Kleine Anfrage 4346
der Abgeordneten Markus Wagner und Christian Loose AfD
Anstieg an Insolvenzen schlimmer als befürchtet – Wie steht es um den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen?
Laut Berichterstattung der Jungen Freiheit stieg die Zahl der Firmeninsolvenzen im ersten Halbjahr 2024 stärker an als zuvor durch Experten angenommen wurde. So haben allein in diesem Zeitraum bereits 162 Unternehmen mit jeweils mehr als zehn Millionen Euro Umsatz eine finanzielle Fehllage erreicht, was einen Anstieg von 41 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ausmacht. Dies stellte die Insolvenz- und Firmenberatung Falkensteg in einer Auswertung im Auftrag des „Handelsblatt“1 heraus.
Unter den Betroffenen sollen sich demzufolge namhafte Unternehmen wie FTI Touristik, Galeria Kaufhof und Esprit Holdings befinden, also ein Reiseveranstalter, eine Warenhauskette und ein Modekonzern. Im Januar 2024 soll Falkensteg noch von einem Anstieg von mehr als 30 Prozent ausgegangen sein. Der Vorsitzende der Kommission Kreditversicherung bei dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft prognostizierte im Dezember des vergangenen Jahres einen Anstieg der Insolvenzen von lediglich 10 Prozent. Mit Blick auf die tatsächlichen Fälle sind die Insolvenzzahlen also deutlich schlechter ausgefallen als zuvor befürchtet.2
Nicht nur Großkonzerne seien von diesen Entwicklungen betroffen. So habe es laut Informationen der Auskunftei Creditreform im ersten Halbjahr bereits 11.000 beantragte Insolvenzen gegeben. Dabei sollen am häufigsten Immobilienfirmen, Autozulieferer und Maschinenbauer unter solchen Unternehmen vertreten gewesen sein. Der Branchenverband der deutschen Telekommunikationsbranche Bitkom befürchtete im Mai auf Grundlage einer Umfrage, dass jedes zehnte Start-up-Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten von einer Insolvenz eingeholt wird. Nach Einschätzung eines Insolvenzverwalters gebe es außerdem schlechtere Aussichten für „angeschlagene Firmen“, die Insolvenzverfahren zu überstehen. Die „Rettungsquote“ würden sinken, da viele Investoren die „Talsohle noch nicht erreicht wähnen“3.
Dies zeigt auch der Trend des Vorjahres. So konnten von 279 Unternehmen, die von Falkensteg wegen angemeldeter Insolvenz beobachtet wurden, im ersten Halbjahr dieses Jahres nur etwa 35 Prozent gerettet werden. Vor drei Jahren sei dies noch bei 57 Prozent solcher Unternehmen geschehen. Häufige genannte Gründe für diese dramatische Situation seien immer noch die Corona-Maßnahmen, die Inflation, der Fachkräftemangel und fehlende Rohstoffe. Zusätzlich sei eine „überfordernde Bürokratie“ dafür verantwortlich, dass diese Krise eine Art Dauerzustand annimmt, was für viele bereits angeschlagene Unternehmen eine Schließung mit sich bringt. Einem Falkensteg-Partner zufolge werde dies zunehmend zu einem Problem für den Wirtschaftsstandort Deutschland.4
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele beantragte Insolvenzen gab es im ersten Halbjahr des Jahres 2024 in NRW im Vergleich zu den Vorjahren 2020 bis heute?
- Wie schwerwiegend schätzt die Landesregierung den Einfluss dieser Entwicklung bei den angemeldeten Insolvenzen auf das Leben der Bürger ein?
- Welche Gründe sieht die Landesregierung für den drastischen Anstieg an Insolvenzen, insbesondere im Hinblick auf die deutlich niedriger ausgefallenen Prognosen der Wirtschaftsanalytiker?
- Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um den steigenden Insolvenzen entgegenzuwirken?
Markus Wagner Christian Loose
1 https://jungefreiheit.de/wirtschaft/2024/zahl-der-firmen-insolvenzen-ist-hoeher-als-befuerchtet/.
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 4346 mit Schreiben vom 10. Oktober 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.
- Wie viele beantragte Insolvenzen gab es im ersten Halbjahr des Jahres 2024 in NRW im Vergleich zu den Vorjahren 2020 bis heute?
Im Kontext der Vorbemerkung zur Kleinen Anfrage werden bei der Beantwortung im Folgenden und für alle Fragen ausschließlich Unternehmensinsolvenzen betrachtet.
Information und Technik Nordrhein-Westfalen als Statistisches Landesamt hat am 12. September 2024 mitgeteilt, dass die nordrhein-westfälischen Amtsgerichte im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 2.722 Unternehmensinsolvenzen gemeldet haben. Die Zahl der gemeldeten Unternehmensinsolvenzen lag damit um 3,2 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019 (Januar bis Juni 2019: 2.811 gemeldete Unternehmensinsolvenzen). Im ersten Halbjahr 2020 wurden 2.399 Unternehmensinsolvenzen gemeldet (1. HJ 2021: 2.111, 1. HJ 2022: 1.805, 1. HJ 2023: 2.160).
- Wie schwerwiegend schätzt die Landesregierung den Einfluss dieser Entwicklung bei den angemeldeten Insolvenzen auf das Leben der Bürger ein?
Die Insolvenz eines Unternehmens kann unterschiedliche Ursachen haben und ist nicht in allen Fällen gleichbedeutend mit der Abwicklung eines Unternehmens. Insbesondere größere Unternehmen nutzen Insolvenzen zunehmend als Sanierungsmöglichkeit. Insofern ergeben sich aus einem Anstieg von Unternehmensinsolvenzen nicht unbedingt direkt messbare Auswirkungen auf alle Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens. Jeder Arbeitsplatzverlust ist für die betroffenen Menschen und ihre Familien dennoch eine schwere Belastung.
Mit der Zahlung von Insolvenzgeld für einen maximal dreimonatigen Zeitraum vor dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit, die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen einer Insolvenz für Arbeitnehmer/-innen abzudämpfen. Insolvenz-geld wird von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt und von den Arbeitgeber/-innen durch Zahlung einer Umlage finanziert.
Hat ein Unternehmen keine Fortführungsperspektive oder wird die Fortführung nicht mit der gesamten Belegschaft möglich sein, droht individuell Arbeitslosigkeit. Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt werden vor allem von den individuellen Kenntnissen und Fertigkeiten geprägt. Durch die Förderung von Transfergesellschaften unterstützt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Übergang von Beschäftigten in neue Arbeit und verhindert Arbeitslosigkeit.
- Welche Gründe sieht die Landesregierung für den drastischen Anstieg an Insolvenzen, insbesondere im Hinblick auf die deutlich niedriger ausgefallenen Prognosen der Wirtschaftsanalytiker?
Da die Insolvenzzahlen in den Jahren 2020 – 2023 trotz Corona- und Energiekrise vergleichsweise niedrig lagen, bedeutet der Anstieg zunächst eine Normalisierung des Insolvenzgesche-hens. Angesichts der temporären Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie staatlicher Transferzahlungen waren die Zahlen in diesem Zeitraum nach unten verzerrt. Zudem steht die deutsche Wirtschaft vor strukturellen und konjunkturellen Herausforderungen, insbesondere aufgrund des russischen Angriffskriegs, der insgesamt angespannten geopolitischen Lage sowie des zunehmenden Protektionismus. Insofern war der in der Kleinen Anfrage adressierte Anstieg grundsätzlich zu erwarten.
- Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um den steigenden Insolvenzen entgegenzuwirken?
Sämtliche Maßnahmen, welche die Landesregierung zur Stärkung, Förderung und Entlastung der heimischen Wirtschaft ergreift, dienen zugleich dem Ziel, die Anzahl von Insolvenzen zu vermindern.