Kleine Anfrage 5530der Abgeordneten Andreas Keith und Dr. Martin Vincentz vom 28.05.2021
„Betrugsmasche Coronatest?“ Abrechnung wird nicht kontrolliert und Zahl der Abstriche verfälscht?
Ärzte, Apotheker und ‚Amateure‘ haben seit März durch Bürgertests eine neue Einnahmequelle erschlossen. Recherchen von WDR, NDR und SZ zeigen, wie unkontrolliert das Ganze zum Teil vonstattengeht. Abrechnungen werden von keiner Behörde geprüft – und Testbetreiber melden hunderte Abstriche zu viel.
Wer kostenlose Bürgertests anbieten will, braucht dazu meist kaum Voraussetzungen: Ein Onlinekurs über die Abstrich-Entnahme reicht vielerorts aus, und schon kann man beim Gesundheitsamt einen Antrag auf Eröffnung eines Testzentrums stellen – was in den meisten Fällen auch ohne Schwierigkeiten genehmigt wird.
Nordrhein-Westfalen meldete Mitte März noch 1.862 Teststellen, Mitte April waren es bereits 5.776 und Mitte Mai dann 8.735, wie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mitteilt.
Abrechnen können die Teststellen pro Bürgertest 18 Euro, die sich aufteilen in 12 Euro für die eigentliche Testung und bis zu 6 Euro für das Material. Ein Überblick darüber, wieviel Geld inzwischen für diese Tests ausgegeben wurden, ist schwer zu erlangen. Weder die Gesundheitsämter noch die Kassenärztliche Vereinigungen, noch das Bundesamt und schon gar nicht das Gesundheitsministerium fühlen sich zuständig, zu kontrollieren, ob bei der Abrechnung alles korrekt läuft.1
Der Grund für diesen Missstand liegt bereits in der Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Dort heißt es § 7 Abs. 4 ausdrücklich: „Die zu übermittelnden Angaben dürfen keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen.“ Mit anderen Worten: Die Testzentren dürfen weder Namen noch Anschrift der Getesteten übermitteln, sie müssen noch nicht einmal nachweisen, dass sie überhaupt Antigentests eingekauft haben. Stattdessen reicht es, wenn sie den Kassenärztlichen Vereinigungen lediglich die nackte Zahl der Getesteten ohne jeglichen Beleg übermitteln – und schon bekommen sie kurze Zeit später das Geld überwiesen.2
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Damit ein Testzentrum Geld für einen Test von der Kassenärztlichen Vereinigung erhält, müssen Belege vor Ort aufgehoben, aber nicht eingereicht werden. Den Recherchen von WDR, NDR und SZ zufolge fühlt sich keine Behörde dafür zuständig, die Belege vor Ort zu kontrollieren. Wer ist für die Kontrolle von Belegen vor Ort in Nordrhein-Westfalen verantwortlich?
- In wie vielen Fällen sind bei Kontrollen von Belegen vor Ort Unregelmäßigkeiten aufgefallen? (Bitte aufschlüsseln nach Ort und Art der Unregelmäßigkeit)
- Inwieweit kann die Landesregierung garantieren, dass kein grundsätzlicher Betrug bei Schnelltest-Abrechnungen stattfinden kann?
- Welche Strafen drohen Betreibern von Corona-Schnelltestzentren bei Betrug im Rahmen von Schnelltest-Abrechnungen?
- Inwiefern sieht die Landesregierung Handlungsbedarf bei der Konkretisierung bzw. Änderung des § 7 Coronavirus-Testverordnung?
Andreas Keith
Dr. Martin Vincentz
1 https://www.deutschlandfunk.de/coronavirus-recherchen-von-wdr-ndr-und-sueddeutscher.1939.de.html?drn:news_id=1263569
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 5530 mit Schreiben vom 5. Juli 2021 namens der Landesregierung beantwortet.
1. Damit ein Testzentrum Geld für einen Test von der Kassenärztlichen Vereinigung erhält, müssen Belege vor Ort aufgehoben, aber nicht eingereicht werden. Den Recherchen von WDR, NDR und SZ zufolge fühlt sich keine Behörde dafür zuständig, die Belege vor Ort zu kontrollieren. Wer ist für die Kontrolle von Belegen vor Ort in Nordrhein-Westfalen verantwortlich?
Die Kontrollen der Kommunen in den Teststellen beziehen sich auf die von ihnen zu prüfenden Qualitätsmerkmale und beziehen zunächst das Abrechnungsverfahren ausdrücklich nicht mit ein, da dieses Verfahren nicht in der Verantwortung des Landes und der Kommunen liegt. Die Abrechnungen der Tests erfolgt nach der Coronavirustestverordnung des Bundes über die Kassenärztlichen Vereinigungen mit dem Bund.
Die Kommunen wurden jedoch gebeten, im Rahmen ihrer Qualitätskontrollen möglichst auch stichprobenartig das Vorhandensein der vorgeschriebenen Dokumentation in den Blick zu nehmen. Inwieweit die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Prüfungen vorgenommen haben, ist nicht bekannt. Es ist jedoch sichergestellt, dass jede Teststelle, deren Beauftragung widerrufen wurde, der KV gemeldet wird, so dass unzulässige Abrechnungen der nicht mehr zur Testung berechtigten Teststellen unterbunden werden.
2. In wie vielen Fällen sind bei Kontrollen von Belegen vor Ort Unregelmäßigkeiten aufgefallen? (Bitte aufschlüsseln nach Ort und Art der Unregelmäßigkeit)
Konkrete Angaben zu Unregelmäßigkeiten und Betrugsvorfällen können nicht gemacht werden.
3. Inwieweit kann die Landesregierung garantieren, dass kein grundsätzlicher Betrug bei Schnelltest-Abrechnungen stattfinden kann?
Eine Garantie, dass sich alle Menschen gesetzeskonform verhalten, kann niemand geben. Auch konkrete rechtliche Regelungen und regelmäßige Kontrollen können nicht davor schützen, dass Einzelne versuchen, sich unrechtmäßig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen. Entscheidend ist, dass die Vorschriften zur Dokumentation etc. so gestaltet sind, dass man Betrügern im Nachhinein „auf die Schliche“ kommen und die ordnungsgemäßen Abrechnungen überprüfen kann. Diese Voraussetzungen wurden für Nordrhein-Westfalen durch die Coronateststrukturverordnung geschaffen. Eine nachgelagerte Kontrolle durch die zuständigen Stellen ist damit vollumfänglich möglich.
4. Welche Strafen drohen Betreibern von Corona-Schnelltestzentren bei Betrug im Rahmen von Schnelltest-Abrechnungen?
Betrug ist ein Straftatbestand, der laut § 263 Absatz 1 Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. In den bekannt gewordenen Betrugsver-dachtsfällen sind Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Welche konkrete Strafe verhängt wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, so dass eine Aussage dazu vor Abschluss der Verfahren nicht möglich ist.
5. Inwiefern sieht die Landesregierung Handlungsbedarf bei der Konkretisierung bzw. Änderung des § 7 Coronavirus-Testverordnung?
Die durch die Medien bekannt gewordenen Betrugsverdachtsfälle haben einen Konkretisie-rungsbedarf der Abrechnungsverfahren in der Coronavirustestverordnung (TestV) aufgezeigt, den der Bund zügig aufgegriffen hat. Der bereits vorliegende Entwurf sieht einen neuen § 7a mit konkreten Regelungen für die Abrechnungsüberprüfungen vor. Neben zahlreichen Informationspflichten sind Überprüfungsverpflichtungen für die Kassenärztlichen Vereinigungen benannt, die ausdrücklich rückwirkend gelten sollen.