Die zweiten Beschränkungen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie dürfen nicht den Rechtsstaat gefährden

Antrag
vom 03.11.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 03.11.2020

I. Ausgangslage

Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung COVID-19 wurde erstmals im Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan bekannt. Die Viruserkrankung breitete sich sehr schnell international aus und führte zur aktuell weltweiten COVID-19-Pandemie.

Der erste bestätigte Fall in Deutschland wurde am 28.01.2020 in Bayern festgestellt; mittlerweile hat sich das Virus flächendeckend im ganzen Bundesgebiet ausgebreitet.

Der erste bestätigte Fall einer COVID-19-Erkrankung in Nordrhein-Westfalen trat am 24.02.2020 im Kreis Heinsberg auf. Bereits am 06.03.2020 wurde der Kreis Heinsberg vom Robert Koch-Institut (RKI) als „besonders betroffenes Gebiet in Deutschland“ gelistet und hatte als einziger Kreis in Deutschland diesen Status bis zum 31.03.2020 inne; seit dem 31.03. werden vom RKI keine besonders betroffenen Gebiete mehr aufgelistet, da die Viruserkrankung nun deutschlandweit verbreitet ist.1 Insbesondere eine zuvor abgehaltene Karnevalssitzung mit infizierten Gästen wird als Grund für die intensive Ausbreitung des Virus im Kreis Heinsberg angesehen.2

Die ersten Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen wurden durch die Landesregierung am 13.03.2020 in Kraft gesetzt. So wurden unter anderem Besuche in Alten- und Pflegeheimen sowie Kliniken beschränkt. Auch Grund- und weiterführende Schulen sowie Kindertagesstätten wurden geschlossen.

Am 14.04.2020 verabschiedete der Landtag Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie und stellte die epidemische Lage von landesweiter Tragweite gemäß § 11 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes (IfSBG-NRW) fest. Mit dieser Feststellung ist das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium befugt, weitergehende Anordnungen bzgl. des Krankenhausbereiches, im öffentlichen Gesundheitsdienst sowie über verfügbares Material und medizinische Geräte zu treffen.3

Dorsten und Münster führten als erste Städte in Nordrhein-Westfalen eine Maskenpflicht ein;4 diese Verpflichtung wurde daraufhin am 27.04.2020 durch die Landesregierung auf ganz NRW ausgedehnt.

Ab dem 15.06.2020 traten die ersten Lockerungen aufgrund abnehmender Fallzahlen ein.5 Durch das kurz darauf eintretende Infektionsgeschehen im Stammwerk des Fleischverarbeiters Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit ca. 1.500 infizierten Arbeitnehmern wurde am 23.06.2020 eine erneute vorläufige Kontaktbeschränkung für die Kreise Gütersloh und Warendorf bis zum 30.06.2020 verkündet (sogenannter „regionaler Lockdown“), da es sich bei diesem Infektionsgeschehen um das bis dahin größte in der Bundesrepublik handelte.6 Am 29.06.2020 wurden die Kontaktbeschränkungen für den Kreis Warendorf aufgehoben und für den Kreis Gütersloh bis zum 07.07.2020 verlängert.7

Diese Kontaktbeschränkungen für den Kreis Gütersloh wurden am 06.07.2020 vom Oberverwaltungsgericht Münster aufgehoben; zur Begründung führte das Gericht an, dass es „möglich und erforderlich“ gewesen wäre, eine „differenziertere Regelung“ als die aufgegebenen Kontaktbeschränkungen zu treffen, weswegen diese im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen seien.8

Am 28.10.2020 kamen die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin in einer informellen, weil verfassungsrechtlich so nicht vorgesehenen nichtöffentlichen Konferenz zusammen und beschlossen die Festsetzung neuerlicher, teils tiefgreifender Grundrechtseinschränkungen durch die Länder ab dem 02.11.2020. Anlass dafür waren die im Vorfeld offenbar stark angestiegenen absoluten Zahlen der täglich festgestellten Neuinfektionen bzw. der täglich festgestellten positiven Ergebnisse des RT-PCR-Tests, auch wenn diese nicht notwendig mit einer Infektiosität der getesteten Personen korrelieren.9 So wurden am 28.10.2020 vom Robert Koch-Institut 14.964 Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages (d.h. eigentlich: positive RT-PCR-Testergebnisse) festgestellt. In Reaktion darauf sollen vor allem persönliche Kontakte in der Öffentlichkeit reduziert werden, indem sich – bei einer Gesamtanzahl von 10 Personen – nur noch Angehörige zweier Haushalte treffen dürfen. Gastronomiebetriebe, Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen sowie einzelne Bereiche des Dienstleistungssektors werden zwangsweise geschlossen, Groß- und Einzelhandel sowie Schulen und Kindergärten sollen hingegen dieses Mal geöffnet bleiben.10

Bei den Gerichten hatte bereits der erste „Lockdown“ im Frühjahr zu Aufhebungen von Hauptverhandlungsterminen, zur Sperrung von Geschäftsstellen für den Publikumsverkehr sowie zur priorisierten Durchführung von unaufschiebbaren Verfahren geführt. Die nun wiederum verhängten Beschränkungen dürften den „Rückstau“ nicht erledigter Verfahren weiter vertiefen; zugleich ist jedenfalls bei den Verwaltungsgerichten aufgrund der zu erwartenden Rechtsmittel gegen die ausgesprochenen Beschränkungen, bspw. der Schließung von Restaurants, Kinos und Bars, mit einer (weiteren) Prozesswelle zu rechnen.11 Hierdurch werden die Verwaltungsgerichte zugleich daran gehindert, sich ihrer heutigen faktischen Hauptaufgabe, nämlich der Abarbeitung der zahllosen strittigen Asylverfahren, zu widmen. Die dadurch bewirkte längere Anwesenheit abgelehnter Asylbewerber in Deutschland erhöht zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass diese am Ende wenigstens den ausländerrechtlichen Duldungsstatus erlangen, also potentiell für immer in Deutschland bleiben und hier Sozialleistungen, medizinische Dienstleistungen und sonstige kostenträchtige staatliche Leistungen in Anspruch nehmen bzw. empfangen. In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass darunter auch z.B. auch Gefängnisaufenthalte fallen.

In den letzten Wochen und Monaten hat sich mit zunehmender Deutlichkeit gezeigt, dass die Gerichte – anders als noch im Frühjahr – den staatlichen Maßnahmen vielfach kritisch begegnen12 und die Bestätigung der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs – methodisch ganz richtig – von einer auf nachprüfbare Tatsachen gegründeten, in sich stimmigen Gefahrenanalyse und -prognose abhängig machen. Die Gerichte verlangen zudem, dass die bestimmte Bürger und v.a. auch Gewerbetreibende treffenden Belastungen nicht willkürlich und ohne durchgreifende Begründung nur bestimmte Zielgruppen treffen, andere aber nicht. So wurde Eilanträgen, die sich gegen die Beherbergungsverbote in verschiedenen Bundesländern richteten, stattgegeben. Auch hatten Gastwirte in Berlin mit Klagen gegen die Sperrstunde ab 23 Uhr jeweils Erfolg. Das Verwaltungsgericht Minden erklärte eine Verfügung zur Isolation von Pflegeheimbewohnern, die unter Infektionsverdacht standen, für rechtswidrig.13

Aufgrund der essentiellen rechtsstaatlichen Notwendigkeit, eine funktionierende Justiz aufrechtzuerhalten, warnt auch schon die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) vor der Verschleppungen gerichtlicher Verfahren und vor einem Verlust der Arbeitsfähigkeit der Gerichte. So gibt der BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels zu bedenken, dass die Gerichte auch in einem kommenden zweiten „Lockdown“ arbeitsfähig bleiben müssen und Verfahrensverzögerungen von mehr als acht Wochen nicht mehr hinnehmbar seien.14

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen muss daher den geordneten Fortgang der Rechtspflege sicherstellen können. Die digitale Infrastruktur muss genutzt und ausgeweitet werden, um die Kommunikation zwischen Behörden, Gerichten und Prozessparteien weiter sicherzustellen. Da die Identität der an einem Prozess beteiligten Personen zweifelsfrei feststellbar sein muss und speziell in Strafverfahren die Beobachtung auch der Mimik von Zeugen zur richterlichen Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit gehört, kommt die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Gerichtssälen jedenfalls nicht durchgehend in Betracht.

II. Der Landtag stellt daher fest:

Eine funktionierende Gerichtsbarkeit ist für einen Rechtsstaat auch in Krisensituationen unabdingbar. Auch in Zeiten weiterer gesellschaftlicher Beschränkungen muss die Justiz ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachkommen können.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

die Sicherstellung eines flächendeckenden Hygienekonzepts innerhalb der Justiz zu gewährleisten; hierzu gehört vor allem:

– Die Aufrechterhaltung der Öffentlichkeit in Prozessen durch geeignete Maßnahmen;

– Die Bereitstellung und -haltung von Desinfektionsmitteln in den Dienstgebäuden für den öffentlichen Publikumsverkehr sowie Personal;

– Die flächendeckende Einführung von transparenten Trennwänden im Gerichtsprozess, wie am Beispiel des Landtages;

– die Erkennbarkeit der Gesichter von Zeugen, Sachverständigen, Parteien etc. auch unter Corona Bedingungen sicherzustellen;

– Auch im Hinblick auf arbeitsrechtliche Vorschriften ist die Einhaltung eines gesunden Raumklimas in Gerichten und insbesondere in den Sitzungssälen zu gewährleisten.

– die digitale Ausstattung und Infrastruktur der Gerichte, Staatsanwaltschaften und sonstigen Justizbehörden zu verbessern;

– die prozessualen Möglichkeiten der Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragungen (vgl. § 128a ZPO) bei geeigneten Gelegenheiten möglichst auszuschöpfen.

Thomas Röckemann
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-31-de.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 29.10.2020).

2 https://www.wz.de/nrw/gangelt-und-der-wettlauf-gegen-das-coronavirus_aid-49247059 (abgerufen am 29.10.2020).

3 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=04020200331075028240 (abgerufen am 29.10.2020).

4 https://rp-online.de/panorama/coronavirus/dorsten-und-muenster-erste-nrw-staedte-fuehren-maskenpflicht-wegen-corona-ein_aid-50134147 (abgerufen am 29.10.2020).

5 https://www.land.nrw/de/pressem itteilung/neue-fassung-der-corona-schutzverordnung-mit-weiteren-erleichterungen-gilt-ab (abgerufen am 29.10.2020).

6 https://www.tagesschau.de/inland/lockdown-guetersloh-103.html (abgerufen am 29.10.2020).

7 https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/nrw-l%c3%a4sst-lockdown-in-warendorf-enden-g%c3%bctersloh-bleibt-aber/ar-BB166wQP?ocid=iehp (abgerufen am 29.10.2020).

8 https://www.welt.de/politik/deutschland/article211119005/Nordrhein-Westfalen-Gericht-hebt-Corona-Einschraenkungen-im-Kreis-Guetersloh-auf.html (abgerufen am 29.10.2020).

9 https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19#RT-PCR-Test.

10 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krisengipfel-beschliesst-massive-einschraenkungen-ab-montag-a-da1173bc-9728-4930-9eef-92975f075210 (abgerufen am 29.10.2020)

11 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/das-bedeutet-der-corona-shutdown-fuer-die-justiz-a-2d735622-8d03-4d10-ade9-73875e3375c8 (abgerufen am 29.10.2020).

12 Vgl. etwa Vosgerau, Was jetzt geschehen muß, in: Junge Freiheit Nr. 44, 23. Oktober 2020, S. 2 (https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2020/verfassung-und-corona/) und bereits Volkmann, NJW 2020, 3153 ff.

13 https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-lockdown-justiz-1.5095987 (abgerufen am 29.10.2020).

14 https://www.lto.de/recht/juristen/b/umfrage-rechtsanwaelte-wirtschaftliche-situation-corona-brak-digitalisierung-justiz-kaum-virtuelle-gerichtsverhandlungen/ (abgerufen am 29.10.2020).