Auswirkungen des AdBlue-Mangels auf Verkehr und Daseinsvorsorge

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 440
des Abgeordneten Dr. Christian Blex vom 12.09.2022

 

Auswirkungen des AdBlue-Mangels auf Verkehr und Daseinsvorsorge

Die Stickstoffwerke Piesteritz GmbH gehört zu den größten deutschen Produzenten der Harnstofflösung „Aqueous Urea Solution 32“ (nach ISO 22241) – besser bekannt unter dem Markennamen „AdBlue“. Aufgrund der aktuell sehr hohen Gaspreise und der daraus resultierenden Unmöglichkeit einer wirtschaftlichen Produktion hat das Chemieunternehmen SKW Piesteritz die Produktion dieser Harnstofflösung nun allerdings eingestellt. Angesichts der drohenden Knappheit von AdBlue bzw. der Harnstofflösung AUS 32 warnt der Bundesverband Gütertransport und Logistik (BGL) vor massiven Auswirkungen für die Branche und Versorgungsengpässen in Deutschland.1 LKW müssen zur Abgasreduktion schon seit vielen Jahren zusätzlich AdBlue tanken; viele PKW der Euro-6-Abgasnorm benötigen diese Harnstofflösung ebenfalls. Ohne AdBlue lassen sich die Motoren zuvor benannter Fahrzeuge in der Regel nicht starten.2 Bei einem AdBlue-Mangel droht dementsprechend die Nichtnutzbarkeit vieler Straßenfahrzeuge, insbesondere LKW. Wird auch der Güterverkehr auf der Straße durch eine Mangelversorgung mit AdBlue beeinträchtigt oder zum Erliegen gebracht, nachdem bereits die Binnenschifffahrt in den letzten Wochen beeinträchtigt war bzw. noch immer ist,4 ist eine zunehmende Unterbrechung von Lieferketten und eine Mangelversorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern und Produkten zu befürchten.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Sieht die Landesregierung die Versorgung NRWs mit der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue als gefährdet an?
  2. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um eine ausreichende Versorgung der in NRW ansässigen PKW-Fahrer und Speditionsunternehmen sowie anderer Verbraucher mit der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue zu gewährleisten?
  3. Inwieweit ist es möglich, bei wichtigen Nutz- und Einsatzfahrzeugen, z.B. der Feuerwehr, des THW, anderer Rettungskräfte und der Straßenmeistereien, den Motor zu starten, wenn diese kein AUS 32 bzw. AdBlue getankt haben?
  4. Inwiefern wurden durch die Landesregierung Maßnahmen ergriffen oder Empfehlungen an die Kommunen bzw. Verbände (z.B. den Feuerwehrverband) ausgegeben, um den Betrieb von wichtigen Nutz- und Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr, des THW, anderer Rettungskräfte und der Straßenmeistereien sicherzustellen, falls es zu einer allgemeinen Mangelversorgung mit AdBlue kommt?
  5. Mit welchen Auswirkungen auf den Straßenverkehr, die Wirtschaft und die Gesellschaft rechnet die Landesregierung, sollten Wirtschaft, staatliche Stellen und Privatpersonen nicht mehr mit ausreichenden Mengen der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue versorgt werden?

Dr. Christian Blex

 

Anfrage als PDF

 

1 https://www.t-online.de/finanzen/unternehmen-verbraucher/unternehmen/id_100049636/adblue-mangel-verband-warnt-vor-versorgungsengpaessen.htm l

2 https://club.autodoc.de/magazin/was-ist-adblue-funktion-kosten-anwendung/


Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 440 mit Schreiben vom 20. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr beantwortet.

  1. Sieht die Landesregierung die Versorgung NRWs mit der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue als gefährdet an?

Ammoniak gehört mit einer Produktionskapazität von ca. 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr zu den mengenmäßig größten Grundchemikalien in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland. Grundchemikalien sind Ausgangsstoffe für die Synthese vieler weiterer chemi­scher Produkte. Ammoniak wird zum Beispiel zur Herstellung von Düngemitteln, Polyamiden, Lösungsmitteln und medizinischen Produkten verwendet. Ein kleiner, aber nicht unbedeuten­der Teil davon fließt über die Harnstoffsynthese in die AdBlue® -Produktion. Aufgrund der hohen Gaspreise in Deutschland haben Unternehmen in den vergangenen Monaten die Pro­duktion von Ammoniak reduziert. Ob eine Gefährdung der Versorgung mit Harnstofflösung vorliegt bzw. vorliegen wird, kann von hier aus mangels Datenlage nicht eingeschätzt werden.

  1. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um eine ausreichende Versor­gung der in NRW ansässigen PKW-Fahrer und Speditionsunternehmen sowie an­derer Verbraucher mit der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue zu gewährleisten?

Bereits am 15. September 2022 hat das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr eine allgemeine Ausnahme gemäß § 46 Absatz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom Sonn-und Feiertagsfahrverbot gemäß § 30 Absatz 3 und 4 StVO für Mineralöl- und Flüssiggastrans-porte sowie für Transporte von Produkten zur Abgasnachbehandlung bei Dieselmotoren (z. B. „AdBlue®“) erteilt, um die Verfügbarkeit der erforderlichen Transportkapazitäten sicherzustel­len.

  1. Inwieweit ist es möglich, bei wichtigen Nutz- und Einsatzfahrzeugen, z.B. der Feu­erwehr, des THW, anderer Rettungskräfte und der Straßenmeistereien, den Motor zu starten, wenn diese kein AUS 32 bzw. AdBlue getankt haben?

Dieselbetriebene Einsatzfahrzeuge des Brand- und Katastrophenschutzes, die mit einer Ein­richtung zur Abgasnachbehandlung auf Harnstoffbasis (AdBlue® o.dgl.) ausgerüstet sind und über sogenannte „Behördenmotoren“-Programmierungen verfügen, können ohne Drehmo-mentbegrenzung weiterbetrieben werden. Zur weiteren Konkretisierung wird auf das vfdb-Merkblatt 06/06 (Stand: Februar 2018) und auf die DFV-/AGBF-Fachempfehlung Nr. 1 vom 4. Juli 2019 verwiesen.

Alle durch das Institut der Feuerwehr Nordrhein-Westfalen beschafften Katastrophenschutz-fahrzeuge wurden in den vergangenen Jahren mit dieser Programmierung ausgeliefert und können somit ohne AdBlue® weiter betrieben werden. Dies gilt nach Kenntnis der Landesre­gierung auch für einen Großteil der kommunalbeschafften Fahrzeuge, da dies häufig eine Standardvorgabe in Ausschreibungen ist. Konkrete Zahlen dazu liegen nicht vor. Ältere Fahr­zeuge, die mit einem Euro V Motor ausgestattet sind, sind von der Problematik nicht betroffen. Diese sind in Nordrhein-Westfalen noch in großen Stückzahlen vorhanden.

Nach längerer Nutzung ohne AdBlue® kann es ggf. zu Schäden am Abgasreinigungssystem kommen, oder es können ggf. Werkstattaufenthalte notwendig werden.

  1. Inwiefern wurden durch die Landesregierung Maßnahmen ergriffen oder Empfeh­lungen an die Kommunen bzw. Verbände (z.B. den Feuerwehrverband) ausgege­ben, um den Betrieb von wichtigen Nutz- und Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr, des THW, anderer Rettungskräfte und der Straßenmeistereien sicherzustellen, falls es zu einer allgemeinen Mangelversorgung mit AdBlue kommt?

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat im Einvernehmen mit dem Ministe­rium des Innern mit Erlass vom 10. September 2021 die Bezirksregierungen dahingehend in­formiert, dass für die Fahrzeuge des Brand- und Katastrophenschutzes sowie des Rettungs­dienstes Vorkehrungen bzgl. eines Versorgungsengpasses mit dem Zusatz AdBlue® zu tref­fen sind. Diese maßvollen Vorhaltemaßnahmen sollen aufrechterhalten werden, solange die Lage derart angespannt ist.

Darüber hinaus wurden die unteren Katastrophenschutzbehörden mit Erlass des Ministeriums des Innern vom 29. Juli 2022 – 33- 52.06.05-CH4 – bezüglich „vorbereitender Maßnahmen im Rahmen einer möglichen Gas-/Energiemangellage“ aufgefordert „für die Vorbereitungen zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit […], sofern nicht bereits geschehen, weitere Vorsorge­maßnahmen zu treffen“, insbesondere die „Überprüfung und Planung der Bevorratung von Treibstoffen und weiterer Güter der eigenen Versorgung“.

Aktuell ist AdBlue® am Markt erhältlich. Der Preis ist deutlich angestiegen. Insbesondere klei­nere Gebinde sind seit einiger Zeit schwerer zu bekommen. Das Institut der Feuerwehr NRW hat beispielsweise die Bevorratung auf 200 l Fässer umgestellt. Eine Bevorratung in großen Mengen ist auf Grund der eingeschränkten Haltbarkeit nicht anzuraten. Eine Bevorratung muss sich am tatsächlichen Verbrauch orientieren.

Für das Land Nordrhein-Westfalen besteht ein Rahmenvertrag über die Lieferung von Be­triebsstoffen für die landeseigenen Fahrzeuge. Die Straßenmeistereien des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen sind mit 1.000 Liter-Containern ausgestattet. In den Liefer­bedingungen ist festgelegt, dass die einzelnen Bedarfsstellen eigenverantwortlich für die Be­stellungen bzw. den Abruf von Betriebsstoffen sorgen.

  1. Mit welchen Auswirkungen auf den Straßenverkehr, die Wirtschaft und die Gesell­schaft rechnet die Landesregierung, sollten Wirtschaft, staatliche Stellen und Pri­vatpersonen nicht mehr mit ausreichenden Mengen der Harnstofflösung AUS 32 bzw. AdBlue versorgt werden?

Der Landesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse über die Anzahl der Fahrzeuge vor, die über die SCR-Abgastechnik verfügen und deren Betrieb somit von der Zugabe von AdBlue® abhängig ist. Dazu gibt es nach Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes keine spezielle Auswertung. Betroffen sind bei den Pkw jedenfalls die Diesel-Fahrzeuge der Kategorie Euro 6d und 6d temp. Das waren ausweislich der Statistik des Kraftfahrt-Bundesamts „Bestand an Personenkraftwagen 2013 bis 2022 nach Emissionsklassen und Kraftstoffarten“ Stand Anfang des Jahres 2022 rund 2,3 Millionen Fahrzeuge. Es ist davon auszugehen, dass auch ein er­heblicher Anteil der übrigen Euro 6-Fahrzeuge SCR-Abgastechnik haben, so dass die Anzahl der betroffenen Pkw doppelt so hoch sein könnte. Die Hauptbetroffenheit wird jedoch beim gewerblichen Güterverkehr liegen. Laut Bundesamt für Güterverkehr werden 70 % der Güter und Waren in Deutschland mit dem LKW transportiert. Den Hauptanteil der LKW machen da­bei Euro-VI-LKW aus, die zwingend AdBlue® benötigen. Insofern wären bei einer AdBlue®-Knappheit Auswirkungen auf die Versorgung der Industrie und Haushalte in Deutschland zu erwarten.

 

Antwort als PDF