Breitensportorientierte Vereine beim Neustart unterstützen: Zahlungsunfähigkeiten verhindern, Vereinseintritte fördern, den Breitensport krisensicher machen!

Antrag
vom 22.06.2021

Antragder Fraktion vom 22.06.2021

 

Breitensportorientierte Vereine beim Neustart unterstützen: Zahlungsunfähigkeiten verhindern, Vereinseintritte fördern, den Breitensport krisensicher machen!

I. Ausgangslage

Das „Corona-Jahr 2020“ hat die nordrhein-westfälischen Sportvereine in unterschiedlicher Weise getroffen. Das zeigt sich insbesondere bei der Mitgliederentwicklung. Insgesamt 5.084.086 Menschen waren im vergangenen Jahr Mitglieder eines Sportvereins davon haben 166.048 ihren jeweiligen Verein mittlerweile verlassen (Stand April 2021: 4.918.038 Mitglieder). Während kleine und mittelgroße Vereine aufgrund geringerer Fixkosten für Personal und für den Betrieb ihrer Sportstätten relativ gut durch die Krise gekommen sind, drohen Vereinen mit mehr als 1.000 Mitgliedern – davon gibt es in NRW insgesamt 715 – in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Ursache dafür ist unter anderem der Mitgliederrückgang, der bei Vereinen im Durchschnitt 13 Prozent beträgt.1

Die Lockdown-bedingten Schließungen der Vereinssportanlagen haben mitunter dazu geführt, dass die überlebenswichtigen Mitgliedseintritte zur Jahreswende ausgeblieben sind. Die notwendigen Ausgaben für umfangreiche Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen stellen einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor dar, der die Vereinskassen zusätzlich belastet und die Planungssicherheit erschwert. Dem gegenüber stehen fehlende Beitragseinnahmen, die die Vereine nicht durch Förderprogramme des Landes kompensieren dürfen. Denn anders als bei kommerziellen Anbietern stellen Mitgliedsbeiträge für Vereine keinen Umsatz im steuerrechtlichen Sinne dar. Die Gewährung staatlicher Umsatzausfallhilfen kommt für Vereine daher überwiegend nicht infrage.

Die Dringlichkeit der Lage zeigt sich anhand einer Studie des DOSB. So rechnen bundesweit 22,1 Prozent aller Vereine „mit einer existenziellen Bedrohung aufgrund pandemiebedingter finanzieller Engpässe“.2

Die Finanzausfälle bewegen sich bei Vereinen im hohen dreistelligen Bereich: So hat beispielsweise der TSC Eintracht aus Dortmund Einnahmeausfälle in Höhe von 400.000 Euro für das Jahr 2020 zu beklagen und gibt an, dass bis Ende 2021 mit weiteren Ausfällen in Höhe von 900.000 Euro zu rechnen sei.3 Zum Vergleich: Mit der bis zum 15. Juni 2021 verlängerten „Soforthilfe Sport“ gewährte das Land Nordrhein-Westfalen den Vereinen im Falle einer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstandenen Unterdeckung eine Hilfe in Höhe von höchstens 50.000 Euro.4 Zu wenig für Vereine mit einem Millionenetat. Der Status als gemeinnütziger Verein bedeutet schließlich, dass keine Rücklagen gebildet werden dürfen. Den Vereinen drohen Finanzengpässe, die den Erhalt der lokalen Sportinfrastruktur gefährden. Denn breitensportorientierte Vereine stellen den überwiegenden Teil der Sportanlagen. Eine Zahlungsunfähigkeit hätte demnach nicht nur für Vereinsmitglieder, sondern auch für die gesamte Gesellschaft unmittelbare Folgen.

Vereine haben dank zahlreicher Abteilungen den Vorteil, ihren Mitgliedern ein breites Sportangebot anbieten zu können. Doch nicht selten ist diese Möglichkeit auch mit höheren Beiträgen verbunden, die mit denjenigen kommerzorientierter Sportangebote vergleichbar sind. Für sozial schwache oder von Kurzarbeit betroffene Familien ist die Zahlung von Vereinsbeiträgen keine Selbstverständlichkeit. Denn abgesehen vom Vereinsbeitrag entstehen zusätzliche Ausgaben durch Fahrtkosten sowie durch den notwendigen Kauf von Sportgeräten und Bekleidung. Je nach Sportart und Verein reicht auch die Unterstützung, die Familien mit geringem Einkommen aus dem Paket für Bildung und Teilhabe erhalten, nicht aus. Gemeinnützige Vereine hatten jedoch nicht die Möglichkeit, ihre Mitglieder durch die Aussetzung von Beiträgen während des Lockdowns zu entlasten, da sie damit gegen die Satzung verstoßen und ihre Gemeinnützigkeit verloren hätten.5 Kinder aus prekären Verhältnissen laufen seither Gefahr, den Zugang zum Sport zu verlieren.

Bereits vor Corona war der Zugang zum aktiven Vereinssport zunehmend abhängig vom sozialen Hintergrund. Im 4. Kinder- und Jugendsportbericht heißt es dazu:

„Untersuchungen zeigen, dass Kinder aus sozial schwachen Familien weniger aktiv, gesundheitlich stärker beeinträchtigt und weniger häufig Vereinsmitglied sind, sowohl im Sport als auch im Bereich Kultur.“6

Der Bewegungsnotstand innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe durfte sich in Folge des zweiten Lockdowns noch weiter verschärft haben, da dieser die Bewegungszeit im organisierten Sport massiv reduziert hat, und zwar von durchschnittlich 28,5 Minuten auf 3,8 Minuten am Tag!7 Die volksgesundheitlichen Folgekosten dieses Bewegungsnotstands dürfen keinesfalls unterschätzt werden, weil das Ausmaß der durch fehlenden Sozialkontakt ausgelösten psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen noch gar nicht absehbar ist.8

Vor diesem Hintergrund hat die Politik die Pflicht, den Breitensport bei der Entwicklung einer Neustartstrategie zu unterstützen, damit Menschen und Vereine mittelfristig wieder zueinanderfinden. Auf diese Weise ließen sich Synergieeffekte erzielen, die sowohl den Vereinen die nötigen Mitglieder verschaffen als auch den Kindern und Jugendlichen die Chance geben, im organisierten Sport aktiv zu werden und sozialen Anschluss zu finden.

Des Weiteren müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es erlauben, den Sportbetrieb vor einem erneuten Stillstand im Falle einer vierten Covid-19-Welle im Herbst zu bewahren. Zu diesem Zweck sind die aktuellen Sportstufenpläne dringend zu überarbeiten, um das Infektionsrisiko bei den jeweiligen Sportarten stärker in den Blick zu nehmen. Denn nicht jede Sportart birgt auch dieselbe Ansteckungsgefahr. Die 7-Tage-Inzidenz als alleiniges Maß bei der Beurteilung des Infektionsgeschehens ist überholt und im Sport unzureichend.

II. Der Landtag stellt fest, dass

  1. die nordrhein-westfälischen Sportvereine infolge des Pandemiegeschehens sowie des daraus resultierenden zweiten Lockdowns mit einem ernstzunehmenden Mitgliederschwund konfrontiert sind, der die betroffenen Vereine zunehmend vor finanzielle Schwierigkeiten stellt;
  2. Vereine durch laufende Betriebs- und Personalkosten, durch ausbleibende Mitgliedseintritte sowie durch Mehrausgaben für Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen im Vergleich zu kleinen und mittelgroßen Vereinen überproportional belastet werden;
  3. breitensportorientierte Vereine ihre Einnahmeausfälle mithilfe der Förderprogramme des Landes bzw. durch staatliche Umsatzausfallhilfen gar nicht oder nur begrenzt kompensieren können;
  4. sozial schwache Familien, die bereits vor Corona seltener Zugang zum Vereinssport hatten, durch den Wegfall des organisierten Sports gesundheitlich am stärksten betroffen sind;
  5. die Förderung einer Neustartstrategie für den Breitensport in Nordrhein-Westfalen unerlässlich ist, um den Sportbetrieb auch im Falle einer vierten Welle aufrechterhalten zu können.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. ein Förderprogramm aus Landesmitteln für gemeinnützige Sportvereine, die von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind, zu entwickeln. Dazu sind u. a. die bisher nicht abgeflossenen Mittel des Sonderprogramms „Heimat, Tradition und Brauchtum“ oder der „Soforthilfe Sport“ zu verwenden. Zweck ist die Gewährung von Betriebskostenzuschüssen für gedeckte wie ungedeckte vereinseigene Sportanlagen pro Quadratmeter. Bei Anmietung von kommunalen Räumen sind wiederum Mietkostenzuschüsse – ebenfalls pro Quadratmeter – zur Verfügung zu stellen;
  2. den betroffenen Vereinen über das oben genannte Förderprogramm die Beantragung von Zuschüssen für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ihrer ehrenamtlich tätigen Mitglieder zu ermöglichen;
  3. einkommensschwachen Personen, die bis zum 31. Januar 2022 Mitglied eines Sportvereins werden, der die Bedingungen des oben genannten Förderprogramms erfüllt, die Möglichkeit zu geben, nach 12 Monaten Mitgliedschaft einmalig einen Teil ihres jährlichen Beitrags erstattet zu bekommen;
  4. wissenschaftliche Experten, den Landessportbund sowie die Deutsche Sportjugend mit der Auswertung der bisher verfügbaren wissenschaftlichen Studien zum Sars-CoV-2-Infektionsrisiko im Sport zu beauftragen. Auf Grundlage der daraus gewonnenen Erkenntnisse soll eine Überarbeitung der aktuellen Sportstufenpläne erfolgen. Neben dem Inzidenzwert sollen auf diese Weise Faktoren wie das individuelle Infektionsgeschehen bei den jeweiligen Sportarten sowie die Effektivität bestimmter Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen stärker in den Fokus gerückt werden;
  5. sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass Mitgliedsbeiträge für gemeinnützige Sportvereine bei der Beantragung staatlicher Umsatzausfallhilfen übergangsweise als Umsätze im steuerrechtlichen Sinne gewertet werden.

Andreas Keith
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 https://www.lsb.nrw/fileadmin/global/media/Downloadcenter/LSB-Magazin/Wir_im_Sport_2_2021.pdf, S. 14-18.

2 https://ehrenamt.dosb.de/news/details/fuer-sportvereine-wird-lage-immer-schwieriger

3 https://www.radio912.de/artikel/corona-dortmunder-sportvereine-in-der-krise-877619.html

4 https://www.lsb.nrw/service/foerderungen-zuschuesse/soforthilfe-fuer-den-sport-in-nrw

5 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vereine-mitgliedsbeitraege-erstattung-corona-1.5302258

6 https://www.krupp-stiftung.de/vierterkinderundjugendsportbericht/

7 https://magazin2.lsb.nrw/2021/03/0013.html, S. 26.

8 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/123573/Studien-Stress-und-psychische-Probleme-haben-in-der-Pandemie-zugenommen