Auch Bundeskanzler Scholz stellt fest, dass Deutschland im großen Stil abschieben muss. Wie wird sich die Landesregierung in dieser Frage auf Bundesebene positionieren?

Kleine Anfrage
vom 24.01.2024

Kleine Anfrage 3200

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Auch Bundeskanzler Scholz stellt fest, dass Deutschland im großen Stil abschieben muss. Wie wird sich die Landesregierung in dieser Frage auf Bundesebene positionieren?

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben. Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Der Bund wird die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen.“1

Im Koalitionsvertrag der NRW-Landesregierung gibt es ähnliche Aussagen: „Da, wo ein Asylantrag abgelehnt wurde und es keine weiteren aufenthaltsrechtlichen oder humanitären Bleibegründe gibt, muss die Ausreise durch eine freiwillige Rückkehr oder eine Rückführung erfolgen. Priorität hat für uns die konsequente und rechtmäßige Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“2

In einem Spiegel-Interview vom 20.10.2023 (Scholz und die Flüchtlingspolitik – „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“3) führte Bundeskanzler Scholz aus:

„Einerseits geht es um die Zuwanderung von Arbeitskräften, die wir brauchen. Und es geht um jene, die Asyl suchen, etwa weil sie politisch verfolgt werden. Andererseits heißt das aber: Wer weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe gehört, kann nicht bei uns bleiben. Deshalb begrenzen wir die illegale Migration nach Deutschland – es kommen zu viele. […] Und wir wollen die Anreize dafür senken, sich irregulär bei uns aufzuhalten. […] Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben in Deutschland zu bleiben. […] Wer keine Bleibeperspektive in Deutschland hat, weil er sich nicht auf Schutzgründe berufen kann, muss zurückgehen. Dafür müssen unserer Behörden rund um die Uhr erreichbar sein, damit man jemanden wirklich abschieben kann, wenn die Bundespolizei ihn aufgreift. […] In manchen Bundesländern braucht die erste Instanz in einem Abschiebungsverfahren 4 Monate, in anderen 39. Das geht nicht. Wir müssen mehr und schneller abschieben. […] Die Arbeit der Ausländerbehörden wird sich künftig vor allem dadurch ändern, dass wir jetzt mit vielen Staaten Vereinbarungen schließen, damit sie ihre Bürger möglichst unbürokratisch zurücknehmen. […] Denn bisher scheitern viele Rückführungen an der fehlenden Kooperation der Herkunfts- und Transitstaaten. Das ändern wir. […] Die SPD steht voll hinter dieser Linie.

Das gilt für die Parteiführung, für die Landesverbände, für die Bundestagsfraktion. Auch die Bundesregierung wird diese Linie gemeinsam verfolgen. […] Und es ist meine Aufgabe als Kanzler, dafür zu sorgen, dass wir nicht zögern. Wichtig ist: Unsere Politik ist nicht von Ressentiments getragen. Wir müssen hart sein, wenn jemand keinen Anspruch hat zu bleiben. […] Wer eine unbegrenzte Zuwanderung will, muss so ehrlich sein und sagen, dass wir dann unseren Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, nicht aufrechterhalten können. Wir müssten Verhältnisse akzeptieren, wie sie in anderen Ländern der Welt existieren, mit problematischen Parallelstrukturen. Das kann sich niemand ernsthaft wünschen. Deshalb macht uns das nicht zu Unmenschen. Denn wir tragen Verantwortung dafür, dass unser Gemeinwesen funktioniert. Dazu gehört eine gewisse Härte. Man muss die Kraft haben Menschen zu sagen, dass sie hier leider nicht bleiben können.“

Ähnlich äußerte sich in der Vergangenheit auch NRW-Ministerpräsident Wüst. Auf heute.de hieß es dazu am 04.08.2023: „Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst fordert von der Bundesregierung mehr Tempo bei der Verschärfung von Abschieberegeln für abgelehnte Asylbewerber. „Unsere Kommunen sind am Limit“, sagte der Politiker der CDU den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“. Trotzdem verschenke die Ampel-Koalition wertvolle Zeit.“4

Im Nachgang des Bund-Länder-Treffens im November 2023 forderte Wüst „weitere Maßnahmen wie die Missbrauchsbekämpfung bei Asylanträgen sowie beschleunigte Asylverfahren und Abschiebungen.“5

Letztere Aussagen des Ministerpräsidenten irritieren, wo er doch im Juli 2023 noch „weitgehend den Anspruch aufgegeben hatte, abgelehnte Asylbewerber wieder in ihr Herkunftsland zurückzubringen.“6 Gleichzeitig gibt es von Seiten der zuständigen Ministerin für Flucht und Integration seit Beginn der Legislaturperiode keinerlei Hinweise, die auf einen restriktiveren Kurs in Bezug auf eine Art Abschiebeinitiative hindeuten.

So interessant die oben ausgeführten Feststellungen und Ankündigungen des Bundeskanzlers auch sind, zeigen die Zahlen ein anderes Bild. So wurden im Zeitraum von 2007 bis 2014 im Schnitt ca. 9.000 Personen pro Jahr abgeschoben. Zwischen 2015 und 2019 waren es im Schnitt ca. 22.000 Personen (Höchstwert 2016 mit 25.375 Personen). In der Folgezeit gingen die Zahlen dramatisch zurück: 2020: 10.800; 2021: 11.982; 2022: 12.945 und zuletzt 2023: 13.512.7 Zugleich gab es vor der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts über 300.000 Ausreisepflichtige in Deutschland. Aktuell verlassen mehr Personen den Status der Ausreisepflicht durch einen Wechsel zum Chancen-Aufenthaltsrecht als durch eine vollzogene Abschiebung. Auch das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz soll – nach eigener Aussage – für lediglich 600 zusätzliche Abschiebungen im Jahr sorgen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wann und wie die groß angekündigten Pläne des Bundeskanzlers sowie des Ministerpräsidenten umgesetzt werden sollen.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie positioniert sich die Landesregierung zu den oben zitierten Ankündigungen und Feststellungen des Bundeskanzlers?
  2. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung – im Rahmen ihrer Zuständigkeit – im Jahr 2024 die Anzahl der vollzogenen Abschiebungen von ausreisepflichtigen Personen zu erhöhen?
  3. Mit welchen Maßnahmen soll insbesondere auch die Anzahl der abgeschobenen Gefährder, relevanten Personen und Straftäter8 erhöht werden?
  4. Inwiefern sollten auch nach Ansicht der Landesregierung Flüchtlinge generell in ihre Heimat zurückkehren, wenn dies gem. Genfer Flüchtlingskonvention sicher möglich ist, sprich, wenn eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A (= Definition Flüchtling) zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, da sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt?
  5. Ab wann wird der auch durch den Ministerpräsidenten angekündigte bzw. eingeforderte härtere Kurs in Bezug auf Abschiebungen in die Tat umgesetzt?

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-7866

 

1 Vgl.

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/93bd8d9b17717c351633635f9d7fba 09/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1 S. 140

2 Vgl. https://gruene-nrw.de/dateien/Zukunftsvertrag_CDU-GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf S. 120

3 Vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-ueber-migration-es-kommen-zu-viele-a-2d86d2ac-e55a-4b8f-9766-c7060c2dc38a

4 Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/migration-abschiebung-wuest-kritik-faeser-100.html

5 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/mpk-bund-laender-treffen-migration-reaktionen-nrw-100.html

6 Vgl. https://www.welt.de/regionales/nrw/article246283400/Fluechtlingspolitik-Die-CDU-nimmt-Abschied-vom-Abschieben.html

7 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/451861/umfrage/abschiebungen-aus-deutschland/ und https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/abschiebungen-deutschland-2023-100.html

8 Vgl. Aufenthaltsgesetz § 54, Ausweisungsinteresse


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 3200 mit Schreiben vom 14. Februar 2024 namens der Landesregierung be­antwortet.

  1. Wie positioniert sich die Landesregierung zu den oben zitierten An­kündigungen und Feststellungen des Bundeskanzlers?

Der Landesregierung obliegt es nicht, die Feststellungen des Bundeskanzlers zu kommentie­ren.

  1. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung im Rahmen ih­rer Zuständigkeit im Jahr 2024 die Anzahl der vollzogenen Abschiebungen von aus­reisepflichtigen Personen zu erhöhen?

Das Land Nordrhein-Westfalen steht mit dem Bund im fortwährenden Austausch zur Frage der Optimierung von Rückführungsmodalitäten.

Ein wesentliches Hindernis bei der Durchführung von Rückführungsmaßnahmen ist und bleibt in vielen Fällen die fehlende Kooperationsbereitschaft bestimmter Herkunftsländer bei der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen. Hier bleibt der Bund weiterhin gefordert, mit rele­vanten Zielstaaten stabile und praxiswirksame Rahmenbedingungen insbesondere in den re­levanten Bereichen Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung zu erreichen.

Daneben wurde der Ansatz im Haushaltstitel 633 10 „Erstattung der Kosten der Zentralen Aus­länderbehörden“ für das Haushaltsjahr 2024 um 5 Mio. EUR erhöht.

  1. Mit welchen Maßnahmen soll insbesondere auch die Anzahl der abgeschobenen Gefährder, relevanten Personen und Straftäter erhöht werden?

Nordrhein-Westfalen optimiert kontinuierlich in seiner Verantwortung liegende Parameter für das Rückkehrmanagement für Gefährder, relevante Personen und Straftäter.

Hierzu gehört das im Jahr 2018 eingerichtete Fallmanagement NRW, welches zur Verbesse­rung der Sicherheitslage neben der fortbestehenden Fallbearbeitung durch die einzelnen Aus­länder-, Polizei- und sonstigen Behörden beiträgt. Nach seiner erfolgreichen Etablierung wurde das Fallmanagement NRW im Jahr 2021 im Rahmen einer erweiterten Sicherheitskooperation zwischen dem damaligen MKFFI NRW, dem IM NRW und dem LKA NRW durch das Fokuspro-jekt „ausländische Mehrfach- und Intensivtäter (aMIT)“ fortentwickelt. Neben Fragen der Er­weiterung durch Schwerpunktsetzung wird das Fallmanagement NRW auch inhaltlich kontinu­ierlich ausgeschärft. Beispielsweise nimmt das Thema Rückführung von Straftätern aus der Haft bei der Fallbegleitung einen besonderen Stellenwert ein.

Parallel hat sich Nordrhein-Westfalen auf Bund-Länder-Ebene erfolgreich für eine bessere Ver­netzung von Bundes- und Länderstellen, insbesondere bei der Rückführung ausländischer Straftäter, eingesetzt. Hier nimmt das Gemeinsame Zentrum des Bundes und der Länder für die Unterstützung der Rückkehr (ZUR) eine wichtige Rolle ein. Nordrhein-Westfalen ist etab­lierter Vertreter in den dortigen Gremien.

  1. Inwiefern sollten auch nach Ansicht der Landesregierung Flücht­linge generell in ihre Heimat zurückkehren, wenn dies gem. Genfer Flüchtlingskonven­tion sicher möglich ist, sprich, wenn eine Person, auf die die Bestimmungen des Absat­zes A (= Definition Flüchtling) zutrifft, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, da sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt?

Im Asyl- und Aufenthaltsrecht wird jeder Einzelfall nach einer umfassenden Prüfung entschie­den. Eine pauschalierende Antwort ist daher nicht möglich.

  1. Ab wann wird der auch durch den Ministerpräsidenten angekündigte bzw. einge­forderte härtere Kurs in Bezug auf Abschiebungen in die Tat umgesetzt?

Die in Frage 2 dargestellten Möglichkeiten hinsichtlich schnellerer Rückführungen können erst mit dem Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes umgesetzt werden.

Zusätzlich prüft die Landesregierung fortlaufend im Austausch mit dem Bund die Optimierung der Rückführungsmodalitäten.

 

MMD18-8048