Kleine Anfrage 1104
der Abgeordneten Markus Wagner und Dr. Martin Vincentz vom 20.01.2023
Cannabis-Legalisierung belastet bayrisches Gesundheitssystem – Ist Nordrhein-Westfalen ebenfalls bedroht?
„Cannabis steht bei den Notaufnahmen der unter 19-Jährigen aufgrund von Drogenkonsum an erster Stelle in Europa.“1
Diesen erschreckenden Erfahrungsbericht lieferte Dr. rer. nat. E., Leiterin der Forschungsgruppe Cannabis, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München, auf einem Fachsymposium der Landesärztekammer Baden-Württemberg im November 2021.
Die Bundesregierung, vorrangig Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken einzuführen. Denn bisher ist der Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland verboten. Dabei gehe es ihr unter anderem um Verbraucherschutz und eine bessere Prävention. Obwohl viele Ärzte die Legalisierung der Droge kritisch sehen und die entstandene Diskussion über die Einführung sehr kontrovers geführt wird, will der Minister daran festhalten. Zur Begründung wird dazu im Koalitionsvertrag ausgeführt, dass dadurch „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“ werde.2
Cannabis zähle weiterhin zu den am weitesten verbreiteten illegalen Substanzen in Deutschland. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dies dazu führte, dass der Anteil der erstmals aufgrund von Cannabinoiden Behandelten im Jahre 2020 erneut gestiegen ist. Dementsprechend warnte der 125. Deutsche Ärztetag 2021 vor den möglichen Risiken für die Gesundheit der Konsumierenden und den Folgen für die medizinische Versorgung. Außerdem würde eine Legalisierung die negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums insbesondere bei Kinder und Jugendlichen verharmlosen.3
Daher war es auch nicht sonderlich überrascht, dass Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) erst kürzlich davon berichtete, dass immer mehr Menschen in Bayern nach Haschkonsum wegen einer Psychose behandelt werden müssten. Er warnte darüber hinaus gleichzeitig vor einer Freigabe von Cannabis. Wie dramatisch die Lage mittlerweile ist, machen die Fallzahlen deutlich, die zwischen 2008 und 2020 von 56 auf 631 Fälle anstiegen. Demnach habe es bei den stationär behandelten Psychosen in Verbindung mit Cannabis mehr als eine Verzehnfachung gegeben. Im ambulanten Bereich sei die Zahl der Psychosen zwischen 2018 und 2020 von 1513 auf 2007 Fälle gestiegen. Mit Blick auf einzelne Bundesstaaten der USA, in denen Cannabis legalisiert worden sei, hätten sich dort die Fallzahlen bei den Behandlungen drastisch erhöht. Auch Holetschek wies darauf hin, dass gerade in der Altersgruppe der 15-bis 25-Jährigen Cannabis derzeit die mit Abstand bedeutendste und am häufigsten konsumierte illegale Droge sei. Dementsprechend gäbe es nur eine Schlussfolgerung:
„Die beste Prävention wäre (…), die Droge gar nicht erst zu legalisieren.“4
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie entwickeln sich die Fallzahlen in Nordrhein-Westfalen von stationär behandelten Psychosen in Verbindung mit Cannabis seit 2010 bis heute? (Bitte nach Alter und Geschlecht des Patienten aufschlüsseln.)
- Wie entwickeln sich die Fallzahlen von Psychosen in Nordrhein-Westfalen im ambulanten Bereich seit 2010 bis heute? (Bitte nach Alter und Geschlecht des Patienten aufschlüsseln.)
- Wird sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dafür stark machen, dass der Konsum von Cannabinoiden auch weiterhin nicht legalisiert wird?
- Welche jährlichen Kosten entstehen für das allgemeine Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen durch die in Frage 1 und 2 abgefragten notwendigen Behandlungsmaßnahmen? (Bitte seit 2010 pro Jahr aufschlüsseln.)
Markus Wagner
Dr. Martin Vincentz
1 Vgl. h t t p s : // w w w . ae rz t e bl a t t . d e/ a rchiv/222411/Legalisierung-von-Cannabis-Risiken-fuer-die-Gesundheit.
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 https://www.welt.de/politik/deutschland/article243106459/Zahl-der-Psychosen-steigt-Cannabis-Legalisierung-geht-zu-Lasten-des-Gesundheitssystems-sagt-Holetschek.html.
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1104 mit Schreiben vom 24. Februar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister des Innern beantwortet.
- Wie entwickeln sich die Fallzahlen in Nordrhein-Westfalen von stationär behandelten Psychosen in Verbindung mit Cannabis seit 2010 bis heute? (Bitte nach Alter und Geschlecht des Patienten aufschlüsseln.)
Der Landesregierung liegen Daten zu Krankenhausfällen aufgrund der Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide“ (ICD-10 Code F12) vor. Darunter fallen neben psychotischen Störungen aufgrund von Cannabinoiden (F12.5) auch andere psychische und Verhaltensstörungen, z. B. durch Cannabinoide verursachte Intoxikationen (F12.0) oder durch Cannabinoide verursachte Abhängigkeitssyndrome (F12.2).
Die Fallzahlen sind für den Zeitraum von 2010 bis 2021 in den drei Altersgruppen „unter 25 Jahre“, „25 bis 59 Jahre“ und „60 Jahre und älter“ in der Anlage 1 dargestellt.
Bei den dargestellten Daten ist zu beachten, dass es sich um Behandlungsfälle und nicht um Personen handelt. Das bedeutet, dass eine Person aufgrund derselben Diagnose innerhalb eines Jahres auch mehrfach erfasst werden kann und damit mehrere Behandlungsfälle generiert.
- Wie entwickeln sich die Fallzahlen von Psychosen in Nordrhein-Westfalen im ambulanten Bereich seit 2010 bis heute? (Bitte nach Alter und Geschlecht des Patienten aufschlüsseln.)
Mit Blick auf den Gesamtkontext der Kleinen Anfrage unterstellend, dass hier ebenfalls nach Psychosen in Verbindung mit Cannabis gefragt wird, sind in Anlage 2 die der Landesregierung vorliegenden Daten zu ambulanten Behandlungsfällen aufgrund der Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide“ (ICD-10 Code F12) dargestellt. Zu den dabei umfassten Diagnosen und Zeiträumen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
Bei den vorliegenden Daten der ambulanten Behandlungsdiagnosen ist zu beachten, dass Mehrfachbehandlungen aufgrund derselben Diagnose innerhalb der vier Quartale eines Jahres zu einem Behandlungsfall zusammengefasst werden und nur Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst werden.
3. Wird sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dafür stark machen, dass der Konsum von Cannabinoiden auch weiterhin nicht legalisiert wird?
Die Legalisierung von Cannabis-Produkten ist aus kriminalfachlicher Sicht abzulehnen, da nicht anzunehmen ist, dass langjährige, professionelle Akteure des (organisierten) Betäu-bungsmittelhandels nach einer Legalisierung von Cannabis ihre Aktivitäten einstellen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie gesetzliche Regularien umgehen werden, um profitorientiert weiterhin den illegalen Betäubungsmittelmarkt zu bedienen.
Es bestehen aus suchtfachlicher Sicht erhebliche Bedenken gegen eine Legalisierung von Cannabisprodukten. Die Entwicklungen auf Bundesebene in Bezug auf eine mögliche Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken wird sehr aufmerksam verfolgt. Dasselbe gilt auch für die Diskussionen der Fachöffentlichkeit zum Risiko cannabisbedingter Hirnschädigungen bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen sowie zu Suchtrisiken durch den Cannabis-Konsum. Die Landesregierung nimmt entsprechende Warnungen von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten und weiteren Expertinnen und Experten sehr ernst.
Da in den letzten Jahren immer mehr junge Menschen Cannabis konsumiert haben, gilt es auch unabhängig von der Frage einer möglichen Cannabislegalisierung, bedarfs- und adres-satengerechte Angebote der Suchtprävention und -beratung sowie der Suchthilfe in Nordrhein-Westfalen bereitzustellen.
4. Welche jährlichen Kosten entstehen für das allgemeine Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen durch die in Frage 1 und 2 abgefragten notwendigen Behandlungsmaßnahmen? (Bitte seit 2010 pro Jahr aufschlüsseln.)
Der Landesregierung liegen hierzu keine Daten vor.