Aufenthalt von aus der Ukraine geflohenen Drittstaatern in NRW, die in der Ukraine nur über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügt haben

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1874

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Aufenthalt von aus der Ukraine geflohenen Drittstaatern in NRW, die in der Ukraine nur über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügt haben

Im Rahmen einer kommunalen Anfrage im Rat der Stadt Herne ging es um die grundsätzliche Frage, ob Drittstaater mit einer befristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis, die sich zum Stichtag 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben, zu den Anspruchsberechtigen für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz zählen.

Der § 24 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) regelt die Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz in Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie 2001/55/EG, die mit Beschluss der EU-Innenminister vom 03.03.2022 erstmals in Folge des am 24.02.2022 begonnenen Angriffs Russlands auf die Ukraine aktiviert wurde.

Der entsprechende Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 04.03.2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20.07.2001 und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (AB. L 71/1 vom O4.O3.2022) regelt die Einzelheiten.

Drittstaatsangehörige mit befristetem Aufenthaltsrecht, die sich in der Ukraine vor dem 24.02.2022 aufgehalten haben, sind demnach gem. Art. 2 des Durchführungsbeschlusses keine anspruchsberechtigten Personen.

Als anspruchsberechtigte Person i. S. d. Art. 2 Abs. 1 des DurchführungsbeschIusses (EU) 2022/382 gelten

a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24.02.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten

b) Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24.02.2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und

c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a) und b) genannten Personen

Ein Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, der als Sachverständiger bereits zu ausländerrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben vom Innenausschuss des Deutschen Bundestages angehört wurde, kommt in einer juristischen Stellungnahme zum Schluss, das Drittstaatsangehörige mit befristetem Aufenthaltsrecht, die sich in der Ukraine vor dem 24.02.2022 aufgehalten haben, keine anspruchsberechtigten Personen i. S. d. Art. 2 Abs. 2 des DurchführungsbeschIusses sind und in der Folge keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG haben. 1 Personen ohne unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine könnten lediglich gem. Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses erfasst werden:

„Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses begünstigt drittstaatsangehörige Ausländer mit einem befristeten Aufenthaltsrecht in der Ukraine aber nicht unmittelbar. Vielmehr können die Mitgliedstaaten gem. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. […] Eine nationale Erweiterung des begünstigten Personenkreises erfordert eine gesetzliche Regelung. […] Das Länderrundschreiben des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 05.09.2022 i.d.F. vom 20.09.2022 erfüllt diese Voraussetzungen nicht […] Auch wenn auf Seite 6 des genannten Länderschreibens vom 05.09.2022 in der Fassung vom 20.09.2022 die Personengruppe begünstigt wird, vermag der Erlass die notwendige gesetzliche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen.“

Bezüglich der fehlenden gesetzlichen Regelung heißt es weiter:

„Die Bundesrepublik Deutschland [hat] von der Öffnungsklausel Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG auch nicht durch Erlass von § 2 der Verordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen in der Fassung vom 07.03.2022 (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, im Folgenden: UkraineAufenthÜV) Gebrauch gemacht (so aber wohl VG Aachen, Beschluss vom 26.08.2022 – 8 L 527/22 – juris Rn. 28 f.). Denn hiermit wurde lediglich die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts der von der Vorschrift erfassten Ausländer geregelt, nicht aber vorübergehender Schutz im Sinne des Durchführungsbeschlusses bzw. der Massenzustromrichtlinie gewährt. Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung) sind:

„Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum 30. November 2022 in das Bundesgebiet eingereist sind, […] ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit“.

[…] Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass Drittausländer aus der Ukraine mit befristetem Aufenthaltsrecht keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG haben.“

Entgegen dieser Rechtsauffassung bemerkte der Rechtsdezernent der Stadt Herne auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Aufenthaltserlaubnisse auch für Drittstaater mit einer zuvor lediglich befristeten Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine:

„Es wurden gemäß § 24 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz ausschließlich Aufenthaltserlaubnisse entsprechend des Länderschreibens des BMI v. 05.09.2022, Ziff. 4.1 – 4.3 erteilt, so dass es zu keinen rechtswidrigen Erteilungen gekommen ist. Demnach gelten auch befristete ukrainische Aufenthaltstitel als unbefristete Aufenthaltsrechte im Rahmen der Erteilung nach § 24 AufenthG. Insoweit sind grundsätzlich nur Visa zu touristischen Zwecken, Besuchszwecken und zu Geschäftsaufenthalten als anspruchsbegründend ausgeschlossen. Die Prüfung einer etwaigen Rücknahme entfällt daher.“

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine (sowie Familienangehörige), die vor dem 24.02.2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, haben in NRW bisher eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG erhalten?
  2. Wie viele Drittstaatsangehörige (sowie Familienangehörige) mit befristetem Aufenthaltsrecht, die sich in der Ukraine vor dem 24.02.2022 aufgehalten haben, haben bisher in NRW eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 Aufenthaltserlaubnis erhalten?
  3. Auf Basis welcher Rechtsgrundlage haben Drittstaater mit einer lediglich befristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 24 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz erhalten?
  4. Welche gesetzlichen Neuregelungen sind zu Gunsten des besagten Personenkreises vorgesehen, die dann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen würden?

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. https:// www .migrationsrecht.net/nachrichten-auslaenderrecht-europa-und-eu/drittauslaender-aus-der-ukraine-mit-befristetem-aufenthaltsrecht-haben-keinen-anspruch-auf-eine-aufenthaltserlaubnis-nach-24-abs-1-aufenthg.html