Sozialkontakte zu Spielgefährten und Freunden sowie ganz besonders zu den Großeltern – mit all diesen einschneidenden Erlebnissen wurden Kinder konfrontiert, und für viele waren diese Erfahrungen nicht einfach zu bewältigen5. Frauenhäuser berichteten, dass die häusliche Gewalt im April 2020 eklatant zunahm6. Hinzu kam vermutlich eine erhebliche Dunkelziffer häuslicher Gewalt, die auch darauf zurückzuführen ist, dass Eltern mit einer vollkommen neuen Situation konfrontiert waren.
So stellten die Leipziger Mediziner bei Kindern und Jugendlichen psychische Beeinträchtigungen fest in Form eines erheblichen Verlustes an Fröhlichkeit und Lebensqualität, vor allem in Familien mit Sozialleistungsbezug7 und geringer Bildung8. Corona löste auch bei Kindern schwerwiegende Sorgen um die Zukunft der Familie aus. Auch eine Studie des Deutschen Jugendinstituts München kommt zu dem Schluss, dass bei jeder fünften Familie zur Zeit der Krise im Frühjahr sehr häufig ein konflikthaltiges oder chaotisches Klima herrschte9.
Kinder brauchen auch Bewegung10. Sie litten bereits im Frühjahr unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und sozialer Isolation. Bewegung stärkt sowohl das Selbstvertrauen als auch das Selbstwertgefühl und führt zu einem anderen Körpergefühl. Ebenso wird die Sozialkompetenz gefördert. Sport wirkt sich positiv auf die motorischen Fähigkeiten der Kinder aus und ist unerlässlich als Ausgleich zu sitzenden Tätigkeiten und zur Bildschirmarbeit. Fehlende Bewegungsmöglichkeiten haben sich bereits im Frühjahr ausgewirkt, dass viele Kinder übergewichtig wurden11.
Dabei sind von dem Wegfall der Sportangebote zwei Gruppen von Kindern und Jugendlichen besonders betroffen. Zum einen sind es Kinder, die wegen Depressionen oder einem Krankheitsbild wie ADHS in Behandlung sind und Sport als Therapie und zum Stressabbau brauchen. Zum anderen trifft es Jugendliche, die eher einen Anstoß zum Sporttreiben brauchen und nun keine Trainingsstunden im Verein mehr besuchen können. Physiotherapeuten warnten bereits während des ersten Lockdowns vor Gesundheitsrisiken, weil Kinder und Jugendlichen an Bewegungsmangel litten und zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbrächten12. Zudem lagen Forschungsergebnisse vor, wonach die steigenden Zahl übergewichtiger Kinder auf Bewegungsmangel und erhöhten Medienkonsum zurückzuführen ist13.
Die Schließung von Freizeitparks und v.a. von Sportstätten und die mithin fehlende Möglichkeit, Sport zu treiben und sich Bewegung zu verschaffen, konfiguriert zudem mit dem in Art. 31 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Recht der Kinder auf altersgemäße Freizeitgestaltung in Form von Freizeit und Spiel14.
Erschwerend kommt hinzu, dass im Schuljahr 2020/21 NRW die Erteilung des Sportunterrichts nur dann möglich war, wenn die Sporthallen ausreichend gelüftet werden konnten, so dass nicht alle Schüler wieder Sportunterricht hatten15. Während es in vielen Schulen gar keinen Sportunterricht gab, entschieden sich vielerorts die Schulleitungen gemäß den Vorschriften des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen dafür, diesen unter freiem Himmel auf dem Sportplatz stattfinden zu lassen16.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, was für Folgen die Anwendung der Corona-Schutzverord-nung für den Umgang mit behinderten Kindern hat. Im August 2020 wurde bekannt, dass die Beförderung von lernbehinderten Schülern in Bonn und Dortmund von den Fahrdiensten verweigert wurde, weil die Kinder keinen Mund-Nasen-Schutz trugen17. Dass Ärzte dies aus gesundheitlichen Gründen untersagt hatten, spielte keine Rolle. Hierin liegen möglicherweise Verstöße gegen Art. 3 Abs. 3 GG und gegen Art. 23 der UN-Kinderrechtskonvention18, der behinderten Kindern besonderen Schutz und Teilhabe in der Gesellschaft gewährt.
Bei dem anstehenden zweiten Lockdown sollen nun also die Fehler des ersten wider besseren Wissens wiederholt werden.
Es besteht kein Grund und keine Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche von Freizeitaktivitäten, Familienfeiern, Verwandtenbesuch und Sportaktivitäten auszuschließen.
So beträgt die Fallzahl der laborbestätigten positiven COVID-19-Testungen (die in der Sache nicht auf eine Infektion mit aktive Viren hinauslaufen müssen) in Nordrhein-Westfalen am 30. Oktober 2020 insgesamt 127.44319. Darunter befinden sich in der Altersgruppe von null bis neun Jahre 5.773, in der Altersgruppe zehn bis 19 Jahre 11.878 Fälle. Dies ist eine Bestätigung des Studienergebnisses, wonach Kinder und Jugendliche sich untereinander kaum anstecken20 und auch weniger infektiös sind als Erwachsene21.
Weltweit haben bereits mehr als 15.000 Wissenschaftler und Mediziner eine Petition gegen die Corona-Lockdown-Maßnahmen unterzeichnet, da sie zu „irreparablen Schäden“ führen22. Der Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen warnt vor einem bundesweiten Lockdown und hält ihn weder für zielführend noch umsetzbar. Es seien zielgerichtete Maßnahmen erforderlich23. Auch Prof. Hendrik Streeck weist darauf hin, dass aus Infektionszahlen alleine keine Rückschlüsse gezogen werden können. Vielmehr sollte der Augenmerk darauf liegen, dass die vulnerablen Personengruppen geschützt werden. Er hält einen Lockdown für wenig hilfreich, solange keine konstruktiven Lösungen vorliegen24. Selbst das Europa-Büro der Weltgesundheitsorganisation warnt vor den Folgen eines vorschnellen Lockdowns, weil mit zunehmender häuslicher Gewalt zu rechnen sei25.
Kinder waren bereits im Frühjahr diesen Jahres die großen Verlierer in der Corona-Pandemie. Sie wurden von der Politik im Stich gelassen.
So wurden ihre Rechte auf körperliche Unversehrtheit nach, Art. 2 Abs. 2 GG, auf den Schutz behinderter Kinder vor Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie auf das Kindeswohl nach Art. 3 und den Schutz der behinderten Kinder nach Art. 23 der UN-Kinderschutzkonvention verletzt.
Aus alledem ergibt sich, dass die Corona-Schutzverordnung vom 30. Oktober 2020 weder geeignet noch erforderlich oder verhältnismäßig ist, um ihr Ziel, d.h. die Eindämmung der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen, zu erreichen.
Es ist politisch und gesellschaftlich nicht zu verantworten, dass nun die gleichen Fehler wie im Frühjahr wiederholt werden. Kinder und Jugendliche dürfen nicht ein zweites Mal von Maßnahmen betroffen sein, die ihnen nachweislich physische und psychische Schäden zufügen.
Ihre Rechte und ihre Bedürfnisse wurden bei allen bislang getroffenen Maßnahmen außen vor gelassen. Dabei sollte es bei all unseren Entscheidungen unsere allererste Sorge sein, wie es um die Schwächsten unserer Gesellschaft bestellt ist.
II. Der Landtag stellt fest,
- dass die Rechte und Bedürfnisse von Kindern im Rahmen der Maßnahmen des Corona-Pandemie-Gesetzes sträflich vernachlässigt wurden,
- dass Kinder unter dem besonderen Schutz unserer Gesellschaft stehen und ihre Rechte aus Art. 2 Abs. 2 GG und den Art. 3 und 31 Abs. 1 UN- Kinderrechtskonvention gewährleistet werden müssen,
- dass behinderte Kinder nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 23 der UN – Kinderrechtskon-vention ein Recht auf Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung haben,
- eine mehrwöchige Isolation im Sinne des Kinderschutzes nicht tragbar ist und zu physischen und psychischen Schäden führen kann,
- dass Bewegungsmangel bei Kindern zu physischen und psychischen Schäden führen bzw. diese verstärken kann.
III. Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf,
- sämtliche Punkte der Coronaschutzverordnung, die die Schnittstellen des kindlichen Lebensraums betreffen insbesondere Sport und Spielstätten, außer Kraft zu setzen;
- Kinder grundsätzlich von den Regelungen der Coronaschutzverordnung zur Kontaktbeschränkung auszunehmen und ihnen somit Kontakt zu Familienangehörigen und Spielkameraden zu ermöglichen.
Iris Dworeck-Danielowski
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. dazu https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-corona-grundschueler-maskenpflicht-kommentar-1.5079124, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
2 https://www.welt.de/politik/deutschland/article218786968/Corona-Regeln-Neuer-Lockdown-Das-ist-verboten-das-ist-erlaubt.html, zuletzt abgerufen am 29.10.2020.
3 https://kindheiterleben.de/die-beduerfnisse-von-kindern-verstehen/, zuletzt abgerufen am 30.10.2020..
4 https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Corona-Lockdown-schlaegt-vielen-aufs-Gemuet-409157.html, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
5 Vgl. dazu https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-corona-grundschueler-maskenpflicht-kommentar-1.5079124, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
6 https://www.express.de/bonn/gewalt-in-der-corona-krise-frauenhaeuser-komplett-belegt—so-schlimm-ist-es-in-bonn-36618000, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
7 So die “Copsy-Studie“ des UK Hamburg – Eppendorf, vgl. dazu https://www.aerzteblatt.de/nachrich-ten/114603/Psychische-Gesundheit-von-Kindern-waehrend-Coronapandem ie-verschlechtert, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
8 https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_88336552/zweite-corona-studie-gravierende-psy-chische-folgen-fuer-kinder.html, zuletzt abgerufen am 28. 10.2020.
9 https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/studie-ueber-corona-folgen-die-einsamkeit-der-kin-der,RzRX6c3, zuletzt abgerufen am 28.10.2020.
10 https://www1.wdr.de/sport/kinder-jugendliche-corona-sport-psychologie-100.html, zuletzt abgerufen am 28.10.2020.
11 Vgl. dazu https://www.welt.de/sport/fitness/plus217118178/Corona-Kinder-im-Lockdown-Gewichts-zunahme-und-viele-andere-Folgen.html?ticket=ST-A-1025513-eRRCFU46Q0JXNaGwbvKg-sso-sig-nin-server, zuletzt abgerufen am 29.10.2020.
12 https://physiotherapeuten.de/news/2020/05/akuter-bewegungsmangel-bei-kindern-waehrend-der-corona-krise/, zuletzt abgerufen am 28.10.2020.
13 https://www.rnd.de/gesundheit/corona-kilos-viele-kinder-von-bewegungsmangel-und-ubergewicht-betroffen-L56VEHIQC5GCRBUOBZACS7AWVY.html, zuletzt abgerufen am 28.10.2020.
14 Vgl. https://www.kinderrechtskonvention.info/recht-auf-altersgemaesse-freizeitbeschaeftigungrecht-auf-spielen-3654/, zuletzt abgerufen am 31.10.2020.
15 https://www.schulsport-nrw.de/fileadmin/user_upload/NW_Empfehlungen_Sportunter-richt_nach_den_Herbstferien2.pdf, zuletzt abgerufen am 28.10.2020.
16 https://www.schulsport-nrw.de/home/news-de-
tail.html?tx_ttnews%5Btt_news%5D=448&cHash=2b70b0705f33e606bf77d2f8c3c9872d, zuletzt abgerufen am 29.10.2020.
17 https://kobinet-nachrichten.org/2020/08/26/schuelerinnen-und-schueler-von-der-befoerderung-aus-geschlossen/, zuletzt abgerufen am 29.10.2020.
18 https://www.kindersache.de/bereiche/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention/artikel-23-koerperli-che-und-geistige-behinderungen, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
19 https://www.mags.nrw/coronavirus-fallzahlen-nrw, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
20 So eine Studie in Baden-Württemberg, vgl. dazu https://www.swr.de/wissen/corona-kinder-100.html, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
21 So die Studie aus Island, vgl.https://www.mopo.de/hamburg/corona-in-hamburg-streit-um-kita-oeff-nung–wie-gefaehrlich-sind-kinder-wirklich—36585270, zuletzt abgerufen am 29.10.2020.
22 https://lichtnahrung2015.wordpress.com/2020/10/09/petition-gegen-corona-lockdown-masnahmen/, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
23 Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/wissenschaftler-lockdown-101.html, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
24 https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/virologe-im-interview-streeck-warnt-vor-uebertriebe-ner-corona-panik-es-gibt-zu-viel-angst_id_12484183.html, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.
25 https://www.welt.de/politik/ausland/article218959586/Europa-Buero-der-WHO-warnt-vor-negativen-Folgen-kompletter-Lockdowns.html, zuletzt abgerufen am 30.10.2020.