Bedrohung von Politikern und Privatpersonen durch Islamisten – Wie schützt die Landesregierung die betroffenen Bürger?

Kleine Anfrage
vom 26.09.2024

Kleine Anfrage 4547

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD

Bedrohung von Politikern und Privatpersonen durch Islamisten Wie schützt die Landesregierung die betroffenen Bürger?

Wie uns im Vorfeld der Plenarwoche vom 11. bis 13. September zugetragen wurde, haben es die Sicherheitsbehörden in NRW in mindestens drei Fällen versäumt, durch Islamisten mit dem Tod bedrohte Bürger über die konkrete Gefahr für Leib und Leben umgehend zu informieren.1

In zwei Fällen haben die betroffenen Personen erst aus der Presse über die Gefahrenlage erfahren. In einem Fall erfolgte die Mitteilung erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, da sich angeblich die Meldeanschrift der betroffenen Person nicht ermitteln ließ.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie generell in diesen Fällen verfahren wird und in welcher Form die betroffenen Bürger geschützt werden.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. In wie vielen Fällen erhielten die Sicherheitsbehörden in NRW in den Jahren 2018 bis heute Kenntnis über eine konkrete Bedrohungslage von Politikern oder Privatpersonen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl und der Herkunft, Bedrohung gemäß PMK2 sowie Parteizugehörigkeit der Opfer)
  2. Über welche Quellen gelangten die Sicherheitsbehörden in NRW bei den gemäß Frage 1 festgestellten Bedrohungslagen an die entsprechenden Hinweise?
  3. In wie vielen dieser Fälle gemäß Frage 1 wurden die betroffenen Personen über die Bedrohungslage informiert? (Bitte auch angeben wie verfahren wird, wenn in anderen Bundesländern wohnhafte Bürger von einer Bedrohung betroffen sind oder bei betroffenen Bürgern aus NRW die Meldung in einem anderen Bundesland eingeht)
  4. Welche Sicherungsmaßnahmen sind in diesen Fällen generell vorgesehen?
  5. Was hat die Landesregierung in den letzten Jahren konkret zum Schutz der betroffenen Bürger in NRW unternommen?

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner

 

MMD18-10811

 

1 Vgl. Plenarprotokoll 11.09.2024; Top 7

2 PMK rechts; PMK links; PMK religiöse Ideologie und PMK ausländische Ideologie


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4547 mit Schreiben vom 7. November 2024 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheit­lich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Ent­scheidungen richten,
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerk­male, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsor­gane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswär­tige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und/oder
  • gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Hal­tung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorur­teilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religi­onszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Ori­entierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Ob-jekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.

Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a, 234b oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt für das Jahr 2024 ist noch nicht abge­schlossen und die angegebenen Fallzahlen mit Stand 2. Oktober 2024 sind als vorläufige Zah­len zu betrachten.

  1. In wie vielen Fällen erhielten die Sicherheitsbehörden in NRW in den Jahren 2018 bis heute Kenntnis über eine konkrete Bedrohungslage von Politikern oder Privat­personen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl und der Herkunft, Bedrohung gemäß PMK sowie Parteizugehörigkeit der Opfer)

Der KPMD-PMK erfasst ausschließlich Informationen über polizeilich bekannt gewordene po­litisch motivierte Straftaten gemäß den bundeseinheitlichen Richtlinien. Konkrete Bedrohungs­lagen lassen sich anhand des KPMD-PMK insofern nicht abbilden und sind ebenfalls kein Be­standteil anderweitiger kriminalpolizeilicher Erhebungen.

Gleichwohl können dem KPMD-PMK alle politisch motivierten Straftaten entnommen werden, die unter Verwendung des Angriffsziels „Person“ im KPMD-PMK erfasst wurden. Ob sich aus den dargestellten politisch motivierten Straftaten im Einzelfall eine konkrete Bedrohungslage im Sinne der Fragestellung ergeben hat, ließe sich nur über eine Einzelfallauswertung ermit­teln. Diese ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der zur Beantwortung der Kleinen An­frage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Da „Angriffsziele“ statistisch erst im Jahr 2019 eingeführt wurden, kann für das Jahr 2018 keine Aussage getroffen werden.

Die Fallzahlen aller im KPMD-PMK erfassten, gegen Personen gerichteten, politisch motivier­ten Straftaten sind nachfolgend nach Tatjahr und PMK-Phänomenbereich tabellarisch darge­stellt:

 

Tatjahr PMK- Auslän- dische Ideologie PMK- Links PMK- Recht s PMK- Religiöse Ideologie PMK-
Sonstige
Zuord-
nung/Nicht
Zuzuordnen
Gesamt
2019 100 568 1.333 27 138 2.166
2020 65 613 1.549 21 679 2.927
2021 119 615 1.490 34 544 2.802
2022 286 345 1.550 30 823 3.034
2023 351 559 1.649 168 1.045 3.772
2024 271 340 1.294 74 483 2.462
Ge- samt 1.192 3.040 8.865 354 3.712 17.163

 

Eine Aussage zu einer potentiellen Parteizugehörigkeit bzw. ob die Personen ein politisches Amt bekleiden, könnte nur mittels einer Einzelfallauswertung der dargestellten 17.163 politisch motivierten Straftaten erfolgen, welche mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der zur Be­antwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist.

  1. Über welche Quellen gelangten die Sicherheitsbehörden in NRW bei den gemäß Frage 1 festgestellten Bedrohungslagen an die entsprechenden Hinweise?

Hinweise auf Bedrohungslagen werden zumeist von der bedrohten Person selber oder Dritten an die Sicherheitsbehörden herangetragen. Weitere Erkenntnisse können bspw. im Zuge von polizeilichen Ermittlungen und Maßnahmen oder dem Monitoring von Internetforen erlangt werden. Im Übrigen wird auf die Beantwortung von Frage 1 verwiesen.

  1. In wie vielen dieser Fälle gemäß Frage 1 wurden die betroffenen Personen über die Bedrohungslage informiert? (Bitte auch angeben wie verfahren wird, wenn in anderen Bundesländern wohnhafte Bürger von einer Bedrohung betroffen sind oder bei betroffenen Bürgern aus NRW die Meldung in einem anderen Bundesland eingeht).

Informationen zu Gefährdungssachverhalten werden den für die Gefahrenabwehr zuständigen Polizeidienststellen – auch außerhalb von Nordrhein-Westfalen – übermittelt und dort einer Ein­zelfallbetrachtung unterzogen, aus der sich ggf. weitere Maßnahmen, wie z.B. die Information der oder des Betroffenen, ergeben. Statistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen der Landesregierung nicht vor.

  1. Welche Sicherungsmaßnahmen sind in diesen Fällen generell vorgesehen?
  2. Was hat die Landesregierung in den letzten Jahren konkret zum Schutz der be­troffenen Bürger in NRW unternommen?

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Alle Bürgerinnen und Bürger können sich im Falle einer etwaigen Gefährdung an die Polizei wenden. Dort erfolgt eine Beurteilung der Gefährdungslage. Diese umfasst die anlassbezo­gene oder wiederkehrend vorgenommene Analyse und Bewertung von Informationen sowie die Feststellung des Grades der Gefährdung.

Aus dem Grad der Gefährdung ergeben sich dann die weiteren Schutzmaßnahmen, welche in der bundeseinheitlichen Regelung der Polizeidienstvorschrift „Personen- und Objektschutz“ PDV 129 (VS-NfD) definiert und festgelegt sind. Die Maßnahmen werden hinsichtlich der Er-forderlichkeit, Dauer, Wirksamkeit und Umfang regelmäßig oder auch anlassbezogen über­prüft. Mit gefährdeten Personen wird nach Bekanntwerden einer Gefährdung ein ausführliches und auf die Person bezogenes Sicherheitsgespräch geführt. Inhalte und Umfang der Beratun­gen von betroffenen Personen orientieren sich am konkreten Einzelfall und dem Informations­bedürfnis der betroffenen Person.

Zudem hat das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen für politische Amts­trägerinnen und Amtsträger mit Wirkung vom 26. Juli 2019 die „Zentrale Ansprechstelle zu polizeilichen Sicherheitsfragen für politische Verantwortungsträger“ eingerichtet. Die An-sprechstelle ist organisatorisch beim Lagezentrum der Landesregierung angebunden und rund um die Uhr erreichbar. Nach erfolgter Kontaktaufnahme eines betroffenen Verantwortungsträ­gers mit der Ansprechstelle erfolgt von dort die fernmündliche Unterrichtung der zuständigen Kreispolizeibehörde mit der Bitte um unverzügliche Kontaktaufnahme mit dem Verantwor­tungsträger und Benennung einer Ansprechpartnerin oder eines Ansprechpartners sowie Prü­fung und ggf. Einleitung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und/oder Strafverfolgung.

Darüber hinaus wurde durch das Präventionsnetzwerk „#sicherimDienst“ die Zielgruppe der Mandats- und besonderen Amtsträgerinnen und Amtsträger bereits mit dem Präventionsleit-faden aus dem Jahr 2021 besonders betrachtet und konkrete Empfehlungen für diese Ziel­gruppe ausgesprochen.

Um die demokratischen Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Ehrenamtliche in der Kommunalpolitik besser vor Anfeindungen und tätlichen Übergriffen zu schützen, hat „#sicherimDienst“ in enger Kooperation mit dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, dem Deutschen Forum für Kriminalprävention, der Sicherheitskonferenz Ruhr und der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen aktuell Taschenkarten für die rund 20.000 Mandatsträgerinnen und Man­datsträger in ganz Nordrhein-Westfalen entwickelt. Die Taschenkarten bieten sowohl Hilfestel­lungen für Prävention ebenso wie für Reaktion im Bedrohungsfall als auch konkrete Bera­tungsangebote sowie Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Sicherheit von Man­datsträgerinnen und Mandatsträgern zu Hause, im Büro, in der Öffentlichkeit und im Internet.

 

MMD18-11367