Auf dem linken Auge blind? Der Innenminister und das Versammlungsrecht

Kleine Anfrage
vom 06.07.2020

Kleine Anfrage 4022der Abgeordneten Sven W. Tritschler und Iris Dworeck-Danielowski vom 06.07.2020

 

Auf dem linken Auge blind? Der Innenminister und das Versammlungsrecht

Die Fraktion der Alternative für Deutschland machte in ihrem Antrag „Grundgesetz und Verfassung gelten auch in Köln: Kapitulation der Polizeiführung vor dem organisierten Antifa-Terrorismus beenden!“ (Drs. 17/9807) den unzureichenden polizeilichen Schutz der Kölner AfD-Wahlversammlung am 7. Juni 2020 zum Gegenstand der Plenardebatte am 26. Juni 2020.

Gegenstand der Kritik war dabei insbesondere die Zulassung einer „Spontandemonstration“ unmittelbar vor dem Gürzenich, in dem die Wahlversammlung des AfD-Kreisverbands stattfand. Diese Demonstration bildete sich erkennbar nicht spontan, sondern war die Ersatzversammlung für eine angemeldete Demonstration auf dem Heumarkt, mit identischem Teilnehmerkreis und Thema.

Die Teilnehmer der vermeintlichen „Spontandemonstration“ waren mit Spruchbändern, Trillerpfeifen, Lautsprechern und ähnlichem klassischen „Demonstrationsmaterial“ ausgestattet. Sie versammelten sich erkennbar mit dem Ziel, den Besuchern der AfD-Versammlung den Zugang zu dieser Veranstaltung zu versperren. Aus der „Spontan“-Versammlung heraus kam es wiederholt zu strafbaren Handlungen.

Der Minister des Innern rechtfertigte die Untätigkeit der Kölner Polizei und die Zulassung der vermeintlichen „Spontandemonstration“ mit angeblichen rechtlichen Zwängen.

Wörtlich erklärte er im Rahmen der Parlamentsdebatte:

„Bei der Veranstaltung am 7. Juni kam es zu einem Gegenprotest, der eindeutig unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fiel; dazu gehört übrigens auch die Wahl des Versammlungsortes. Das ist festgeschrieben, und dazu gibt es zig Gerichtsurteile. Manchmal habe auch ich mich gefragt, warum man Demonstrationen in örtlicher Nähe zulässt. Das ist aber zulässig. Die Gerichte haben das so entschieden, und das gilt in jedem Fall: ob rechts, ob links, ob Salafisten oder wer auch immer.

Der Satz heißt: Den Angehörigen der unterschiedlichen politischen Lager ist ein Meinungsaustausch in Hör- und Sichtweite zu ermöglichen.“

So eindeutig wie hier behauptet ist die Rechtslage/Rechtsprechung zum Thema allerdings nicht. Vielmehr können die zuständigen Behörden Auflagen zum Ort der Versammlung erteilen.1 Durch Auflagen kann ebenfalls geregelt werden, ob Demonstrationen und Gegendemonstrationen nebeneinander in Hör- und Sichtweite oder getrennt durch einen Sicherheitskorridor stattfinden.2

Die Kölner Polizei hätte also sehr wohl die Möglichkeit gehabt, die sogenannte „Spontandemonstration“ an dieser Stelle zu unterbinden, bzw. sie mit einem Abstand zum Eingang des Gürzenich stattfinden zu lassen, der eine Gefährdung der Teilnehmer der AfD-Veranstaltung ausgeschlossen hätte.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Listen Sie bitte alle Versammlungen auf, die in den Jahren 2018, 2019 und 2020 im Stadtgebiet Köln angemeldet wurden. (Bitte jeweils angeben: Veranstalter, Ort, Thema, angemeldete Teilnehmerzahl, Datum der Anmeldung, Datum und Zeit der Versammlung)
  2. In welchen Fällen wurden Auflagen hinsichtlich des Orts der Versammlung erteilt? (Bitte dabei angeben: Ort laut Anmeldung und Ort laut Auflage der Polizei)
  3. Der Heumarkt liegt in Sicht- und Hörweite des Gürzenich; warum reichte eine Gegendemonstration dort nicht aus?
  4. Warum wurde die Versammlung in dieser Form und an diesem Ort überhaupt geduldet, obwohl es sich erkennbar nicht um eine „Spontandemonstration“ (s.o.) handelte?
  5. Warum wurden die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie geltenden Infektionsschutzauflagen bei der „Spontandemonstration“ nicht durchgesetzt?

Sven W. Tritschler
Iris Dworeck-Danielowski

 

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1 Dietel/Gintzel/Kniesel, § 15, Rn. 11, m.w.N.

2 Ebenda.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4022 mit Schreiben vom 4. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.

  1. Listen Sie bitte alle Versammlungen auf, die in den Jahren 2018, 2019 und 2020 im Stadtgebiet Köln angemeldet wurden. (Bitte jeweils angeben: Veranstalter, Ort, Thema, angemeldete Teilnehmerzahl, Datum der Anmeldung, Datum und Zeit der Versammlung)

Die Beantwortung der Frage erfolgt in Form der als Anlage beigefügten Tabelle.

Daten über Versammlungen aus dem Jahr 2018 liegen dem Polizeipräsidium (PP) Köln aufgrund von Regelungen zu Aufbewahrungsfristen nicht vor.

  1. In welchen Fällen wurden Auflagen hinsichtlich des Orts der Versammlung erteilt? (Bitte dabei angeben: Ort laut Anmeldung und Ort laut Auflage der Polizei)

Im Jahr 2019 wurde in den folgenden drei Fällen eine versammlungsrechtliche Auflage bezüglich des Versammlungsortes erteilt:

  1. 04.2019; Thema: „Gegen Nationalismus, Rassismus und Ausbeutung – Demonstration zur Europawahl“ Ort laut Anmeldung: unmittelbarer Bereich vor dem Bürgerhaus Kalk; Ort laut Auflage: Bereich Kalk-Mülheimer Straße an der Kalk-Mülheimer Straße/Kapitelstraße bis zu Höfestraße.
  2. 06.2019 – 24.06.2019; Thema: „Rheinisches Revier Kohlefrei“; Ort laut Anmeldung: Poller Wiesen; Ort laut Auflage: „Deutzer Werft“
  3. 10.2019; Thema: „Gegen den türkischen Angriffskrieg – Solidarität mit Rojova“; Ort laut Anmeldung: „Deutzer Werft“; Ort laut Auflage: Grünfläche gegenüber des Aachener Weihers im inneren Grüngürtel

Im Jahr 2020 erfolgten bis zum 20.07.2020 keine Auflagen bzgl. der Örtlichkeit.

  1. Der Heumarkt liegt in Sicht- und Hörweite des Gürzenich; warum reichte eine Gegendemonstration dort nicht aus?
  2. Warum wurde die Versammlung in dieser Form und an diesem Ort überhaupt geduldet, obwohl es sich erkennbar nicht um eine „Spontandemonstration“ (s.o.) handelte?

Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 Grundgesetz umfasst grundsätzlich auch das Selbstbestimmungsrecht über Inhalt, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung. Bezüglich der Örtlichkeit ist den Angehörigen der unterschiedlichen politischen Lager ein Meinungsaustausch in Hör- und Sichtweite zu ermöglichen.

Die für den 07.06.2020 von 08:30 bis 11:00 Uhr angemeldete Versammlung auf dem Heumarkt war lediglich schwach besucht, so dass der Anmelder seine Versammlung am Heumarkt nach kurzer Zeit beendete.

Im Umfeld des Gürzenich erschienen Personen, die teilweise bereits an der beendeten Versammlung am Heumarkt teilgenommen hatten, sowie weitere Personen. Vor Ort wurde zeitlich nach Beendigung der Versammlung auf dem Heumarkt eine weitere Versammlung im Bereich Bolzengasse/Martinstraße angemeldet. Ein Versammlungsleiter stellte sich zur Verfügung. Nach erfolgtem Kooperationsgespräch wurde die Versammlung unter Erteilung von Auflagen bestätigt. Insofern gewährleistete das PP Köln den Teilnehmerinnen und Teilnehmern beider Versammlungen die Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 des Grundgesetzes.

  1. Warum wurden die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie geltenden Infektionsschutzauflagen bei der „Spontandemonstration“ nicht durchgesetzt?

Das PP Köln informierte die Stadt Köln als örtlich originär zuständige Ordnungsbehörde für die Überwachung und ggf. Ahndung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen nach Eingang der Versammlungsanmeldung (02.06.2020) für den Heumarkt mit erwarteten 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Über die zu dem Zeitpunkt geltenden Regelungen gemäß § 28 Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit § 13 Absatz 4 Satz 2 Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaSchVO) in der Fassung vom 21.05.2020 hinaus, wurden seitens der Stadt Köln keine weiteren Vorgaben gemacht. Bei der Versammlung im Bereich Bolzengasse/Martinstraße trug die überwiegende Anzahl der Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer einen Mund-Nasen-Schutz. Festgestellt wurde die Nichteinhaltung des Mindestabstands. Da die originär zuständige örtliche Ordnungsbehörde nicht vor Ort war, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrfach nach Intervention durch die eingesetzten Polizeivollzugsbeamte durch den Versammlungsleiter per Lautsprecher auf die Einhaltung der Mindestabstände hingewiesen.

 

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