Kleine Anfrage 2542
der Abgeordneten Markus Wagner und Enxhi Seli-Zacharias AfD
Antisemitische Straftaten in NRW im ersten Halbjahr 2023
Die Antwort der Landesregierung vom 7. Februar 2023, Drucksache 18/2882, auf unsere Kleine Anfrage vom 9. Januar 2023, Drucksache 18/2474, zum Themenkomplex „Antisemitische Straftaten“ hat ergeben, dass im Jahr 2022 in diesem Bereich insgesamt 285 Straftaten verübt wurden. Dabei wurden vier Personen verletzt.1 Bei der Zuordnung zu den Phänomenbereichen der politischen Kriminalität ergab sich folgendes Bild:
In den Fällen, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
- PMK-rechts: 95 Straftaten
- PMK-nicht zuzuordnen: 14 Straftat
- PMK-links: keine Straftaten
- PMK-religiöse Ideologie: eine Straftat
- PMK-ausländische Ideologie: 4 Straftaten
In den Fällen, in denen kein Tatverdächtigter ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
- PMK-rechts: 153 Straftaten
- PMK-nicht zuzuordnen: 12 Straftaten
- PMK-links: eine Straftat
- PMK-religiöse Ideologie: keine Straftaten
- PMK-ausländische Ideologie: fünf Straftaten
Wie bereits in den Vorjahren handelte es sich bei den Straftaten überwiegend um Volksverhetzungsdelikte und Verstöße gemäß §§ 86, 86a StGB (Propagandadelikte).
Ziel dieser Anfrage ist es, mit den Zahlen für das erste Halbjahr 2023 die Entwicklung auch weiterhin zu beleuchten.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden in Nordrhein-Westfalen im ersten Halbjahr 2023 verübt? (Bitte nach Ort, Straftatbestand und Anzahl der verletzten Personen auflisten.)
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität [bei deutschen Tätern bitte zusätzlich den jeweiligen Vornamen angeben], Alter und Geschlecht auflisten.)
- In welchen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten jeweils eingeordnet, wenn a) ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte bzw. b) kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte? (Bitte nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand auflisten.)
- Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im ersten Halbjahr 2023 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?
Markus Wagner
Enxhi Seli-Zacharias
1 Antwort der Landesregierung vom 07.02.2023, Drs. 18/2882.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2542 mit Schreiben vom 11. Oktober 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten;
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben;
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
- gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Ob-jekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.
Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt für das Jahr 2023 ist noch nicht abgeschlossen und die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen mit Stand 14. September 2023 sind als vorläufige Zahlen zu betrachten.
- Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden in Nordrhein-Westfalen im ersten Halbjahr 2023 verübt? (Bitte nach Ort, Straftatbestand und Anzahl der verletzten Personen auflisten.)
Im ersten Halbjahr 2023 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen bislang 104 Straftaten dem Unterbegriff „antisemitisch“ zugeordnet. Eine Person wurde verletzt.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen.
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität [bei deutschen Tätern bitte zusätzlich den jeweiligen Vornamen angeben], Alter und Geschlecht auflisten.)
Im KPMD-PMK werden als Festnahme statistisch alle bekanntgewordenen polizeilichen Maßnahmen gemäß §§ 127, 127b Strafprozessordnung (StPO) gezählt (keine Ingewahrsamnahmen nach dem Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen).
Im ersten Halbjahr 2023 wurden in 53 Fällen antisemitischer Straftaten bislang 53 Tatverdächtige ermittelt. Es wurde niemand festgenommen.
Eine Erhebung der Vornamen erfordert eine manuelle Auswertung jedes einzelnen Verfahrens und ist in dem für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen.
- In welchen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten jeweils eingeordnet, wenn a) ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte bzw. b) kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte? (Bitte nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand auflisten.)
Die Aufteilung auf die Phänomenbereiche bitte ich der folgenden Tabelle zu entnehmen.
Tatverdächtige ermittelt | Phänomenbereiche Politisch motivierte Kriminalität (PMK) | ||||
Ausländische Ideologie | Links | Rechts | Religiöse Ideologie | Sonstige Zuordnung | |
Ja | 2 | 0 | 42 | 0 | 9 |
Nein | 4 | 0 | 37 | 0 | 10 |
- Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im ersten Halbjahr 2023 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?
Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Im ersten Halbjahr 2023 kam es – den Berichten der Generalstaatsanwälte des Landes zufolge – bei nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften in 417 Fällen zur Einleitung von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten, in 69 Fällen zur Erhebung der öffentlichen Klage durch Einreichung einer Anklageschrift bzw. Beantragung eines Strafbefehls und in 283 Fällen zur Einstellung der Ermittlungen. Grund für die Einstellung des Verfahrens war in 90 Fällen, dass ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden konnte. In 26 Fällen erfolgte eine Verurteilung.
Die Differenz zu den polizeilich eingeleiteten Ermittlungsverfahren erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz.