Kleine Anfrage 1427
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 14.02.2023
„Aktueller Sachstandsbericht zur Zuweisung, Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen“ – Ignoriert auch die Ministerin für Integration und Flucht in NRW die Hilferufe aus den Kommunen?
Gemäß dem Sachstandsbericht „Aktueller Sachstand zur Zuweisung, Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen“ stellten im Jahr 2022 insgesamt 64.246 nach NRW verteilte Personen erstmals ein Asylgesuch oder – in Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie – ein Schutzgesuch nach § 24 AufenthG (Ukraine-Flüchtlinge).1
Dabei entfielen 34.973 Personen (54 %) auf Asylverfahren und 29.273 Personen (46 %) auf Verfahren nach § 24 AufenthG. Zum Stichtag 10.01.2023 waren insgesamt 22.321 Personen in einer Landeseinrichtung untergebracht. Geplant sei ein Ausbau von 28.695 auf 34.500 Plätze bis März 2023, weitere 9.900 Plätze seien in Prüfung.2 Dies entspricht folglich einer Aufstockung um 5.805 bzw. 15.705 Plätze.
Betrachtet man die Zugangszahlen des Jahres 2022 von durchschnittlich 176 Personen pro Tag, reicht diese Kapazitätsaufstockung in den Landeseinrichtungen für umgerechnet 32 bzw. 89 Tage. Hier scheint also nicht die Lösung des Unterbringungsproblems zu liegen. Der wenig hilfreiche Aktionismus der Landesregierung verschiebt folglich das Problem lediglich um maximal ein Quartal nach hinten.
Das Grundproblem liegt darin, dass der kommunale Wohnungsmarkt im Jahre 8 der Willkommenspolitik leergefegt ist. Das führt dazu, dass erneut verstärkt auf Turnhallen, Zelte oder Container zurückgegriffen werden muss.
Wenig überraschend kommen daher immer lautere Hilferufe aus den Kommunen. In einer Depesche aus dem hessischen Main-Taunus-Kreis, unterzeichnet vom Landrat und zahlreichen Bürgermeistern, an den Bundeskanzler heißt es u.a.:
„Wir sehen auch die zusätzlichen finanziellen Hilfen durch Bund und Land; diese sind bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der Menschen aber nur ein Teilaspekt. […] Bei immer weiter wachsenden Fluchtbewegungen sind unsere Kapazitäten endlich. Schon heute finden viele ansässige Familien nur noch sehr schwer adäquaten Wohnraum, diese Lage verschärft sich massiv durch die Fluchtbewegungen. Die Verteilung der Flüchtlinge trägt ihren Teil zur Verschärfung der Situation bei. […] Wie haben jedoch kaum Fläche bzw. Leerstand, welche wir für die Unterbringung heranziehen können. […] Auch bei der Betreuung, bei Schulplätzen und Integrationskursen kommen die Möglichkeiten an ihre Grenzen.“
Dieser dramatischen Zustandsbeschreibung folgt ein Appell, der einem Hilferuf gleicht:
„Steuern und begrenzen Sie den Zustrom an Flüchtlingen aktiv! Schauen Sie genau hin, wer unserer Hilfe bedarf und wer nicht! Führen Sie Menschen, die sich unrechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, auch aktiv zurück. […] Helfen Sie uns durch konsequente Anwendung von Gesetzen, um der aktuellen Lage gerecht zu werden und setzen Sie keine weiteren Anreize, sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in die Bundesrepublik zu machen.“3
Ähnliche Aussagen kamen wenig später auch vom bayerischen Landkreistag. Angesichts der hohen Zahlen von Migranten und Asylsuchenden sei ein schnelles Handeln der EU erforderlich. Die kommunale Aufnahme in Bayern und deutschlandweit sei am Limit. Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und Asylsuchende aus anderen Ländern überträfen die Zahlen des Zustroms im Jahr 2015. Die Situation sei zugespitzt.
Der Präsident des bayerischen Landkreistags bemerkte dazu: „Ohne eine spürbare Begrenzung des ungesteuerten Zugangs vor Ort wird die Integration auf kommunaler Ebene scheitern. Die Kapazitäten für die Unterbringung von Geflüchteten, die Ressourcen für die soziale Betreuung sowie die notwendigen Plätze für Kinder in Kindertageseinrichtungen und Schulen sind nahezu erschöpft.“4
Ich frage daher die Landesregierung:
- Welche Kreise bzw. Kommunen in NRW haben sich seit der Regierungsübernahme mit einem ähnlichen Hilferuf an die neue Landesregierung gewandt?
- Aus welchen Kreisen bzw. Kommunen in NRW sind Meldungen eingegangen, wonach die Aufnahmekapazitäten erschöpft bzw. nahezu erschöpft sind?
- Zusätzliche Aufnahmekapazitäten des Landes ändern nichts an der Tatsache, dass in den Kommunen auch andere Ressourcen stärker beansprucht werden. Das gilt z.B. für die Verwaltung, die Verkehrsmittel oder auch für die Schulen. In welcher Form unterstützt die Landesregierung in diesem Zusammenhang besonders betroffene Kommunen?
- Was unternimmt die Landesregierung zu Gunsten von Arbeitnehmern, Senioren, Familien, Studenten etc., die in Anbetracht eines leergefegten Wohnungsmarkts, insbesondere in den Städten, kaum noch günstigen Wohnraum finden?
- Der weitere, ungesteuerte Zustrom von Migranten, insbesondere über die sogenannte Westbalkanroute, ist kein unabwendbares Schicksal.5 Inwiefern sieht die Landesregierung einen möglichen Lösungsweg des Unterbringungsproblem darin, den weiteren Zustrom zu begrenzen, weitere Migrationsanreize6 zu vermeiden und die mehrfach angekündigte Rückführungsoffensive zu starten?
Enxhi Seli-Zacharias
1 Vgl. Lt.-Vorlage 18/753
2 Vgl. Newsletter „Entwicklung im Bereich Flucht“ vom 17.01.2023
3 Vgl. ht tps://ww w.bild.de/bi ld-plus/politik/inland/politik-inland/bra nd-brief-an-die-bundesregierung-begrenzen-sie-den-zustrom-an-fluechtlingen-82735664.bild.html
4 Vgl. ht tps://ww w.welt.d e/politik/deuts chland/article243557155/Bayern-Landr aete-warnen-Aufnahme-von-Migranten-und-Fluechtlingen-am-Limit.html
5 Vgl. Positionspapier der Deutschen Polizeigewerkschaft
6 z.B. Bürgergeld, Bleiberechtsregelungen für geduldet Ausreisepflichtige
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1427 mit Schreiben vom 20. März 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, der Ministerin für Schule und Bildung, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet.
- Welche Kreise bzw. Kommunen in NRW haben sich seit der Regierungsübernahme mit einem ähnlichen Hilferuf an die neue Landesregierung gewandt?
- Aus welchen Kreisen bzw. Kommunen in NRW sind Meldungen eingegangen, wonach die Aufnahmekapazitäten erschöpft bzw. nahezu erschöpft sind?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Landesregierung hat bis zum 28.02.2023 aus den nachstehenden Kommunen Schreiben mit der Beschreibung von Problemen bei der Unterbringung, Versorgung und insgesamt der Zuweisung von Geflüchteten erreicht:
Schreiben der Stadt Dormagen vom 08.07.2022
Schreiben der Stadt Nideggen vom 11.08.2022
Schreiben des Kreises Borken vom 16.08.2022
Schreiben der Gemeinde Inden vom 26.08.2022
Schreiben der Kommunen des Kreises Düren vom 31.08.2022
Schreiben der Kommunen des Kreises Steinfurt vom 05.09.2022
Schreiben der Städte Rheine und Ibbenbüren vom 05.09.2022
Schreiben der Gemeinde Niederzier vom 06.09.2022
Schreiben der Gemeinde Titz vom 08.09.2022
Schreiben der Stadt Delbrück vom 14.09.2022
Schreiben des Kreises Coesfeld vom 14.09.2022
Schreiben der Gemeinde Eitorf vom 15.09.2022
Schreiben der Stadt Bochum vom 21. September 2022
Schreiben des Kreises Lippe vom 22.09.2022
Schreiben des Rheinisch-Bergischer-Kreises vom 22.09.2022
Schreiben der Kommunen des Kreises Euskirchen vom 23.09.2022
Schreiben der Kommunen des Kreises Kleve vom 29.09.2022
Schreiben der Gemeinde Nettesheim vom 30.09.2022
Schreiben der Gemeinde Wachtberg vom 09.11.2022
Schreiben der Gemeinde Swisttal vom 11.11.2022
Schreiben des Kreis Neuss vom 29.11.2022
Schreiben der Stadt Kerpen vom 01.12.2022
Schreiben der Stadt Netphen vom 06.01.2023
Schreiben der Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde vom 27.02.2023
Darüber hinaus gab und gibt es im laufenden Tagesgeschäft telefonisch oder per E-Mail entsprechende bilaterale Kontaktaufnahmen von Kommunen zu der für Zuweisungen zuständigen Bezirksregierung Arnsberg, die dort einer individuellen Lösung zugeführt werden.
- Zusätzliche Aufnahmekapazitäten des Landes ändern nichts an der Tatsache, dass in den Kommunen auch andere Ressourcen stärker beansprucht werden. Das gilt z.B. für die Verwaltung, die Verkehrsmittel oder auch für die Schulen. In welcher Form unterstützt die Landesregierung in diesem Zusammenhang besonders betroffene Kommunen?
Die Landesregierung hat in der Kabinettsitzung am 28. Februar 2023, Maßnahmen für das zweite Unterstützungspaket auf den Weg gebracht, das mit Mitteln aus dem Sondervermögen zur Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine finanziert werden soll. Rund 670 Millionen Euro sollen nun für Maßnahmen zur Krisenhilfe, Kri-senresilienz und Krisenvorsorge bereitgestellt werden. Ein großer Fokus liegt dabei auf der Unterstützung der Kommunen für die Unterbringung von Geflüchteten mit einem einmaligen Beitrag in Höhe von rund 390 Millionen Euro.
Durch das vom Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen entwickelte Rahmenkonzept zur Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung des Krieges in der Ukraine und seinen Folgen für die Schulen ist es Nordrhein-Westfalen möglich, sich mit einem breiten Spektrum von finanziellen Förderungen zu beteiligen, um die Städte, Gemeinden und Kreise im Schulbereich bei ihrer kommunalen Aufgabenerfüllung und den Investitionsmaßnahmen zu unterstützen.
Mit den Haushalten 2022 und 2023 wurden zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung geflüchteter Schülerinnen und Schüler insgesamt 4.314 zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt.
Mit dem Rahmenkonzept zur Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung des Krieges in der Ukraine und seinen Folgen für die Schulen in Nordrhein-Westfalen hat das Land sehr frühzeitig allen Akteuren alle wesentlichen Informationen strukturiert und gebündelt zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurde mit dem Erlass zur beschleunigten Aufnahme neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler an einer Schule vom 7. September 2022 weitere Handlungsmöglichkeiten gegeben, um Schulen in ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen.
- Was unternimmt die Landesregierung zu Gunsten von Arbeitnehmern, Senioren, Familien, Studenten etc., die in Anbetracht eines leergefegten Wohnungsmarkts, insbesondere in den Städten, kaum noch günstigen Wohnraum finden?
Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen investiert im laufenden Jahr 1,6 Milliarden Euro in den öffentlich geförderten Wohnungsbau. Bis 2027 stehen neun Milliarden Euro bereit. Das ist so viel Förderung wie noch nie. Damit wird mehr Wohnraum geschaffen, der für alle Menschen erschwinglich ist.
Angesichts der Aufnahme von Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2022 eine Wohnraumoffensive für Schutzsuchende ins Leben gerufen. Nähere Informationen hierzu finden sich in der „Richtlinie zur Mobilisierung von Wohnraum für die Aufnahme und Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine (RL MoWo)“.(https://www.mhkbd.nrw/sites/default/files/media/document/file/2022-05-09-rl-mowo.pdf) Mit der Förderung zur Mobilisierung von Wohnraum nimmt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen gezielt leerstehende Wohnungen in den Blick, um sie für Wohnzwecke wieder zu mobilisieren oder es können neue Wohnungen gebaut werden. Die Wohnraumoffensive für Schutzsuchende kommt damit allen Menschen in Nordrhein-Westfalen zu Gute.
- Der weitere, ungesteuerte Zustrom von Migranten, insbesondere über die sogenannte Westbalkanroute, ist kein unabwendbares Schicksal. Inwiefern sieht die Landesregierung einen möglichen Lösungsweg des Unterbringungsproblems darin, den weiteren Zustrom zu begrenzen, weitere Migrationsanreize zu vermeiden und die mehrfach angekündigte Rückführungsoffensive zu starten?
Die Herausforderungen der Unterbringung von schutzsuchenden Menschen stellt eine vielschichtige Aufgabe dar, die die Landesregierung in enger Kooperation mit der Bundesebene und den Kommunen intensiv bearbeitet. Im Zuge dessen werden unterschiedlichste Lösungsansätze verfolgt, um die Lage in den Kommunen möglichst zügig zu verbessern. Die Umsetzung der von der Regierungskoalition auf Bundesebene beschlossenen Rückführungsoffensive liegt in der Verantwortung der Bundesregierung.