Bezirksregierung Arnsberg legt aktuelle Zahlen vor: 30 Kommunen in NRW nehmen deutlich mehr Geflüchtete auf, als es für sie verpflichtend wäre.

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1797

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Bezirksregierung Arnsberg legt aktuelle Zahlen vor: 30 Kommunen in NRW nehmen deutlich mehr Geflüchtete auf, als es für sie verpflichtend wäre.

Wie aus der aktuellen Verteilstatistik zum Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) hervorgeht, gibt es 30 NRW-Kommunen, die eine weit überproportionale Zuweisung von Flüchtlingen gem. § 3 FlüAG zu verzeichnen haben.1

Der Spitzenreiter in NRW ist aktuell Soest mit einer „Erfüllungsquote“ von 183 Prozent. Soest hat zurzeit 576 Personen in kommunalen Einrichtungen aufgenommen, obwohl die Zuweisung eigentlich bei „Null“ liegen müsste. Das hängt mit der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes mit einer aktiven Kapazität von 1.200 Plätzen zusammen, für die eine quantitative Anrechnung bei der FlüAG-Zuweisung vorgesehen ist.2

Weitere Kommunen mit einer – teils erheblichen – Übererfüllung3 sind Altena, Augustdorf, Bad Driburg, Bad Lippspringe, Bad Sassendorf, Barntrup, Bergneustadt, Bielefeld, Bonn, Borgenteich, Borgholzhausen, Bünde, Büren, Castrop-Rauxel, Detmold, Drensteinfurt, Duisburg, Düren, Düsseldorf, Espelkamp, Gummersbach, Heimbach, Herford, Kierspe, Kirchhundem, Lage, Marienheide, Medebach, Meinerzhagen, Minden, Mönchengladbach, Nettersheim, Oberhausen, Ostbevern, Rees, Sankt Augustin, Selm, Unna, Waldbröl, Weeze, Wetter (Ruhr), Wickede (Ruhr) und Wuppertal.

Wie aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1607 hervorgeht, mussten im Jahr 2022 insgesamt 169 von 394 NRW-Kommunen in Bezug auf die Aufnahme von Asylsuchenden eine Überlastungsanzeige stellen. Das zeigt deutlich, wie angespannt die Situation in vielen Kommunen ist. Verständlicherweise kommen immer lautere Hilferufe aus den Kommunen.

Die Zuweisungen erfolgen in NRW durch die Bezirksregierung Arnsberg. Sie richtet sich nach einem Verteilschlüssel, der den Einwohneranteil der Gemeinden an der Gesamtbevölkerung (Einwohnerschlüssel) und den Flächenanteil der Gemeinden an der Gesamtfläche (Flächenschlüssel) berücksichtigt. Gibt es Landesunterkünfte in der Kommune, erfolgt eine Anrechnung.

Zusätzlich zu den Zuweisungen gem. § 3 FlüAG erfolgen Zuweisungen aus den Landeseinrichtungen gem. § 12a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Dabei handelt es sich um Anerkannte Schutzberechtigte. Im Jahr 2022 wurden so insgesamt weitere 14.488 Personen den Kommunen zugewiesen.4

Die angespannte Unterbringungssituation in zahlreichen Kommunen stellt mittlerweile auch die Angemessenheit der Verteilschlüssel gem. § 3 FlüAG und § 12a AufenthG in Frage.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung die besonders von einer „Übererfüllung“ betroffenen Kommunen, insbesondere Soest, zu unterstützen?
  2. Wie konnte es – trotz Kenntnis der anzurechnenden Personenzahl durch die ZUE – in Soest zu einer „Erfüllungsquote“ von 183 Prozent kommen?
  3. Inwiefern ist im Zuge der aktuellen Migrations- und Grenzschutzkrise eine Evaluation der Verteilschlüssel gem. § 3 FlüAG und § 12a AufenthG vorgesehen?
  4. Sollte es in absehbarer Zeit zu keiner Kehrtwende in der Grenzschutzpolitik kommen, geht die Bundespolizei von bis zu 400.000 neuen Asylanträgen im Jahr 2023 aus, folglich von mindestens 80.000 Zuweisungen nach NRW und im Anschluss in die NRW-Kommunen. Wie möchte die Landesregierung vor dem Hintergrund der eh bereits angespannten bis überspannten Lage in den Kommunen dieser Problematik begegnen?
  5. Welche zusätzliche landesweite Aufnahmekapazität in den Kommunen sieht die Landesregierung, unabhängig von der Unterbringung in Landes- oder kommunalen Einrichtungen, bevor die Belastungsgrenze auch nach Ansicht der Landesregierung erreicht ist? (Bitte eine möglichst konkrete Zahl nennen oder – als Information für die Kommunen – alternativ ankündigen, dass von Seiten der Landesregierung keinerlei Obergrenze vorgesehen ist)

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. https:// www .bra.nrw.de/system/files/media/document/file/verteilstatistik-fluag-2023-04-21.pdf

2 Vgl. https:// www1 .wdr.de/nachrichten/fluechtlinge-verteilung-kommunen-karte-nrw-100.html

3 Übererfüllung größer 110 %

4 Vgl. Lt.-Vorlage 18/954


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1797 mit Schreiben vom 29. Juni 2023 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.

  1. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung die besonders von einer „Übererfüllung“ betroffenen Kommunen, insbesondere Soest, zu unterstützen?

Derzeit werden Maßnahmen geprüft, die auf eine Entlastung von Kommunen mit einer deutli­chen Übererfüllung abzielen. Ein wesentliches und wichtiges Ziel ist der weitere Ausbau der Landesunterbringungskapazitäten an neuen Standorten, um Geflüchtete im Landessystem flä­chendeckender unterbringen zu können und insbesondere Kommunen mit großen Einrichtun­gen wie z.B. Soest perspektivisch zu entlasten.

  1. Wie konnte es – trotz Kenntnis der anzurechnenden Personenzahl durch die ZUE – in Soest zu einer „Erfüllungsquote“ von 183 Prozent kommen?

Die Stadt Soest erhält aufgrund der auf ihrem Stadtgebiet betriebenen Zentralen Unterbrin­gungseinrichtungen mit einer Regelkapazität von 1.200 Plätzen eine Anrechnung im Umfang von 600 Personen auf die eigene Aufnahmeverpflichtung (vgl. § 3 FlüAG). Durch die Inbetrieb­nahme der Leichtbauhallen auf dem Gelände der ZUE mit einer Kapazität von 600 Unterbrin­gungsplätzen hat sich diese Anrechnung auf nunmehr 900 Personen erhöht. Dadurch hat sich auch die Erfüllungsquote der Stadt Soest in rechnerischem Umfang merklich erhöht, ohne dass tatsächlich kommunale Zuweisungen in nennenswertem Umfang erfolgen. Der aktuellen FlüAG-Verteilstatistik vom 26.05.2023, abrufbar unter https://www.bra.nrw.de/integration-mig-ration/fluechtlinge-nrw/informationen-fuer-kommunen/zuweisung-nach-dem-fluechtlingsauf-nahmegesetz, ist zu entnehmen, dass die Zahl der der Stadt Soest angerechneten Landes-plätze höher ist als der tatsächliche FlüAG-Bestand, so dass die Aufnahmeverpflichtung bei Null liegt.

Zuweisungen nach dem FlüAG in Kommunen, die ihre Aufnahmeverpflichtung erfüllen bzw. übererfüllen, erfolgen in der Regel nicht. Gleichwohl finden in Einzelfällen zum Beispiel Zuwei­sungen von Personen statt, bei denen im Rahmen der Zuweisungsentscheidung Gründe ge­mäß § 50 Abs. 4 AsylG (Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen, humanitäre Gründe) zu berücksichtigen sind. Daneben gibt es Fälle, in denen sich die Kommune unter Anrechnung auf die FlüAG-Aufnahmeverpflichtung freiwillig zu einer Aufnahme bereiterklären kann.

Darüber hinaus wird die Erfüllungsquote nach dem FlüAG auch dadurch beeinflusst, dass in der Bestandsstatistik auch aus der Ukraine geflüchtete Personen, die die Erteilung einer Auf­enthaltserlaubnis gem. § 24 Abs. 1 AufenthG begehren, als sog. Zählfälle geführt werden. D.h. Kommunen mit einem hohen Bestand an Geflüchteten aus der Ukraine weisen in der Regel eine hohe FlüAG-Erfüllungsquote auf.

  1. Inwiefern ist im Zuge der aktuellen Migrations- und Grenzschutzkrise eine Evaluation der Verteilschlüssel gem. § 3 FlüAG und § 12a AufenthG vorgesehen?

Nordrhein-Westfalen steht zu seiner humanitären Verantwortung, Menschen, die bei uns Zu­flucht vor Krieg, Gewalt, Terror und Verfolgung suchen, bei uns Schutz zu gewähren. Es ist dem Land ein Anliegen, bei der Zuweisung von Geflüchteten die Voraussetzungen für eine gelingende Integration zu schaffen. In diesem Zusammenhang wird die Landesregierung auch prüfen, ob eine Verschränkung der Zuweisungsschlüssel nach § 3 FlüAG und § 12a AufenthG sinnvoll ist.

  1. Sollte es in absehbarer Zeit zu keiner Kehrtwende in der Grenz-schutzpolitik kommen, geht die Bundespolizei von bis zu 400.000 neuen Asylanträgen im Jahr 2023 aus, folglich von mindestens 80.000 Zuweisungen nach NRW und im An­schluss in die NRW-Kommunen. Wie möchte die Landesregierung vor dem Hintergrund der eh bereits angespannten bis überspannten Lage in den Kommunen dieser Proble­matik begegnen?

Der Landesregierung ist eine solche Prognose nicht bekannt.

  1. Welche zusätzliche landesweite Aufnahmekapazität in den Kommunen sieht die Landesregierung, unabhängig von der Unterbringung in Landes- oder kommuna­len Einrichtungen, bevor die Belastungsgrenze auch nach Ansicht der Landesre­gierung erreicht ist? (Bitte eine möglichst konkrete Zahl nennen oder als Infor­mation für die Kommunen alternativ ankündigen, dass von Seiten der Landesre­gierung keinerlei Obergrenze vorgesehen ist)

Die Landesregierung wird auch weiterhin ihrer humanitären Verantwortung und ihrer rechtli­chen Verpflichtung nachkommen, Geflüchteten eine Aufnahme im Land zu gewähren.

 

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