Kleine Anfrage 48
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 29.06.2022
Umsetzung der EU-Massenzustromrichtlinie in Bezug auf Ukraine-Flüchtlinge mit nichtukrainischer Staatsangehörigkeit
Die Inkraftsetzung der EU-Massenzustrom-Richtlinie in Bezug auf Ukraine-Flüchtlinge am 03.03.2022 hatte zunächst einmal keinen Einfluss darauf, dass ukrainische Staatsangehörige mit Passnachweis (biometrisch oder nicht) visumfrei einreisen und sich zunächst 90 bzw. 180 Tage visumfrei und ohne polizeiliche Registrierung in Deutschland aufhalten können. Eine polizeiliche Registrierung kann erfolgen, muss aber nicht.
Nach dem Durchführungsbeschluss der EU vom 4. März 2022 haben Anspruch auf die Gewährung vorübergehenden Schutzes nach § 24 AufenthG:
- ukrainische Staatsangehörige,
- andere Drittstaater, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz hatten.
- andere Drittstaater mit einem gültigen unbefristeten Aufenthaltstitel der Ukraine.
Keinen Anspruch haben grundsätzlich Drittstaater, die einen (nur) befristeten Aufenthaltstitel der Ukraine besitzen; diesen „können“ die Mitgliedsstaaten allerdings Schutz gewähren, wovon Deutschland offenkundig Gebrauch macht. Betroffen sind dabei vor allem Studenten und Arbeitnehmer.
Deutschland gewährt auf dieser Grundlage nicht-ukrainischen Drittstaatsangehörigen vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG, wenn
– diese sich am 24. Februar 2022 nachweislich rechtmäßig (also mit befristetem oder unbefristetem Aufenthaltstitel) in der Ukraine aufgehalten haben
– und diese nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können
– und sie nicht nur zu einem vorübergehenden Kurzaufenthalt in der Ukraine waren.1
Einzelheiten sind festgelegt im Schreiben des BMI vom 14.03.2022 „Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes“ an die Ministerien der Länder.2 Darin heißt es, dass die Identität der Betroffenen „sorgfältig zu prüfen“ ist.
Ergänzend befreit die am 7. März 2022 vom Bundesinnenministerium erlassene „Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung – UkraineAufenthÜV)“ Ausländer, die sich am 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben, bis zum 23.05.2022 vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels, hier wohl gemeint nach § 24 AufenthG.
Eine behördliche Registrierung soll erfolgen, da dies die Versorgung mit Sozialleistungen für Menschen, die unter die Massenzustrom-Richtlinie fallen, gewährleistet.
Die Thematik der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist von jener der illegalen und missbräuchlichen Asylzuwanderung und der dazugehörigen Untätigkeit staatlicher Stellen leider nicht zu trennen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei hat der Bundesinnenministerin verheerende Versäumnisse an den Grenzen auf Kosten der Sicherheit und der Missbrauchsverhinderung vorgeworfen3:
„Ein großer Anteil der aus der Ukraine Geflüchteten besitzt keine ukrainische Staatsangehörigkeit. Es handelt sich um Drittstaatsbürger aus Regionen außerhalb der EU mit einem Aufenthaltstitel für die Ukraine. Diese Menschen müssen eigentlich das Asylverfahren einschließlich Identitätsfeststellung durchlaufen.“
Es besteht der begründete Verdacht, dass auch Personen ohne Voraufenthalt in der Ukraine die massiven Flüchtlingsströme nach Deutschland nutzen, um quasi im Schlepptau der ukrainischen Kriegsflüchtigen nach Deutschland einzudringen und sich ggf. sogar als Ukrainer auszugeben. Dies hätte gegenüber dem Status als Asylbewerber enorme Vorteile in Hinblick auf Arbeitsmöglichkeiten, materielle Unterstützung, Unterbringung u.a.
Auch der bayerische Innenminister Herrmann warnte bereits vor Trittbrettfahrern und weltweiten Pull-Effekten, wenn die Grenzen weiterhin ungeschützt bleiben.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Mit welchen Maßnahmen stellte die Landesregierung seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie sicher, dass im Nachgang der Registrierung und Erstaufnahme nur Personen in den Genuss der erleichterten Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge gelangen, die dazu auch berechtigt sind, also ukrainische Staatsangehörige und sich zuvor legal in der Ukraine aufhaltende Drittstaater?
- Mit welchen Maßnahmen gedenkt die Landesregierung zukünftig eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Privilegien gemäß der EU-Massenzustromrichtlinie für Nicht-Ukrainer zu verhindern?
- In welchem Umfang wurde seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie konsequent geprüft, ob Drittstaater, die sich in der Ukraine rechtmäßig aufgehalten haben, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können?
- In welchem Umfang wurden seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie ausreisewillige Drittstaater mit einem bisherigen Legalaufenthalt in der Ukraine bei der Ausreise in ihr Heimatland finanziell und organisatorisch unterstützt?
- Wie wurde mit Personen verfahren, die begünstigt durch weitgehend ungesicherte EU-Binnengrenzen mit einem Kontingent ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Nordrhein-Westfalen ankamen, sich dann aber als Nicht-Ukrainer offenbarten und Asyl beantragten?
Enxhi Seli-Zacharias
1 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/ministerium/ukraine-krieg/faq-liste-ukraine-krieg.html, abgerufen 21.03.2022
2 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/ukraine/beschluss-4-maerz-2022-ukraine.pdf?__blob=publicationFile&v=4, abgerufen 21.03.22
3 https://www.nzz.ch/international/fluechtlinge-aus-der-ukraine-bundespolizei-kritisiert-kontrollverlust-ld.1674072, abgerufen am 21.03.22
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 48 mit Schreiben vom 5. August 2022 im Einvernehmen mit dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien namens der Landesregierung beantwortet.
- Mit welchen Maßnahmen stellte die Landesregierung seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie sicher, dass im Nachgang der Registrierung und Erstaufnahme nur Personen in den Genuss der erleichterten Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge gelangen, die dazu auch berechtigt sind, also ukrainische Staatsangehörige und sich zuvor legal in der Ukraine aufhaltende Drittstaater?
- Mit welchen Maßnahmen gedenkt die Landesregierung zukünftig eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Privilegien gemäß der EU-Massenzustromrichtlinie für Nicht-Ukrainer zu verhindern?
- In welchem Umfang wurde seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie konsequent geprüft, ob Drittstaater, die sich in der Ukraine rechtmäßig aufgehalten haben, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können?
Die Fragen 1 – 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die sogenannte EU-Massenzustromrichtlinie (RL 2001/55/EG) ist aufenthaltsrechtlich in der bundesgesetzlichen Regelung des § 24 AufenthG umgesetzt. Die für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen zuständigen Ausländerbehörden setzen den auf Grundlage der EU-Richtlinie 2001/55/EG am 04.03.2022 erlassenen Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union im Rahmen der bundesgesetzlichen Vorschriften um. Die Personen, die die Voraussetzungen des § 24 AufenthG erfüllen, erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, während die Personen, die die Voraussetzungen des o.g. Durchführungsbeschlusses nicht erfüllen, keinen vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhalten.
- In welchem Umfang wurden seit dem Beginn der Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie ausreisewillige Drittstaater mit einem bisherigen Legalaufenthalt in der Ukraine bei der Ausreise in ihr Heimatland finanziell und organisatorisch unterstützt?
Alle (nicht-ukrainischen) Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine, die die Ukraine im Zuge des Krieges verlassen haben und seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist und behördlich erfasst sind, können seit dem 19. April 2022 eine Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung erhalten. Weitere Voraussetzung ist, dass diesen Personen keine eigenen Mittel zur Ausreise zur Verfügung stehen. Dies gilt unabhängig vom Aufenthaltsstatus (unbefristet/befristet/unbekannt), den diese Personen zuvor in der Ukraine hatten.
Im April 2022 wurde nach Auskunft der Internationalen Organisation für Migration (IOM) keine dem vorgenannten Personenkreis zugehörige Person im Rahmen des REAG-/GARP-Programmes gefördert, im Mai 2022 vier Personen aus Nordrhein-Westfalen (bundesweit: 47 Personen). Aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor.
- Wie wurde mit Personen verfahren, die begünstigt durch weitgehend ungesicherte EU-Binnengrenzen mit einem Kontingent ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Nordrhein-Westfalen ankamen, sich dann aber als Nicht-Ukrainer offenbarten und Asyl beantragten?
Personen, die in Nordrhein-Westfalen Asyl beantragen, durchlaufen wie alle Asylantragstellerinnen und Asylantragsteller das Asylregelverfahren.