Antragder AfD-Fraktion vom 10.12.2019
Akuter Brückennotstand – NRW braucht eine Offensive für Brückensanierungen
I. Ausgangslage
Die Brücken in Nordrhein-Westfalen entsprechen vielerorts nicht mehr den aktuellen Erfordernissen an Tragfähigkeit und Belastbarkeit. Bereits 2012 war der marode Zustand der Rheinbrücke in Leverkusen Anlass für den Beginn einer umfangreichen Untersuchung der Tragfähigkeit aller Brücken in Nordrhein-Westfalen, die vor 1985 errichtet worden sind. Das sind landesweit etwa 2/3 von insgesamt ca. 10.000 solcher Brückenbauwerke.1 Der damalige nordrhein-westfälische Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) bezeichnete 2016 die Brücke als „Mahnmal für den katastrophalen Zustand der deutschen Infrastruktur“. Ein solches „Mahnmal“ ist auch die Rheinbrücke „Neuenkamp“ bei Duisburg, die nach vielen Teilsanierungen und erneuten Sperrungen nun, ähnlich wie die Leverkusener Brücke, neu gebaut werden muss. Die Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion ergab, dass von rund 6.600 akut zu prüfenden Brücken bislang erst 920 tatsächlich untersucht wurden, davon wiederum 637 nicht mehr den heutigen Tragfähigkeitsbedürfnissen entsprechen und 573 Brücken definitiv durch Abriss und Neubauten ersetzt werden müssen.
Das Verkehrsministerium NRW beantwortet die Frage nach einem zumindest groben Zeit- und Kostenrahmen damit, dass „eine Erneuerung der betreffenden Brückenbauwerke innerhalb der nächsten 20 Jahre erforderlich“ wird sowie aus heutiger Sicht die Kosten für den „Ersatzneubau der 573 Brücken bei rund 7 Milliarden Euro“ liegen werden.2 Darin noch nicht eingerechnet sind die Kostensteigerungen im öffentlichen Bausektor über diese lange Zeitspanne.
Die Untersuchungen der Brückenbauwerke in Nordrhein-Westfalen schreitet nicht in der Geschwindigkeit voran, die nötig wäre, um in der Folge durch gezielte Maßnahmen die Infrastruktur gegen ihren Verfall zu erhalten. Erst 920 von ca. 6.600 Brücken, die vor 1985 gebaut worden sind, wurden untersucht. Es fehlen noch rund 5.600 Brücken – eine erhebliche Dunkelziffer!
Der derzeitige Schwerpunkt der noch laufenden Brückenuntersuchungen liegt bei den 375 Brücken der Liste der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt-Liste), die aufgrund ihres Alters, ihrer Bauweise oder der besonders hohen Verkehrsbelastung an ihre Grenzen kommen sowie auf 744 weiteren Brücken im Zuge des durch das BMVI definierten Korridornetzes3, die jedoch noch nicht vollständig geprüft wurden. Es ist demnach zu erwarten, dass in dieser Anzahl besonders priorisierter Brückenbauwerke mit einer hohen Bedeutung für die Verkehrskorridore in Nordrhein-Westfalen noch weitere Schadensfälle auftauchen werden, die nur durch Abriss und Ersatzneubau unter massiven Behinderungen der Verkehrsströme in Nordrhein-Westfalen behoben werden können.
Für eine gut funktionierende Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist eine verlässliche Verkehrsinfrastruktur eine unabdingbare Voraussetzung. Dazu gehört ein zuverlässiges Straßensystem, wobei insbesondere das Autobahnnetz einen wesentlichen Bestandteil darstellt. Nordrhein-Westfalen ist ein Transitland. Ein erheblicher Teil des Güterverkehrs, der von oder zu den großen Seehäfen in Rotterdam und Antwerpen gebracht wird, durchquert unser Bundesland auf LKW und belastet damit auch unsere Straßen und Brücken. Eine vorausschauende und weiträumige Verkehrslenkung, die bereits in unseren Nachbarländern Belgien und den Niederlanden beginnt, kann zu einer erheblichen Entlastung unserer Straßen und Brücken führen sowie Staus vermeiden.
Als im Dezember 2012 im Verlauf der Bundesautobahn A1 die Autobahnbrücke bei Leverkusen bis März 2013 für LKW über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht infolge festgestellter Brückenschäden gesperrt werden musste, wurde angesichts der massiven Auswirkungen auf den Güterverkehr schnell klar, dass neben den reinen Baukosten weitere volkswirtschaftliche Kosten in bedeutendem Umfang entstehen. Davon betroffen sind in erster Linie Fahrzeugführer, die Umleitungen, Sperrungen und damit verbundene Zeitverluste hinnehmen müssen, sowie die betroffenen Speditionen im Güterverkehr. Zudem fallen höhere Betriebs-und Kraftstoffkosten ins Gewicht, aber auch Unfälle, Lärm und Umweltwirkungen sind zu beachten.4
Die „Initiative für Verkehrsinfrastruktur e.V.“ nahm die Sperrung der A1 Rheinbrücke zum Anlass für die Beauftragung einer wissenschaftlichen Studie. In ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung kamen der beauftragte Prof. Wolfgang Sch. und Miriam M. vom „Institute for Economic Research and Consulting GmbH“ in Meerbusch zu einem eindeutigen Ergebnis: Der volkswirtschaftliche Verlust durch die Sperrung der Brücke liegt zwischen 0,5 und 1,2 Mio. Euro pro Tag. Dieser Kalkulation liegt die Annahme zugrunde, dass eine vollständige Ausweichmöglichkeit auf andere Autobahnen besteht. Sollten Umwege über Bundes- und Fernstraßen erfolgen, gilt für die A1 Rheinbrücke sogar ein täglicher Verlust in Höhe von 2,6 Mio. Euro.5
In einem anderen Fall, es ging um die Sperrung der Rheinbrücke „Neuenkamp“, bezifferte die IHK den volkswirtschaftlichen Schaden auf 1,2 Mio. Euro täglich. Bemerkenswert ist insofern auch das Ergebnis der Umfrage aus 2016 zum Thema Brückensperrung, wonach 91 Prozent der Unternehmen in und um Duisburg betroffen sind, jedes dritte davon sogar stark.6
Aktuell wurde wegen Einsturzgefahr die Theodor-Heuss-Brücke in Düsseldorf, die die Bundesstraße 7 über den Rhein führt, für LKW über 30 Tonnen gesperrt, um dem fortschreitenden Verfall und der Überlastung der Brücke Herr zu werden. Betroffen davon sind laut Stadt Düsseldorf 350 bis 700 LKW pro Tag, die nun einen Umweg in Kauf nehmen müssen und an anderen Stellen für eine Überlastung der Verkehrsinfrastruktur sorgen.7
Es sind jedoch nicht nur Autobahnbrücken betroffen, bei denen Sperrungen und Verkehrsbeschränkungen überregional und medial wahrgenommen werden. Für große Einschränkungen sorgen auch lokale Brückensperrungen, so z.B. in Ostwestfalen, wo um Lippstadt herum auf der B55 die Lippebrücke, die Lippe-Umflutbrücke und die Brücke über die K34 am Margaretensee eingeschränkt befahrbar sind und saniert werden müssen.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer maroden Infrastruktur liegen auf der Hand. Eine leistungsfähige Infrastruktur bietet neben der individuellen Mobilität auch Gewähr für die logistischen Anforderungen der Wirtschaft. Wer die Bedeutung der Verkehrswege in Nordrhein-Westfalen und ihre gesamtwirtschaftliche Funktion verkennt und die Risiken einer jahrzehntelangen Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur ausblendet, begünstigt eine Fehlentwicklung in der Form, dass unzureichende Verkehrswege zur Wachstumsbremse werden. Die Kostenanalyse am Beispiel der Leverkusener Rheinbrücke belegt eindrucksvoll die Ressourcenverschwendung infolge nicht mehr vollständig befahrbarer Brücken. Zur Abwendung weitreichender Folgen für Wirtschaft und Industrie bedarf es daher deutlich gesteigerter Investitionen in Erhalt und Ausbau der Verkehrswege.
II. Der Landtag stellt fest:
1. Brücken sind Nadelöhre der Verkehrsinfrastruktur und bedürfen einer besonderen Priorisierung in Überwachung und Instandhaltung. Dazu bedarf es einer entsprechenden personellen Zuordnung von Ingenieuren.
2. Die Verkehrspolitik der Vergangenheit und Gegenwart in Nordrhein-Westfalen war und ist nicht geeignet, den Verfall unserer Verkehrsinfrastruktur insoweit Herr zu werden, dass zumindest ein status quo erhalten werden kann. Es sind massive Investitionen in Personal und Material nötig.
3. Aufgrund nicht mehr vollständig befahrbarer Brücken werden Verkehrsteilnehmer bereits jetzt zu Umwegen gezwungen und dadurch nachhaltig Ressourcen verschwendet.
4. Bereits jetzt belasten sanierungsbedürftige Brücken den Wirtschaftsstandort NRW, reduzieren das Wachstum in NRW nachhaltig und stellen dadurch eine Gefahr für Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Attraktivität unseres Landes dar.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1. Maßnahmen zu ergreifen und auf allen politischen Ebenen Einfluss geltend zu machen, den Verkehr intelligent und großräumig zu lenken, um Staus in NRW präventiv zu vermeiden.
2. im Bezug auf die Seehäfen in Antwerpen und Rotterdam sowie die grenzüberschreitenden Güterverkehre mit einer Verkehrslenkung bereits in Belgien und den Niederlanden in Absprache mit den dortigen Regierungen zu beginnen.
3. das Baustellenmanagement zu optimieren, Baustellen zügiger zu erledigen und auf Bundesebene ihren Einfluss insbesondere bei der neu gegründeten „Die Autobahn GmbH des Bundes“ geltend zu machen.
4. eine Koordinierungsstelle auf Landesebene einzurichten, die bei allen Bauvorhaben unabhängig vom Träger mit allen beteiligten Stellen (z.B. Polizei, IHK, kommunale Politik und Wirtschaft,…etc.) einen reibungslosen Informationsfluss und eine möglichst umfassende Vorbereitung garantiert.
5. für die Untersuchung von Brückenbauwerken mehr Gelder bereitzustellen sowie die personelle Ausstattung durch Prüfingenieure zu verbessern.
6. bei der Priorisierung der Brückenneubauprojekte als Kriterien nicht nur die Standsicherheit und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer heranzuziehen, sondern darüber hinaus auch die volkswirtschaftlichen Folgeschäden einer Verkehrseinschränkung bzw. -reduktion während der Sanierungs- oder Neubauphase für eine Einordnung zu quantifizieren.
7. die finanziellen Mittel für die Sanierung und den Neubau von Brückenbauwerken in NRW landesseitig deutlich zu erhöhen. Die bisher angesetzten Mittel reichen nicht aus, um dem fortschreitenden Verfall der Infrastruktur angemessen zu begegnen.
Nic Peter Vogel
Christian Loose
Herbert Strotebeck
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://docplayer.org/43340619-Brueckensperrungen-fuer-den-schwerverkehr-auf-der-b-55-umgehung-in-lippstadt.html (abgerufen am 04.12.2019 um 15:40 Uhr)
2 Drs. 17/7083, S.2
3 Drs. 17/7083, S.2
4 https://www.verkehrsrundschau.de/nachrichten/millionenschaden-durch-brueckensperrung-1271120.html (abgerufen am 04.12.2019 um 15:41 Uhr)
5 https://www.promobilitaet.de/fileadmin/user_upload/Presse/PDF_2013/Studie_vwl_Kosten_Sperrung _Rheinbruecke_Lev_IERC_Pro_Mobilitaet.pdf (abgerufen am 04.12.2019 um 15:43 Uhr)
6 https://www.waz.de/staedte/duisburg/sperrung-der-duisburger-a40-bruecke-kostet-taeglich-millionen-id211466263.html (abgerufen am 04.12.2019 um 15:46 Uhr)
7 https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/theodor-heuss-bruecke-in-duesseldorf-abriss-oder-sperrung-fragen-und-antworten_aid-47491543 (abgerufen am 04.12.2019 um 15:55 Uhr)