Kleine Anfrage 4747
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD
Clan-Strukturen, extremistische Bestrebungen und Sicherheitsgefahren unter Migranten aus dem Libanon in Nordrhein-Westfalen
Der andauernde Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah, einer im Libanon verwurzelten, vom Iran unterstützten Terrororganisation, stellt eine sicherheitspolitische Herausforderung dar, die weit über die Grenzen des Nahen Ostens hinaus wirkt. Die Hisbollah gilt auch in Deutschland als terroristische Organisation und wird mit gewaltsamen Aktionen gegen Israel sowie mit extremistisch-antisemitischer Propaganda in Verbindung gebracht. In der Vergangenheit gab es mehrfach Hinweise darauf, dass die Hisbollah ihre Anhänger auch in Europa für propagandistische und logistische Zwecke mobilisiert und vernetzt. Dies wirft sicherheitsrelevante Fragen hinsichtlich der potenziellen Einflussnahme auf in Deutschland lebende Personen libanesischer Herkunft auf, die in Verbindung mit extremistischen Ideologien stehen könnten.
Angesichts der derzeitigen Spannungen im Nahen Osten stellen sich Fragen zur möglichen Vernetzung von Personen libanesischer Herkunft, die seit 2015 in Nordrhein-Westfalen Zuflucht gefunden haben. Insbesondere sind mögliche Kontakte zur Hisbollah oder die Beteiligung an israelfeindlichen Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen, auf denen zur Gewalt gegen Israel aufgerufen oder extremistische Propaganda gezeigt wird, von sicherheitspolitischer Bedeutung.
In diesem Zusammenhang fragen wir die Landesregierung:
- Wie viele Personen libanesischer Herkunft sind seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist?
- Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über extremistische bzw. staatsgefährdende Aktivitäten von Personen libanesischer Herkunft vor, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind?
- Welche Informationen liegen der Landesregierung darüber vor, ob unter den Personen aus dem Libanon, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, Kontakte zur Hisbollah oder deren Netzwerken bestehen?
- Inwiefern hat die Landesregierung Erkenntnisse über die Teilnahme von Personen libanesischer Herkunft, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, an Demonstrationen und Aktionen, bei denen zu Gewalt gegen den Staat Israel oder zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie der Hisbollah aufgerufen wurde?
- Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über mögliche organisierte kriminelle Strukturen unter Personen libanesischer Herkunft, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind?
Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4747 mit Schreiben vom 16. Januar 2025 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten,
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und/oder
- gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Ob-jekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.
Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a, 234b oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
- Wie viele Personen libanesischer Herkunft sind seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist?
Das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Registerbehörde geführte Ausländer-zentralregister als maßgebliche Datenbank liefert keine Verlaufszahlen zu Einreisen von Drittstaatsangehörigen. Entsprechend liegen der Landesregierung keine Daten im Sinne der Fragestellung vor. Im Übrigen obliegt die Kontrolle aus dem Ausland einreisender Personen der Bundespolizei.
- Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über extremistische bzw. staatsgefährdende Aktivitäten von Personen libanesischer Herkunft vor, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind?
Im Rahmen des KPMD-PMK wird die Staatsangehörigkeit ermittelter Tatverdächtiger zum Zeitpunkt der Tatbegehung erfasst. Nicht erfasst werden hingegen die Herkunft und der Einreisezeitpunkt des Tatverdächtigen in die Bundesrepublik Deutschland.
Die Anzahl der Straftaten von Tatverdächtigen mit libanesischer Staatsangehörigkeit, die seit dem 01.01.2015 bis zum 15.11.2024 statistisch erfasst wurden, beträgt 79. Dies umfasst auch Tatverdächtige, die vor dem 01.01.2015 eingereist sind oder von Geburt an in Deutschland leben.
Personen mit libanesischem Migrationshintergrund sind teilweise in unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen aktiv. In Nordrhein-Westfalen ist die schiitische Hizb Allah die islamistische Gruppierung, die am stärksten auf den Libanon und die dortigen politischen Entwicklungen Bezug nimmt. Darüber hinaus finden sich Personen mit libanesischem Migrationshinter-grund aber auch in sunnitischen islamistischen Gruppierungen wie beispielsweise der Muslim-bruderschaft sowie in salafistischen oder in jihadistischen Personenzusammenschlüssen.
Eine abschließende systematische Erfassung des Einreisezeitpunktes des durch die Fragesteller in Bezug genommenen extremistischen Personenpotenzials erfolgt nicht, so dass eine Beantwortung im Sinne der Fragestellung nicht möglich ist.
Im Übrigen wird auf die umfassende Darstellung im „Lagebild Islamismus“ (LT-Vorlage 18/2551, S. 12 ff.) sowie den Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2023 (LT-Vorlage 18/2489, S. 246 f.) verwiesen.
- Welche Informationen liegen der Landesregierung darüber vor, ob unter den Personen aus dem Libanon, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, Kontakte zur Hisbollah oder deren Netzwerken bestehen?
Im Rahmen der polizeilichen statistischen Erfassung findet kein Monitoring hinsichtlich etwaiger Kontakte oder Netzwerkverbindungen von Personen aus dem Libanon, die nach Deutschland eingereist sind, statt.
Ergänzend wird auf die Antwort zur Frage 2 verwiesen.
- Inwiefern hat die Landesregierung Erkenntnisse über die Teilnahme von Personen libanesischer Herkunft, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, an Demonstrationen und Aktionen, bei denen zu Gewalt gegen den Staat Israel oder zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie der Hisbollah aufgerufen wurde?
Der KPMD-PMK erfasst u.a. politisch motivierte, strafrechtlich relevante Sachverhalte, die bei Demonstrationen oder Versammlungen begangen und polizeilich bekannt werden. Eine Erfassung von Personendaten bei bloßer Teilnahme an o. g. Veranstaltungen, ohne selbst tatverdächtig zu sein, findet nicht statt.
Das Geschehen in Israel und im Gaza-Streifen hat auch in Deutschland ein hohes Emotiona-lisierungs- und Mobilisierungspotenzial. Dies hat seit den Terroranschlägen auf den Staat Israel zu einer Vielzahl von themenbezogenen Versammlungen geführt.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.
- Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über mögliche organisierte kriminelle Strukturen unter Personen libanesischer Herkunft, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind?
Im Zusammenhang mit der Erstellung des jährlichen Lagebildes „Organisierte Kriminalität Nordrhein-Westfalen“ wird der Einreisezeitpunkt ausländischer tatverdächtiger Personen bei Personen aus Drittstaaten, die zum Zeitpunkt der Erfassung Asylbewerbende, Schutz- und Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge oder Personen mit einer Duldung sowie unerlaubten Aufenthalts sind, erhoben.
In den Berichtsjahren 2020 bis 2022 ermittelte die Polizei Nordrhein-Westfalen gegen drei libanesisch dominierte Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK), die dem Phänomen-bereich der Clankriminalität zuzurechnen sind. Unter den zu diesen drei OK-Verfahren insgesamt erfassten 363 tatverdächtigen Personen befanden sich 48 tatverdächtige Personen mit libanesischer Staatsangehörigkeit, die zum Zeitpunkt der Erfassung Asylbewerbende, Schutz-und Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge oder Personen mit einer Duldung sowie unerlaubten Aufenthalts waren und die seit 2015 nach Deutschland eingereist sind.