Kleine Anfrage 5993der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Christian Loose vom 22.09.2021
Zuweisung von Arbeitsgelegenheiten gemäß SGB II – Inwieweit lässt sich dieses Instrument – analog zum Konzept der Dänischen Sozialdemokraten – verstärkt in NRW nutzen?
Am 06. August 2019 fragten wir letztmalig, inwiefern Asylberechtigte zu gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung herangezogen wurden.1 Die Rechtsgrundlage ist in diesem Zusammenhang § 16d des SGB II. Danach können „erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden, wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.“
Dieses Arbeitsmarktinstrument ist grundsätzlich auch auf Asylbewerber, die eine Anerkennung als Asylberechtigte oder als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erhalten und jene, denen subsidiärer Schutz zugestanden wird, anwendbar, sobald diese aus dem Rechtskreis der Bezieher von Asylbewerberleistungen in den Rechtskreis der Bezieher von Grundsicherung nach dem SGB II wechseln.
Zulässig ist grundsätzlich eine Zuweisungsdauer von max. 24 Monaten innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere 12 Monate. Die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erhalten für diese Tätigkeiten zuzüglich zum Arbeitslosengeld 2 eine angemessene Entschädigung.
Wie die Antwort der Landesregierung seinerzeit ergeben hat, unterscheiden die amtlichen Statistiken in Bezug auf Arbeitsgelegenheiten nach Deutschen, Ausländern und Menschen aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern (Stand: Januar 2016: Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien) bzw. nach Personen im Kontext von Fluchtmigration insgesamt.
Die Antwort der Landesregierung ergab seinerzeit, das dieses Instrument nur in geringem Maße in Anspruch genommen wird.2
Wie die Tageszeitung „WELT“ am 08. September 2021 meldete, sieht die sozialdemokratisch geführte dänische Regierung verpflichtende gemeinnützige Arbeiten zukünftig insbesondere für Arbeitslose mit Integrationsbedarf vor, die vom Staat finanzielle Unterstützung bekommen.3
Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen begründete dieses Ansinnen wie folgt: „Rechte und Pflichten müssen Hand in Hand gehen. […] Wenn man morgens nicht erscheint, erhält man seine Unterstützung nicht.“ Arbeitsminister Peter Hummelgaard ergänzte: „Das Wichtigste ist, dass die Leute aus der Tür kommen. Viele nicht-westliche Frauen erleben, dass sie aufgrund der sozialen Kontrolle durch Ehepartner und Söhne nicht vor die Tür gehen dürfen.“4
Auf dem Internetportal „WEB.de“ wird Ministerpräsidentin Frederiksen wie folgt zitiert: „Wir wollen eine neue Arbeitslogik einführen, bei der die Menschen die Pflicht haben, einen Beitrag zu leisten und sich nützlich zu machen. […] Und wenn sie keine reguläre Arbeit finden, müssen sie für ihre Zuwendungen arbeiten.“5
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Deutsche, Ausländer, Ausländer aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern bzw. Personen im Kontext von Fluchtmigration wurden seit 2014 gemäß § 16d SGB II in NRW zu einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung herangezogen? (Bitte jeweils nach Jahr und Anzahl aufschlüsseln; Bitte analog zur Antwort der Landesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage 2830 antworten.)
- Wie viele Eintritte von Teilnehmenden in Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsvariante) wurden seit 2014 für die Personenkreise Deutsche, Ausländer, Ausländer aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern bzw. Personen im Kontext von Fluchtmigration insgesamt in NRW erfasst? (Bitte jeweils nach Jahr und Anzahl aufschlüsseln; Bitte analog zur Antwort der Landesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage 2830 antworten.)
- Inwiefern sieht die Landesregierung Möglichkeiten, Asylsuchende bzw. ausreisepflichtige Personen in dieses Programm einzubeziehen?
- Wie bewertet die Landesregierung die Vorschläge aus Dänemark, verpflichtende gemeinnützige Arbeiten zukünftig insbesondere für Arbeitslose mit Integrationsbedarf vorzusehen?
- Inwiefern wird sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es in dieser Frage zu einer Abstimmung der Bundesregierung mit der dänischen Regierung kommt?
Gabriele Walger-Demolsky
Christian Loose
1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/7264
2 Ebenda
3 Vgl. https://www.welt.de/politik/ausland/article233657655/Daenemark-Regierung-will-Arbeitslose-zu-gemeinnuetziger-Arbeit-verpflichten.html?fbclid=IwAR3Iaw8ZkH13z5IYTLZOiSKbLsv9zpVi9fjHSLI1x6Xjx9l3Su1dIQtNK74
4 Ebenda
5 Vgl. https://web.de/amp/36157548
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 5993 mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet.
- Wie viele Deutsche, Ausländer, Ausländer aus nichteuropäischen Asylherkunfts-
ländern bzw. Personen im Kontext von Fluchtmigration wurden seit 2014 gemäß § 16d SGB II in NRW zu einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung herangezogen? (Bitte jeweils nach Jahr und Anzahl aufschlüsseln; Bitte analog zur Antwort der Landesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage 2830 antworten.)
Die Frage 1 wird mit nachfolgender Tabelle beantwortet.
Tabelle 1 Bestand von Teilnehmenden in Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsvariante)
Nordrhein-Westfalen (Gebietsstand September 2021)
Zeitreihe (Jahresdurchschnittswerte bzw. in 2021 Monatswerte), Datenstand: September 2021
Endgültige Werte zur Förderung stehen erst nach einer Wartezeit von drei Monaten fest.
Berichtsmonat | Insgesamt | dar. | |||
Deutsche | Ausländer3) | Asylher-kunfts-länder (Top 8)1) | Personen im Kontext Fluchtmigration2) | ||
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | |
2014 | 21.038 | 18.153 | 2.884 | 245 | – |
2015 | 20.264 | 17.290 | 2.974 | 319 | 3 |
2016 | 19.922 | 16.555 | 3.367 | 713 | 456 |
2017 | 20.065 | 16.285 | 3.780 | 1.068 | 894 |
2018 | 19.441 | 15.705 | 3.736 | 1.224 | 1.082 |
2019 | 19.969 | 15.740 | 4.229 | 1.621 | 1.461 |
2020 | 16.668 | 12.863 | 3.805 | 1.664 | 1.500 |
Januar 2021 | 15.254 | 11.521 | 3.733 | 1.682 | 1.517 |
Februar 2021 | 15.257 | 11.468 | 3.789 | 1.709 | 1.536 |
März 2021 | 15.537 | 11.664 | 3.873 | 1.748 | 1.572 |
April 2021 | 15.945 | 11.973 | 3.971 | 1.782 | 1.613 |
Mai 2021 | 15.921 | 11.939 | 3.981 | 1.801 | 1.636 |
Juni 2021 | 16.208 | 12.196 | 4.011 | 1.822 | 1.669 |
Erstellungsdatum: 28.09.2021, Statistik-Service West, Auftragsnummer 321168 © Statistik der Bundesagentur für Arbeit
- Enthalten sind Personen mit der Staatsangehörigkeit Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.
- Personen im Kontext von Fluchtmigration = Summe aus Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, Aufenthaltsgestattung und Duldung.
- Die Zählweise von Ausländern hat sich im Vergleich zu früheren Publikationen geändert. Staatenlose und Personen ohne Angabe zur Staatsangehörigkeit werden nun nicht mehr unter „Keine Angabe“, sondern zu den Ausländern gezählt. Details dazu finden Sie in der Hintergrundinfo „Statistiken nach Staatsangehörigkeit – neue Zuordnung von Staatenlosen und Personen ohne Angabe der Staatsangehörigkeit“ auf unserer Internetseite Grundlagen > Methodik und Qualität > Methodenberichte und Hintergrundinfos > Übergreifende Themen.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistik (Zahlen für NRW)
- Wie viele Eintritte von Teilnehmenden in Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsva-riante) wurden seit 2014 für die Personenkreise Deutsche, Ausländer, Ausländer aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern bzw. Personen im Kontext von Fluchtmigration insgesamt in NRW erfasst? (Bitte jeweils nach Jahr und Anzahl aufschlüsseln; Bitte analog zur Antwort der Landesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage 2830 antworten.)
Die Frage 2 wird mit nachfolgender Tabelle beantwortet.
Tabelle 2 Eintritte von Teilnehmenden in Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandsvariante)
Nordrhein-Westfalen (Gebietsstand September 2021)
Zeitreihe (Jahressummen), Datenstand: September 2021
Endgültige Werte zur Förderung stehen erst nach einer Wartezeit von drei Monaten fest.
Berichtsmonat | Insgesamt | dar. | |||
Deutsche | Ausländer3) | Asylher-kunfts-länder (Top | Personen im Kontext Fluchtmigration2) | ||
8)1) | |||||
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | |
2014 | 60.539 51.677 8.862 780 – | ||||
2015 | 54.028 45.797 8.231 956 13 | ||||
2016 | 57.202 46.630 10.572 2.512 1.470 | ||||
2017 | 52.007 41.489 10.518 3.314 2.940 | ||||
2018 | 51.069 40.191 10.878 3.913 3.570 | ||||
2019 | 51.413 39.797 11.616 4.656 4.313 | ||||
2020 | 38.228 29.224 9.004 3.878 3.558 | ||||
Jan 21 – Jun 21 | 21.167 16.078 5.088 2.129 1.928 |
Erstellungsdatum: 28.09.2021, Statistik-Service West, Auftragsnummer 321168 © Statistik der Bundesagentur für Arbeit
- Enthalten sind Personen mit der Staatsangehörigkeit Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.
- Personen im Kontext von Fluchtmigration = Summe aus Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, Aufenthaltsgestattung und Duldung.
- Die Zählweise von Ausländern hat sich im Vergleich zu früheren Publikationen geändert. Staatenlose und Personen ohne Angabe zur Staatsangehörigkeit werden nun nicht mehr unter „Keine Angabe“, sondern zu den Ausländern gezählt. Details dazu finden Sie in der Hintergrundinfo „Statistiken nach Staatsangehörigkeit – neue Zuordnung von Staatenlosen und Personen ohne Angabe der Staatsangehörigkeit“ auf unserer Internetseite Grundlagen > Methodik und Qualität > Methodenberichte und Hintergrundinfos > Übergreifende Themen.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistik (Zahlen für NRW)
- Inwiefern sieht die Landesregierung Möglichkeiten, Asylsuchende bzw. ausreisepflichtige Personen in dieses Programm einzubeziehen?
Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für den Personenkreis der Asylbewerber und vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer ist explizit im Asyl- und Aufenthaltsrecht geregelt. Nach § 61 Abs. 1 S. 1 AsylG darf der Ausländer für die Dauer der Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, keine Erwerbstätigkeit ausüben. Ausländern, die seit mindestens sechs Monaten eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen, kann die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden. Jedoch besteht hier eine zeitliche Einschränkung von einem mindestens sechsmonatigen geduldeten Aufenthalt nach § 60a AufenthG. Zudem liegt die Beschäftigungserlaubnis im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde und unterliegt einer Einzelfallentscheidung. Letztlich finden die Regelungen des SGB II keine Anwendung für den hier genannten Personenkreis.
- Wie bewertet die Landesregierung die Vorschläge aus Dänemark, verpflichtende gemeinnützige Arbeiten zukünftig insbesondere für Arbeitslose mit Integrationsbedarf vorzusehen?
Die Landesregierung unterstützt die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen. So werden im Rahmen der Landesinitiativen „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ sowie „Gemeinsam klappt´s“ geflüchtete Menschen, insbesondere Geduldete und Gestattete, in einem strukturierten Prozess zur Ausbildungsreife geführt oder während einer Ausbildung bzw. einer Beschäftigung flankierend unterstützt. Damit wird ihr Weg in Ausbildung und Arbeit gefördert.
Die Initiativen erhöhen folglich die Chancen auf eine erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsmarkt und ermöglichen den geflüchteten Menschen im Rahmen bestehender Gesetze berufliche Perspektiven zu erarbeiten. Eine Verpflichtung zu gemeinnützigen Arbeiten ist im Rahmen bestehender Gesetze (Asyl- und Aufenthaltsgesetz) nicht vorgesehen.
Die geltenden Regelungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende kennen eine Reihe von unterschiedlichen Mitwirkungspflichten. Eine unbedingte Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit der Leistungsberechtigten im Sinne einer Gegenleistung für finanzielle Zahlungen aus Steuermitteln ist nicht vorgesehen.
- Inwiefern wird sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür einsetzen, dass es in dieser Frage zu einer Abstimmung der Bundesregierung mit der dänischen Regierung kommt?
Bei dem Asylgesetz sowie dem Aufenthaltsgesetz handelt es sich um Bundesrecht. Die Landesregierung sieht hier entsprechend auch keinen Handlungsbedarf.