Alkoholismus – wenn Prävention zu spät kommt.

Antrag
vom 04.02.2020

Antragder Fraktion vom 04.02.2020

 

Alkoholismus – wenn Prävention zu spät kommt.

I. Ausgangslage

Alkoholismus ist eines der großen Gesundheitsprobleme unserer Zeit. Ärzte und Wissen­schaftler versuchen seit langem, eine allgemein gültige Erklärung für die Ursachen der Alko­holkrankheit zu finden. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen bezeichnet Alkoholismus als Krankheit. Für die Bundesrepublik Deutschland hat das Bundessozialgericht den Alkoholismus 1968 als Krankheit anerkannt.1 Nach der Definition der Weltgesundheitsor­ganisation wird jemand als Alkoholiker bezeichnet, wenn seine Abhängigkeit vom Alkohol ei­nen solchen Grad erreicht hat, dass er deutlich seelische Störungen aufweist oder eine Beein­trächtigung seiner körperlichen und seelischen Gesundheit, seiner mitmenschlichen Bezie­hungen und seiner sozialen und wirtschaftlichen Funktionen bzw. Vorläufer einer solchen Ent­wicklung zeigt. Die Alkoholkrankheit ist weltweit das sozialmedizinische Problem Nummer 1. In Deutschland gibt es heute etwa vier Millionen behandlungsbedürftige Alkoholkranke, darun­ter sind etwa 25-30 Prozent Frauen und 10 Prozent jüngere Menschen bis zum 25. Lebensjahr. Die Zahl hat sich im Lauf der letzten 25 Jahre verzehnfacht.2 Auf der Grundlage der Daten aus dem NRW-Gesundheitssurvey 2017 liegt bei jeder fünften Frau und jedem vierten Mann ein riskanter Alkoholkonsum vor. Unter den ärztlich ambulant behandelten Personen mit einer Psychischen oder Verhaltensstörung aufgrund von Alkohol sind nach Daten der Kassenärztli­chen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe Männer mit einem Bevölkerungsanteil von 1,5 % mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen (0,6 %). Auf einem insgesamt niedrigeren Niveau kann dieser Geschlechterunterschied auch bei den stationären Behand­lungen beobachtet werden. Hier ist es 2015 zu einer stationären Behandlungshäufigkeit von 0,6 % bei den Männern und 0,2 % bei den Frauen gekommen. 2,7 % aller Krankenhausbe­handlungen von Männern in Nordrhein-Westfalen sind im Jahr 2015 auf die Diagnosen Alko­holabhängigkeit und Alkoholische Leberkrankheit zurückzuführen, insgesamt wurden rund 22.500 Frauen und 58.000 Männer aufgrund dieser Diagnosen stationär behandelt.

Die ambulant wie stationär ärztlich behandelten Suchtkranken befinden sich überwiegend im mittleren Lebensalter. Auch Daten der ambulanten Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass Patientinnen und Patienten, die wegen einer alkoholbedingten Suchterkrankung im am­bulanten Suchthilfesystem betreut werden, im Mittel 46,4 Jahre alt sind, wobei die Frauen durchschnittlich über zwei Jahre älter sind als die Männer (48 bzw. 45,6 Jahre). Drei bis vier von zehn Personen dieser Patientengruppe sind nicht erwerbstätig (Männer 43 %, Frauen 32 %).3

Zahlreiche Präventionskampagnen in Nordrhein Westfalen machen den Charakter dieser ge­fährlichen meist lebenslangen Krankheit deutlich. Für Verantwortungsvollen Umgang mit Al­kohol muss schon früh sensibilisiert werden, vor allem vor dem Hintergrund, dass der Risiko­konsum in der Altersgruppe der 18-29 Jährigen am höchsten ist.4

Wenn die Prävention jedoch nicht greift und die Grenze zwischen Genusstrinken und Krank­heit immer weiter zu schwinden scheint dauert es in der Regel noch Jahre bis Jahrzehnt bis der Alkoholkranke sich seiner Krankheit stellt und Hilfe sucht, sofern er dies überhaupt tut. Häufig ist es der Hausarzt der in erster Instanz kontaktiert wird oder der aufgrund der individu­ellen gesundheitlichen Situation die Krankheit feststellt und Therapieangebote unterbreitet. Jeder Therapie vorgelagert ist jedoch in den meisten Fällen ein körperlicher Entzug. Erst wenn dieser überstanden ist kann die eigentliche Psychotherapie begonnen werden, denn meist steht der Alkohol nicht für sich allein dar. In den meisten Fällen stellt sich der Alkoholismus in einem komplexen Zusammenspiel aus Sucherkrankund und physischen Störungen heraus, die einer ganzheitlichen Therapie bedürfen um dem Betroffenen ein Leben ohne Alkohol und dessen psychischen und physischen Folgen auf die Gesundheit zu ermöglichen.

Auch wenn sich ein Alkoholkranker dazu durchgerungen hat, sich in Behandlung zu begeben und die körperliche Entgiftung verhältnismäßig schnell geht, dauert es noch einmal etwa vier Wochen, bis er dann mit der psychologischen Entzugstherapie beginnen kann. In dieser War­tezeit kann der Vorsatz wieder dahin sein. Daran schließt sich die Reha, also die langfristige Entwöhnungstherapie an. Doch sie ist mit einigem Papierkrieg verbunden. Hier müssen erst einmal Berichte geschrieben und Maßnahmen beantragt werden, diese Bürokratie macht es nicht leichter. Auch wenn die körperliche Abhängigkeit überwunden ist, bleibt eine psychische Abhängigkeit vom Alkohol oft lange Zeit bestehen. Deshalb schließt sich an die Entzugsthera­pie die Entwöhnungsphase als längerfristige Reha-Maßnahme an. Diese dauert etwa 12 bis 16 Wochen und muss bei der Rentenversicherung beantragt werden. Voraussetzungen für den Antrag sind unter anderem ein medizinisches Gutachten. In dieser abschließenden Phase wird eine Rückkehr in den Alltag vorbereitet und der Patient entwickelt mit Hilfe von Psycholo­gen Strategien, um weiterhin abstinent leben zu können. Nicht selten führt die zeitliche Verzö­gerung der nicht aufeinander abgestimmten Maßnahmen zu einem Rückfall, häufig vergehen dann wieder Monate oder Jahre bis der Versuch eines erneuten Entzuges mit anschließender Therapie auf sich genommen wird.

In Nordrhein Westfalen sind in einem langjährigen Aufbau- und Entwicklungsprozess auf der Grundlage eines von der Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung entwickelten Kon­zeptes für die Aktion Suchtvorbeugung in vielen Kreisen und kreisfreien Städten Suchtpräven-tionsnetzwerke entstanden.5 Diese gilt es weiter auszubauen und Trägerübergreifend zu ver­netzen um Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe zukommen zu lassen. Nach dem Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen (ÖGDG NRW) gehört die Gesundheitsförderung und Prävention wie auch der Hilfen für suchtgefährdete und sucht-kranke Menschen auf örtlicher Ebene zu den originären Aufgaben der Kommunen. Hier muss das Land verstärkt unterstützen und Koordinierungsaufgaben für die Verbesserung der Ko­operation als übergeordnete Stelle übernehmen.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. trägerübergreifenden Strukturen zu schaffen und das Suchtpräventionsnetzwerk weiter auszubauen.

2. eine zentrale Stelle zu schaffen, in welcher der Betroffene bei der Beantragung zeitlich aufeinander abgestimmter Therapien unterstützt wird um den Bürokratieaufwand in die­ser so wichtigen Phase so gering wie möglich zu halten.

3. die Kommunen bei der Koordination verstärkt zu unterstützen und ein zentrales Register zu schaffen und landesweit gesundheitliche und soziale Hilfestrukturen zu implementie­ren.

4. die Entwicklung und Implementierung spezieller Beratungsstandards in der Suchthilfe voranzutreiben.

Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 BSG, 18.06.1968 – 3 RK 63/66

2 https://www.lecturio.de/lexikon/alkoholismus

3 https://www.lzg.nrw.de/ges_bericht/factsheets/psyche/alkohol/index.html

4 https://www.lzg.nrw.de/00indi/0data/04/html/0400700052017.html

5 https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/mags/landeskonzept-gegen-sucht-nordrhein-westfalen-grundsaetze-strategie-handlungsrahmen/2525