Kleine Anfrage 3065
der Abgeordneten Christian Loose, Klaus Esser, Dr. Hartmut Beucker AfD
Corona-Soforthilfen – Wo bleibt die Gerechtigkeit für die Selbstständigen und Unternehmen mit rechtlich bedenklichen, aber finalen Schlussbescheiden?
Das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat mit der Vorlage 18/1990 erläutert, dass ca. 283.000 Schlussbescheide als bestandskräftig angesehen werden und nicht einer erneuten Prüfung unterzogen werden. Bei diesen Schlussbescheiden haben die Antragsteller im Verfahren grundsätzlich mit den Bezirksregierungen kommuniziert.
Ca. 57.000 Antragsteller haben bisher jedoch überhaupt nicht mit den Bezirksregierungen kommuniziert. Die Bescheide dieser ca. 57.000 Antragsteller sollen nun jedoch überprüft werden, ebenso wie die ca. 22.000 Antragsteller, die eine Rückmeldung abgegeben haben, aber aufgrund des Gerichtsverfahrens keinen Schlussbescheid erhielten.
Das OVG hat das damalige Rückmeldeverfahren und die darauf fußenden Schlussbescheide als rechtswidrig eingestuft. Das Gericht hat daraufhin Bedingungen für die Rechtmäßigkeit erstellt. Diese orientieren sich vor allen Dingen an den Veröffentlichungen im FAQ des damaligen Wirtschaftsministeriums.
Demnach müssen die Antragsteller und die daraus resultierenden Forderungen grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung differenziert werden:1
Typ1/Zeitraum 1: Anträge vor dem 01. April 2020 um 13.30 Uhr
Typ2/Zeitraum 2: Anträge zwischen dem 01. April 2020 13.30 Uhr und 30. April 2020 24.00 Uhr
Typ3/Zeitraum 3: Anträge ab dem 01. Mai 2020
Für die drei Antragszeiträume wurden vom OVG drei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gesetzt:
Typ 1: Wahl zwischen 2.000 Euro fiktivem Unternehmerlohn oder Spitzabrechnung
Typ 2: Möglichkeit von pauschal 2.000 Euro als fiktivem Unternehmerlohn
Typ 3: kein Anspruch auf fiktiven Unternehmerlohn zur Deckung der privaten Lebenshaltungskosten
Nach den derzeitigen Aussagen der Landesregierung werden die Antragsteller, die bisher am Rückmeldeverfahren gar nicht teilgenommen haben, gegenüber den Antragstellern, die sich redlich am Verfahren beteiligt haben, aber nicht geklagt hatten, bevorzugt behandelt.2
Deshalb fragen wir die Landesregierung:
- Inwiefern hält die Landesregierung eine Bevorzugung der Antragsteller, die bisher nicht am Rückmeldeverfahren teilgenommen haben, gegenüber den Antragstellern, die am Rückmeldeverfahren teilgenommen, aber nicht geklagt haben, für sachgerecht?
- Wie teilen sich die ca. 283.000 Antragsteller, deren Schlussbescheide die Landesregierung nicht überprüfen möchte, in die Kategorien je nach Antragszeitraum (Typ 1, 2 oder 3) auf?
- Wie viele der ca. 283.000 Antragsteller, deren Schlussbescheide die Landesregierung nicht überprüfen möchte, würden sich bei Anwendung der Vorgaben vom 17.03.2023 bei Wahl des Unternehmerlohns von 2.000 Euro gegenüber den bisherigen Schlussbescheiden besserstellen? (Bitte nach Typ 1 und Typ 2 aufteilen)
- Welche Gesamtsumme würde sich als Auszahlung an die Antragsteller ergeben, wenn die Landesregierung die 283.000 Schlussbescheide doch neu prüfen würde und alle Antragsteller pauschal die Wahlmöglichkeit des fiktiven Unternehmerlohns von 2.000 Euro wählen würden? (bitte nach Typ 1 und Typ 2 aufteilen)
- Welche rechtlichen Hürden sieht die Landesregierung konkret, die aus ihrer Sicht ein erneutes Prüfen der 283.000 Schlussbescheide verhindern?
Christian Loose
Klaus Esser
Dr. Hartmut Beucker
1 Vgl. Ausführungen der Landesregierung gem. Vorlage 18/1990, Seite 4. https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-1990.pdf
2 Dies ergibt sich aus Vorlage 18/1990, Seite 5 („Mit Kabinettbeschluss vom 14. März 2023 hat die Landesregierung entschieden, die ca. 283.000 bestandskräftigen Schlussbescheide aufrechtzuerhalten, so dass diese Verfahren endgültig abgeschlossen sind.“).
Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 3065 mit Schreiben vom 15. Januar 2024 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die NRW-Soforthilfe 2020 ist mit rund 430.000 Empfängerinnen und Empfängern sowie ausgezahlten Zuschüssen in Höhe von mehr als 4,5 Milliarden Euro das größte Hilfsprogramm in der nordrhein-westfälischen Landesgeschichte. Die Bezirksregierungen haben seit Dezember 2020 rund 283.000 Schlussbescheide erlassen. Davon ist in rund 225.000 Fällen eine (Teil-)Rückforderung der Soforthilfe ergangen, sofern der von den Soforthilfeempfangenden in einem digitalen Rückmeldeverfahren ermittelte Liquiditätsengpass niedriger als die ausgezahlte Soforthilfe war.
Gegen die Schlussbescheide haben rund 2.500 Soforthilfeempfangende Klage vor den Verwaltungsgerichten erhoben. Die Schlussbescheide, bei denen die Soforthilfeempfangenden keine Klage erhoben haben, sind bestandskräftig geworden, d. h. sie können nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden.
Nach den erstinstanzlichen Urteilen im Jahr 2022 und den drei Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17. März 2023 wurde vielfach die Forderung an das Land gerichtet, bestandskräftige Schlussbescheide nachträglich aufzuheben, bereits zurückgezahlte Beträge zu erstatten oder ein Zahlungsmoratorium einzusetzen.
Den Soforthilfeempfängerinnen und -empfängern verblieben die Mittel der Soforthilfe in ursprünglich gewährter Höhe durch die mehrfach bis zum 30. November 2023 verlängerte Frist für ihre (Teil-)Rückzahlung zinslos für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren. Zwischenzeitlich sind bis auf Einzelfälle nahezu alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten erledigt worden.
- Inwiefern hält die Landesregierung eine Bevorzugung der Antragsteller, die bisher nicht am Rückmeldeverfahren teilgenommen haben, gegenüber den Antragstellern, die am Rückmeldeverfahren teilgenommen, aber nicht geklagt haben, für sachgerecht?
Das Rückmeldeverfahren für die NRW-Soforthilfe 2020 ist bislang nicht abgeschlossen. Auf Grundlage der durch das Oberverwaltungsgericht Münster in seinen Urteilen vom 17. März 2023 aufgezeigten Hinweise wird aktuell das neue Rückmeldeverfahren konzipiert und in ein digitales Verfahren übersetzt. Antragstellende, die bisher keine Rückmeldung abgegeben haben, werden im Rahmen des neuen Rückmeldeverfahrens erneut angeschrieben. Ohne Rückmeldung ist davon auszugehen, dass im Förderzeitraum kein bezifferter Liquiditätsengpass vorlag. In diesem Fall lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vor.
- Wie teilen sich die ca. 283.000 Antragsteller, deren Schlussbescheide die Landesregierung nicht überprüfen möchte, in die Kategorien je nach Antragszeitraum (Typ 1, 2 oder 3) auf?
Die Schlussbescheide, bei denen die Soforthilfe-Empfängerinnen und -Empfänger keine Klage erhoben haben, sind bestandskräftig geworden. Das bedeutet, dass sie nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können.
Die in der Frage erbetene Auswertung zu dem Zeitpunkt der Antragstellung der Soforthilfe-Empfängerinnen und -Empfänger, deren Schlussbescheid bestandskräftig ist, würde eine Auswertung der Anträge mit Schlussbescheiden durch die Bezirksregierungen erfordern. Diese ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich
- Wie viele der ca. 283.000 Antragsteller, deren Schlussbescheide die Landesregierung nicht überprüfen möchte, würden sich bei Anwendung der Vorgaben vom 17.03.2023 bei Wahl des Unternehmerlohns von 2.000 Euro gegenüber den bisherigen Schlussbescheiden besserstellen? (Bitte nach Typ 1 und Typ 2 aufteilen)
- Welche Gesamtsumme würde sich als Auszahlung an die Antragsteller ergeben, wenn die Landesregierung die 283.000 Schlussbescheide doch neu prüfen würde und alle Antragsteller pauschal die Wahlmöglichkeit des fiktiven Unternehmerlohns von 2.000 Euro wählen würden? (bitte nach Typ 1 und Typ 2 aufteilen)
Die Fragen 3 und 4 werden auf Grund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die in den Fragen 3 und 4 erbetene Auswertung würde eine Auswertung der Anträge mit Schlussbescheiden durch die Bezirksregierungen erfordern. Diese ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.
Bei der Frage, ob die NRW-Soforthilfe 2020 auch für Lebenshaltungskosten genutzt werden konnte, gab es im Frühjahr 2020 nach wenigen Tagen eine Anpassung an die Vorgaben des Bundes. Nach der Auffassung der Länder sollte dies den Betroffenen ermöglicht werden, um insbesondere Kleinunternehmerinnen und -unternehmern sowie Soloselbstständige mit geringen betrieblichen Fixkosten zu entlasten. Dies hatte der Bund abgelehnt. Nach Auffassung der Landesregierung durfte den Betroffenen daraus jedoch kein Nachteil entstehen, weshalb Nordrhein-Westfalen es Soloselbstständigen, Freiberuflerinnen und Freiberuflern sowie im Unternehmen tätigen Inhaberinnen und Inhabern von Einzelunternehmen und Personengesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht hat, im Rahmen einer Vertrauensschutzlösung einmalig einen Betrag von 2.000 Euro für die Monate März und April 2020 für Lebenshaltungskosten bzw. einen (fiktiven) Unternehmerlohn anzusetzen. Dies zeigt im Übrigen, dass den Soforthilfe-Empfangenden nunmehr nicht etwa eine Belastung entsteht, sondern dass sie aus der Soforthilfe und aufgrund der NRW-Vertrauensschutzlösung eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erhalten und bei Bedarf auch behalten können.
Alle Soforthilfe-Empfängerinnen und -Empfänger, deren Schlussbescheid bestandskräftig ist, hatten im damaligen Rückmeldeverfahren bei Vorliegen der Voraussetzungen die Möglichkeit, einmalig pauschal einen Betrag von 2.000 Euro für die Monate März und April 2020 für Lebenshaltungskosten geltend zu machen.
Im neuen Rückmeldeverfahren werden die Soforthilfe-Empfangenden, wenn sie dies einer Pauschale vorziehen, im Wege einer Spitzabrechnung die Ausgaben für Lebenshaltungskosten konkret angeben können und nach Prüfung durch die Bezirksregierungen im Einzelfall eine Förderung über diesen Betrag erhalten. Aufgrund der bisherigen pauschalen Gewährung des fiktiven Unternehmerlohns liegen keine Angaben zu der konkreten Höhe der Lebenshaltungskosten aus dem alten Rückmeldeverfahren vor, so dass derzeit nicht beziffert werden kann, in wie vielen Fällen eine Besserstellung eintreten und auf welchen Betrag sie sich gegebenenfalls belaufen könnte.
- Welche rechtlichen Hürden sieht die Landesregierung konkret, die aus ihrer Sicht ein erneutes Prüfen der 283.000 Schlussbescheide verhindern?
Mit Kabinettbeschluss vom 14. März 2023 hat die Landesregierung entschieden, die bestandskräftigen Schlussbescheide in der NRW-Soforthilfe 2020 aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung erging aus allgemein rechtlichen und haushaltsrechtlichen Erwägungen. Die Soforthilfe-Empfängerinnen und -Empfänger mit bestandskräftigen Schlussbescheiden haben keinen Anspruch darauf, dass ihr Schlussbescheid nachträglich im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens gemäß § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen aufgehoben wird. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und damit ein Durchbrechen der Bestandskraft eines Verwaltungsakts kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, wenn z.B. jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre. Der Zweck der Bestandskraft liegt in der Wahrung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Aufrechterhaltung zwar rechtswidriger, aber bestandskräftiger Bescheide wird deshalb von der Rechtsprechung regelmäßig bestätigt. Alle Soforthilfe-Empfängerinnen und -Empfänger hatten bei gleicher Ausgangslage die Möglichkeit, gegen eine per Schlussbescheid ergangene Rückforderung Klage zu erheben. Sofern sie davon keinen Gebrauch gemacht haben, ist ihnen diese Entscheidung zuzurechnen.