Reichsbürger und Selbstverwalter

Kleine Anfrage
vom 01.08.2018

Kleine Anfrage 1342des Abgeordneten Thomas Röckemann vom 24.07.2018

 

Reichsbürger und Selbstverwalter

Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2017 ist ein ausführlicher Bericht über die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter enthalten.

So wird ausgeführt: Oftmals verlangen sie von Kommunen den sogenannten „gelben Schein“: Dieses amtliche Dokument ist der Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland, mit dem der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dokumentiert wird und das nur in seltenen Fällen als ein über den Personalausweis hinausgehender Beleg der deutschen Staatsbürgerschaft benötigt wird. In der Reichsbürger-Szene kursiert hingegen die Behauptung, das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in seiner Fassung vom 22. Juli 1913 sei unverändert gültig. Daher müsse man, um der Staatenlosigkeit und dem damit einhergehenden „Sklavenstatus“ zu entgehen, nach den damaligen Gesetzen einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragen.

Ebenfalls wird im Verfassungsschutzbericht auf strafrechtliche Auffälligkeiten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern im Umgang mit Vollziehungsbeamten durch passive Widerstandshandlungen bis hin zu Körperverletzung verwiesen. Als Beispiele werden dabei vor allem Fälle aus anderen Bundesländern aufgeführt.

Des Weiteren wird in einer Broschüre des Innenministeriums für Beschäftigte in öffentlichen Stellen des Landes Nordrhein-Westfalen auf die Herstellung eigener hoheitlicher Symbole, wie etwa Ausweise oder Kennzeichen verwiesen1: Sie weisen zum Teil eigene „Hoheitsgebiete“ durch Fahnen oder ähnliche Symbole aus, führen eine eigene Währung ein, entwerfen eigene Pässe und nutzen eigene Kfz-Kennzeichen. Die Verwendung dieser Phantasie-Kennzeichen stellt auf öffentlichen Straßen eine Straftat (Urkundenfälschung) dar.

In derselben Handreichung werden die Beschäftigten der öffentlichen Stellen auf die Möglichkeit der Gewährung von Rechtsschutz durch den Dienstherrn auf der Grundlage des Gemeinsamen Runderlasses des Innenministeriums und des Finanzministeriums vom 7. Juli 2008 (MBl. NRW. 2008 S. 376) verwiesen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Zu wie vielen tätlichen Angriffen auf Beschäftigte öffentlicher Stellen, wie bspw. Mitarbeiter in Bürgerbüros, Justizbeamte oder Polizisten kam es 2017? (Bitte aufschlüsseln nach Angriffe insgesamt und Angriffe durch Reichsbürger)

2. Wie oft wurde im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen der Staatsangehörigkeitsausweis beantragt? (Bitte aufschlüsseln nach Anträge insgesamt und Anträge durch Reichsbürger)

3. Zu wie vielen Fällen der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Reichsbürgern oder Selbstverwaltern kam es in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017?

4. In wie vielen Fällen wurde Beschäftigten des Landes Nordrhein-Westfalen Rechtsschutz auf der Grundlage des Gemeinsamen Runderlasses des Innenministeriums und des Finanzministeriums vom 7. Juli 2008 (MBl. NRW. 2008 S. 376) gewährt? (Bitte aufschlüsseln nach Fällen insgesamt und Fällen im Zusammenhang mit Reichsbürgern)

5. Welchen Wortlaut hat die im Mai 2017 veröffentlichte „Handreichung zum Umgang mit schwierigen Verfahrensbeteiligten“ des Justizministeriums?

Thomas Röckemann

 

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1 https://www.im.nrw/sites/default/files/media/document/file/Brosch%C3%BCre_Reichsbuerger.pdf


Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 24.08.2018

 

Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1342 mit Schreiben vom 24. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flücht­linge und Integration, dem Minister der Finanzen sowie dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheit­lich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.

Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Ent­scheidungen richten
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerk­male, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsor­gane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus­wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde
  • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörig­keit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äuße­ren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres ge­sellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammen­hang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.

Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105­108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungs-zusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

1. Zu wie vielen tätlichen Angriffen auf Beschäftigte öffentlicher Stellen, wie bspw. Mitarbeiter in Bürgerbüros, Justizbeamte oder Polizisten kam es 2017? (Bitte auf­schlüsseln nach Angriffe insgesamt und Angriffe durch Reichsbürger)

Im KPMD-PMK werden Straftaten im Zusammenhang mit öffentlichen Stellen nicht gesondert erfasst. Im Jahr 2017 wurden dem Unterthema „Polizei“ 210 Straftaten zugeordnet. Vier dieser Straftaten stehen im Zusammenhang mit der sog. Reichsbürgerbewegung. Dem Unterthema „Justiz“ wurden 2017 sieben Gewaltdelikte zugeordnet, von denen fünf durch „Reichsbürger“ begangen wurden.

Weitere Daten bitte ich den Anlagen 1 – 4 zu entnehmen.

2. Wie oft wurde im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen der Staatsangehörigkeitsaus­weis beantragt? (Bitte aufschlüsseln nach Anträge insgesamt und Anträge durch Reichsbürger)

Ein Staatsangehörigkeitsausweis wird gem. § 30 Abs. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz durch die Staatsangehörigkeitsbehörde ausgestellt, wenn das Bestehen der deutschen Staatsangehö­rigkeit auf Antrag festgestellt wurde. Die Zahl der Anträge auf Durchführung eines Staatsan-gehörigkeitsfeststellungsverfahrens gem. § 30 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz wird statis­tisch nicht erfasst.

3. Zu wie vielen Fällen der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Reichsbürgern oder Selbstverwaltern kam es in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017?

Im KPMD-PMK wurden für das Jahr 2017 insgesamt drei Urkundenfälschungen im Zusam­menhang mit der sog. Reichsbürgerbewegung erfasst.

4. In wie vielen Fällen wurde Beschäftigten des Landes Nordrhein-Westfalen Rechts­schutz auf der Grundlage des Gemeinsamen Runderlasses des Innenministeriums und des Finanzministeriums vom 7. Juli 2008 (MBl. NRW. 2008 S. 376) gewährt? (Bitte aufschlüsseln nach Fällen insgesamt und Fällen im Zusammenhang mit Reichsbürgern)

Eine zentrale Erfassung von Fällen, in denen Beschäftigten des Landes Nordrhein-Westfalen Rechtsschutz auf der Grundlage des o.g. Runderlasses gewährt wurde, erfolgt nicht. Entspre­chende Daten liegen nicht vor.

5. Welchen Wortlaut hat die im Mai 2017 veröffentlichte „Handreichung zum Umgang mit schwierigen Verfahrensbeteiligten“ des Justizministeriums?

Die im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz im Mai 2017 veröffentlichte „Handrei­chung zum Umgang mit schwierigen Verfahrensbeteiligten“ ist ein internes Papier der Justiz­verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen. Es dient dazu, den Beschäftigten des Geschäfts­bereichs Handlungsempfehlungen zu geben. Vor diesem Hintergrund sind eine Weitergabe und Veröffentlichung der Handreichung nicht angezeigt. Die Handreichung beschreibt in ihrem ersten Teil die „Reichsbürgerbewegung“ sowie typische Handlungs- und Argumentationsmus­ter.

In den folgenden Teilen werden situationsbezogene Handlungs-empfehlungen bspw. für den Schriftwechsel, telefonische Kontakte oder Gerichtsverhandlungen gegeben. Auch für die mit Vollstreckungshandlungen betrauten Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher sind Handlungsempfehlungen enthalten. So wird insbesondere auf den Gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums – 2344 – Z. 221 -, des Finanzministeriums – Az. S 0500 – 74/5 – VA3 – und des Ministeriums für Inneres – 402 – 57.01.48 – vom 12. Mai 2014 zur „Zusammenarbeit zwischen Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern beziehungsweise Vollziehungsbe­amtinnen und Vollziehungsbeamten und der Polizei“ hingewiesen.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der von Mitgliedern der „Reichsbürgerbewegung“ mehr­fach versuchten Geltendmachung fiktiver Forderungen unter Ausnutzung ausländischer Ein­richtungen (sog. Malta-Masche). Hierbei werden Möglichkeiten aufgezeigt, etwa im UCC-Re-gister (Uniform Commercial Code, Schuldnerverzeichnis des Washington State Departments) vorgenommene Eintragungen aufzufinden und löschen zu lassen. Soweit gerichtliche Verfah­ren erforderlich sind, kann Beschäftigten unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsschutz durch den Dienstherrn gewährt werden. Auf diese Möglichkeit wird ebenfalls hingewiesen.

 

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