Betreuung von Opfern einer Genitalverstümmelung in Nordrhein-Westfalen und Prä­vention zum Schutz potentieller zukünftiger Opfer

Kleine Anfrage
vom 29.01.2018

Kleine Anfrage 750
der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Thomas Röckemann AfD

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Laut einer empirischen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju­gend, die am 06.02.2017 auf einer Fachkonferenz von TERRE DES FEMMES präsentiert wurde 1, ², leben in Deutschland knapp 50.000 Frauen, die Opfer einer Genitalverstümmelung geworden sind. Nach Schätzungen der Studie sind zwischen 1500 und 5700 Mädchen, die in Deutschland leben, davon bedroht. Im Rahmen der Studie wurde festgestellt, dass sich die Anzahl der in Deutschland lebenden Opfer einer Genitalverstümmelung durch die vermehrte Migration zwischen Ende 2014 und Mitte 2016 um 30% erhöht hat. Die fünf Hauptherkunfts­länder, aus denen die meisten der in Deutschland betroffenen Frauen und Mädchen stammen, sind: Eritrea, Irak, Somalia, Ägypten und Äthiopien. Da viele Asylbewerber aus Ländern mit einer hohen Prävalenzrate nach Deutschland gekommen sind, ist davon auszugehen, dass sich seit der Veröffentlichung der oben genannten Studie die Anzahl der tatsächlichen und potentiellen Opfer in Deutschland weiter erhöht hat. Auch im Rahmen des geplanten Famili­ennachzugs ist von einer weiteren Zunahme auszugehen. Der ärztlichen und psychologischen Betreuung kommt deshalb eine immer größere Bedeutung zu.

In 29 Ländern sind weibliche Genitalverstümmelungen durch nationale Erhebungen der „Demographic and Health Surveys“ (DHS) dokumentiert:

Ägypten Äthiopien Benin Burkina Faso Elfenbeinküste
Dschibuti Eritrea Gambia Ghana Guinea
Guinea-Bissau Irak Jemen Kamerun Kenia
Liberia Mali Mauretanien Niger Nigeria
Senegal Sierra Leone Somalia Sudan Tansania
Togo Tschad Uganda Zentralafrikani­sche Rep.

Für diese Länder ist von hohen Prävalenzraten auszugehen. Somit ist auch in Deutschland die Wahrscheinlichkeit groß, dass Frauen und Mädchen aus diesen Ländern bzw. mit diesem Migrationshintergrund betroffen bzw. gefährdet sind. Mit Stichtag 31.05.2016 haben sich ca. 180.000 Frauen und Mädchen aus den 29 Risikoländern in Deutschland aufgehalten (davon ca. 125.000 über 18 Jahre und 55.000 unter 18 Jahre). Das durchschnittliche Beschneidungsalter liegt in den meisten der genannten Länder im Altersbereich zwischen 4 und 9 Jahren. In der Studie geht man von 47.359 Opfern und bis zu 5684 bedrohten Mädchen unter 18 Jahren in Deutschland aus.

Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES erklärte bezüglich der Thematik Genitalverstümmelung:

„Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, an der die meisten Frauen ein Leben lang leiden. Wir fordern, dass alle Regierungen weltweit diesen Eingriff in die Unversehrtheit von Mädchen und Frauen gesetzlich verbieten und aktiv bekämp­fen.“

1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/erste-studie-mit-zahlen-zur-weibli-chen-genitalverstuemmelung-fuer-deutschland-/113908

2 https://www.netzwerk-integra.de/startseite/studie-fgm/

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wieviel Fälle von Genitalverstümmelung sind in NRW bekannt? (bitte aufschlüsseln nach Jahr der Feststellung und Nationalität der Opfer)
  2. Inwieweit wird Genitalverstümmelung bei Schulungen und in der Ausbildung von Jugend­arbeitern, Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Lehrern, Polizisten und Ärzten thematisiert, um gefährdete Mädchen und Frauen zu identifizieren, mit dem Ziel ihnen helfen zu kön­nen?
  3. Wurden in NRW, z.B. aufgrund von Gesprächen mit Eltern, gefährdete Mädchen identifi­ziert? Machen sie bitte Angaben zur Anzahl der Fälle.
  4. Welche Beratungs- und Aufklärungsangebote gibt es in Nordrhein-Westfalen für die Eltern heranwachsender Mädchen, um Genitalverstümmelung frühzeitig zu verhindern?
  5. Welche Hilfsangebote stehen für die Opferbetreuung in NRW bereit (bitte aufschlüsseln nach Art und Organisation)?

Gabriele Walger-Demolsky
Thomas Röckemann

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 750 im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Inneren, dem Minister für Arbeit, Ge­sundheit und Soziales, der Ministerin für Schule und Bildung sowie dem Minister der Justiz wie folgt:

Frage 1: Wie viele Fälle von Genitalverstümmelung sind in NRW bekannt? (bitte aufschlüsseln nach Jahr der Feststellung und Na­tionalität der Opfer)

Als Datenbasis für die Beantwortung der Frage 1 dient die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Straftaten gemäß § 226a StGB werden seit dem 01.01.2014 in der PKS erfasst. In der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2017 wurde in der PKS keine Straftat gemäß § 226a StGB in NRW erfasst.

Frage 2: Inwieweit wird Genitalverstümmelung bei Schulungen und in der Ausbildung von Jugendarbeitern, Sozialarbeitern, So­zialpädagogen, Lehrern, Polizisten und Ärzten thematisiert, um gefährdete Mädchen und Frauen zu identifizieren, mit dem Ziel ihnen helfen zu können?

Die kommunalen Jugendämter müssen nach Kenntnis einer Gefähr­dung einer Genitalverstümmelung gemäß § 8a (1) SGB VIII zum Schutz des Kindes tätig werden. In diesem Zusammenhang sind somit alle in den Jugendämtern mit dem Jugendschutz befassten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter aufgefordert, im Rahmen ihrer dienstlichen Ver­pflichtungen betroffene Minderjährige zu schützen. Seitens der Lan­desjugendämter werden jährlich Fortbildungen und Schulungen für Jugendamtsmitarbeiterinnen und –mitarbeiter durchgeführt, um die Gefährdungslagen besser einschätzen und auf diese adäquat reagie­ren zu können.

Im Rahmen des Bachelorstudienganges für den Polizeivollzugsdienst werden unter anderem Körperverletzungsdelikte behandelt, hier wird bei der Behandlung der Körperverletzungsdelikte auch die Verbindung zum § 226a StGB hergestellt. Im Bereich der Fortbildung der Polizei wird das Thema „Genitalverstümmelung“ nicht als eigener Themen­komplex behandelt, gleichwohl werden in den Seminaren „Polizeilicher Opferschutz“ die Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörden NRW über unterschiedliche Delikte, deren physische und psychische Folgen sowie daraus resultierende Viktimisierungen informiert. Dar­über hinaus werden Beratungsstellen und spezifische Hilfeeinrichtun­gen wie z.B. das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ vorgestellt, welches Beratung und Unterstützung zu allen Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen bundesweit und in verschiedenen Sprachen an­bietet.

In den Dienstbesprechungen „Opferschutz“ des Landeskriminalamtes NRW wurde das Thema „Genitalverstümmelung“ im Zusammenhang mit der seit dem 1. Januar 2017 im Strafverfahrensrecht verankerten psychosozialen Prozessbegleitung für besonders belastete Opfer be­stimmter schwerer Straftaten erörtert. Auch Opfer von Genitalver­stümmelungen können bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzun­gen von dem Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung Ge­brauch machen.

Regelmäßig finden von den Ärztekammern und / oder anderen Trä­gern veranstaltete Fortbildungen für Ärztinnen und Arzte und Angehö­riger weiterer Gesundheitsberufe statt. Zudem wird das Thema im Rahmen der Fortbildungsangebote der Akademie für das öffentliche Gesundheitswesen (AföG) für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes berücksichtigt. Die gemeinsam mit den Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen, dem Berufs­verband der Frauenärztinnen und -ärzte NRW, dem Landesverband der Hebammen NRW sowie dem Verband der Kinder-und Jugendärz­tinnen und -ärzte NRW erarbeitete Handreichung für das Gesund­heitswesen vermittelt Basiswissen zu Genitalverstümmelung für Be­schäftigte des Gesundheitswesens.

Frage 3: Wurden in NRW, z.B. aufgrund von Gesprächen mit El­tern, gefährdete Mädchen identifiziert? Machen sie bitte Angaben zur Anzahl der Fälle.

Nach Angaben der landesgeförderten Beratungsstelle stop mutilation e.V. wurden 2017 in Nordrhein-Westfalen Beratungsgespräche mit Eltern von insgesamt 89 potenziell gefährdeten Mädchen durchge­führt.

Frage 4: Welche Beratungs- und Aufklärungsangebote gibt es in Nordrhein-Westfalen für die Eltern heranwachsender Mädchen, um Genitalverstümmelung frühzeitig zu verhindern?

Die Beratungsstelle stop mutilation e.V. bietet neben der Unterstüt­zung für Betroffene auch Beratungen für Eltern, weitere Familienange­hörige und soziale Kontaktpersonen an.

Durch Information und Aufklärung über die Problematik durch das Bil­dungsportal KUTAIRI der Aktion Weißes Friedensband e.V., Fachver­anstaltungen und Handreichungen sowie Vernetzung in dem Themen­feld maßgeblicher Akteure (Runder Tisch NRW gegen die Beschnei­dung von Mädchen) wird ein wesentlicher Beitrag zur Prävention von weiblicher Genitalverstümmelung geleistet.

Frage 5: Welche Hilfeangebote stehen für die Opferbetreuung in NRW bereit (bitte aufschlüsseln nach Art und Organisation)?

Grundsätzlich stehen allen Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, die Hilfeangebote der Frauenberatungs­stellen offen. Zudem befassen sich die beiden Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe wie auch Träger der freien Jugendhilfe mit der Betreuung von Opfern nach dem Opferentschädigungsgesetz. Die im Rahmen des Förderprogrammes „Soziale Beratung von Flücht­lingen in Nordrhein-Westfalen“ geförderten Psychosozialen Zentren (PSZ) bieten Flüchtlingen, die durch Verfolgung, Folter, Haft, Krieg und durch die Flucht traumatisiert oder psychisch erkrankt sind, Psy­chotherapie, psychosoziale Beratung und therapiebegleitende Sozialarbeit an. Auch für Opfer einer Genitalverstümmelung besteht die Möglichkeit, sich an diese Beratungsstellen zu wenden.

Seit dem 1. Dezember 2017 können sich Opfer von Straftaten zudem an die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wenden.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 2 verwiesen.

Mit freundlichen Grüßen

Ina Scharrenbach