Stalking als neuen Straftatbestand ernst nehmen – Opferschutz durch Implementierung adäquater Hilfsangebote.

Antrag
vom 05.11.2019

Antragder AfD-Fraktion vom 05.11.2019

 

Stalking als neuen Straftatbestand ernst nehmen – Opferschutz durch Implementierung adäquater Hilfsangebote.

I. Ausgangslage

Stalking definiert sich nach der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes als das wiederholte und beabsichtigte Belästigen und Verfolgen eines Menschen, sodass dessen Sicherheit bedroht und er in seiner Lebensgestaltung in einem außerordentlichen Maße beeinträchtigt wird. Durch die wiederholte, willentliche Verfolgung und Belästigung wird die psychische oder physische Unversehrtheit langfristig mittelbar oder unmittelbar geschädigt oder bedroht. Der psychiatrische Aspekt des Stalkings wurde von den Ärzten Mullen und Pathe, welche dieses Phänomen Anfang der 1990er Jahre erstmals als eigenes wissenschaftliches Konstrukt erfasst und untersucht haben1, durch den Begriff des „obsessiven Verfolgens“ allgemeinverständlich und wissenschaftlich umrissen. Typische Verfolgungsweisen von Stalkern bestehen etwa darin, dass sie sich stundenlang vor häufigen Aufenthaltsorten ihrer Opfer auf die Lauer legen oder unerwünschte Kontaktaufnahmen in deren Privatsphäre und am Arbeitsplatz erzwingen. Stalker fallen durch gehäufte, auch nächtliche Telefonanrufe bis hin zum Telefonterror auf und senden ihren Opfern Briefe oder E-Mails, oftmals mit subtil oder expressiv bedrohlichen Inhalten. Sie geben unter dem Namen oder auf Rechnung ihrer Opfer Bestellungen auf oder lancieren gefälschte Annoncen (bis hin zu Todesanzeigen) in Zeitungen. Aggressivere Verhaltensweisen führen zu Sachbeschädigungen, wie etwa zerkratztem Lack, zerstochenen Reifen, eingeworfenen Fenstern, Müll und Exkrementen in Briefkästen und ähnlichen Sachverhalten. Es kommt auch zu körperlichen Attacken und zu sexueller Nötigung. Selbst Tötungsdelikte haben sich im Kontext von Stalking ereignet; sie sind sehr selten2, aber niemals auszuschließen.

Etwa 80 Prozent der Stalker sind Männer, überwiegend im Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Die meisten Fälle entwickeln sich aus einer früheren Beziehung oder Bekanntschaft. Nur in etwa jedem fünften Fall ist der „Stalker“ eine gänzlich fremde Person. Stalking ist keine Krankheit, sondern eine Gewalttat.3

In einer globalisierten Gesellschaft und in Zeiten von Social Media wird es potentiellen Tätern leicht gemacht, Ihren Opfern nachzustellen, was nicht zuletzt auf Fahrlässigkeit im Umgang mit eigenen privaten Daten auf diversen Internetplattformen zurückzuführen ist. Je nach Intensität und fortschreitendem Stalking werden die Opfer durch die Tathandlungen verängstigt und reagieren mit einem stetigen Rückzug aus ihrem sozialen Leben. Infolgedessen können Auswirkungen wie der Verlust des Arbeitsplatzes, kompletter Verlust sämtlicher Sozialkontakte, Verlust des Umfelds und des sonstigen Soziallebens durch Umzug und notwendige Schutzmaßnahmen sowie fehlende Paarbeziehungen verstärkt auftreten. Die niederländischen Forscher Kamphuis und Emmelkamp fanden im Zuge ihrer Studien heraus, dass Stalkingopfer demselben psychischen und physischen Stress ausgesetzt sind wie die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes.4

Des weiteren geht aus der Darmstädter Stalking–Studie5, welche sich unter anderem mit den physischen und psychischen Folgen des Stalkings beschäftigt, hervor, dass psychische Folgen unter anderem Schlafstörungen, Albträume, Panikattacken, Depressionen, Gereiztheit, Essstörungen, Misstrauen gegenüber anderen Menschen, Beziehungsunfähigkeit und Suizidgedanken sind. Körperliche Folgen beginnen bei Magenbeschwerden und Kopfschmerzen und führen bis hin zu abnormaler Infektanfälligkeit durch ein stressbedingt geschwächtes Immunsystem und damit einhergehende Erkrankungen. Die oben bereits erwähnten sozialen Folgen verstärken die genannten Symptome.

Am 10.03.2017 ist die geänderte Fassung des § 238 StGB „Nachstellung“ in Kraft getreten. Zuvor musste zur Verwirklichung des Straftatbestands das Leben des Opfers tatsächlich beeinträchtigt sein. Nun ist Stalking bereits strafbar, wenn die Handlungen des Stalkers objektiv dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Das ermöglicht es der Polizei, konsequent gegen jeden vorzugehen, der die Sicherheit eines anderen Menschen gefährdet und seine Lebensgestaltung massiv zu beeinträchtigen versucht. So wurden im Jahre 2017 im Land NRW 5070 Fälle von Stalking registriert, im Jahre 2018 bereits 5159 Fälle, wie aus einer Antwort des Ministeriums6 hervorging. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen, da für die Opfer das Problem besteht, dass eine strafrechtliche Verfolgung des Stalkers erst möglich ist, wenn es tatsächlich zu Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Nötigung oder Bedrohung gekommen ist. Das deutsche Gewaltschutzgesetz bietet in der Praxis keine ausreichenden und erfolgversprechenden Interventionsmöglichkeiten. Häufig wenden sich die Betroffenen deshalb gar nicht an Rechts- oder Staatsanwalt, sondern suchen Hilfe bei Ärzten, was nicht verwundert, weil sie eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit haben7. Hier wird deutlich, dass dem Phänomen neben der strafrechtlichen Sanktionierung noch auf einer weiteren Ebene begegnet werden muss, nämlich auf derjenigen der Betreuung der und der Nachsorge für die Opfer. Da Ärzte und Therapeuten als häufige Ansprechpartner fungieren, sind profunde Kenntnisse über die Stalkingproblematik für sie dringend notwendig. Interventionstechniken sollten kompetente Beratung und fundierte Informationen über den Umgang mit dem Stalker, über Risikoeinschätzung bezüglich gewalttätigen Verhaltens, über juristische Schritte und Möglichkeiten sowie therapeutische Maßnahmen umfassen. Ein koordiniertes Vorgehen, das Polizei, Rechtsanwälte und Gerichte vor Ort mit einbezieht, ist für ein erfolgreiches Management Voraussetzung.

II. Der Landtag stellt fest, dass

1. Stalking die physische und psychische Unversehrtheit der Opfer nachhaltig schädigt.

2. in Anbetracht der steigenden Zahlen der gemeldeten Stalking Fälle die Präventionsangebote, sowie die Angebote der Nachsorge für die Opfer eine Ausweitung und Intensivierung bedarf.

3. es sich bei „Stalking“ um kein Kavaliersdelikt handelt, sondern um einen Straftatbestand, der die Lebensführung der Opfer in maßgeblichen Umfang beeinträchtigen kann.

4. die bereits durchgeführten Präventionsangebote seitens der Kreispolizeibehörden eine erste Hilfestellung für die Opfer im Umgang mit den vielfältigen Belästigungszuständen darstellen, es staatlicherseits jedoch weitere Betreuungsangebote insbesondere zur Nachsorge bedarf, um eine autonome Lebensgestaltung nachhaltig wiederherzustellen und zu sichern.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. eine epidemiologische Untersuchung zur Häufigkeit sowie zu physischen und psychischen Auswirkungen von Stalking auf die Betroffenen in Auftrag zu geben oder selbst durchzuführen;

2. die bereits bestehenden Programme der Kreispolizeibehörden zu erweitern und neben Präventionsangeboten auch eine aktive Begleitung der Opfer sowohl in juristischer als auch in psychotherapeutischer Sicht anzubieten und auszuweiten;

3. den durch das Land NRW geförderten runden Tisch zu Gewalt gegen Frauen8 auszuweiten und insbesondere für die Gefahren des Stalkings zu sensibilisieren; öffentlichkeitswirksam auf die Gefahren und Risiken von Stalking aufmerksam zu machen und eine zentrale Stelle zur Betreuung potentieller Opfer zu schaffen.

Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF laden

 

1 Mullen, P.E., Pathe, M. und Purcell, R. (2000). Stalkers and their Victims. Cambridge u.a.: Cambridge University Press.

2 Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2862–2864 [Heft 43]

3 https://polizei.nrw/artikel/stalking

4 http://www.stalking-justiz.de/stalking/psychische-und-koerperliche-stalkingfolgen/

5 Wondrack/ Hoffmann/ Voß, Traumatische Belastung bei Opfern von Stalking, Praxis der Rechtspsychologie 15(2)2005, S.222 ff.

6 Drucksache 17/7679

7 Dreßing H, Kühner C, Gass P: Prävalenz von Stalking in Deutschland. Psychiatrische Praxis.

8 Drucksache 17/7679